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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Der Hildesheimer Zentralfriedhof — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 17.1998

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Grabformen und Grabmaltypen in Hildesheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.51148#0038
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Parallel hierzu nimmt der Putto allmählich menschliche Züge
an181 und zitiert Details, die als individueller Hinweis auf die Per-
sönlichkeit des Verstorbenen, als Portrait182 und zuweilen auch
als Karikatur183 gelesen werden können (Abb. 40). Insgesamt er-
staunt, daß auf individuelle Hinweise auf Beruf, Stand und Vorlie-
ben des Toten jedoch weitgehend verzichtet wird, sofern es sich
nicht um Kriegsgefallene des Ersten Weltkrieges handelt: Nur in
diesen Fällen wird die gesamte Palette der oben aufgeführten Eh-
ren- und Heldenzeichnen für Kriegsgefallene (knieender Soldat,
Stahlhelm, Eichenlaub, Schwerter), zuweilen auch der Todesum-
stand motivhaft zitiert (U-Boot); allerdings werden auch hier die
verschiedenen Zeichen dem durch Rosenbuketts, Sitzbänke und
Gatter abgegrenzten Grabbezirk optisch deutlich unterstellt.
Todesrezeption und Totengedenken
im späten 19. und frühen 2O.Jh.
In seiner dargelegten Entwicklung von 1890 bis ca. 1945 reprä-
sentiert der Hildesheimer alte Zentral- und heutige Nordfriedhof
eine ausgesprochen vielschichtige Quelle, an der die Genese der
lokalen Todesauffassung und des Totengedenkens seit seiner
Gründung und Einweihung detailliert nachzuverfolgen war. Ob-
wohl nicht auf den ersten Blick ersichtlich, ist das Friedhofs- und
Bestattungswesen des späten 18Jh. bei dem Versuch einer zu-
sammenfassenden Darstellung unbedingt miteinzubeziehen, da
es als allgegenwärtiger Mißstand bald erkannt und somit als Aus-
löser und Beginn einer neuartigen Friedhofsentwicklung einzu-
stufen ist, die einer veränderten Todesrezeption Rechnung trägt.
Erinnern wir uns der historischen Situation, als noch der von
gelöschtem Kalk und wüst aufgeworfenen Erdgräbern geprägte

Massenfriedhof vorherrschte, so wird eindeutig, daß mit der for-
cierten Einrichtung gesünderer und geordneter Ruhegärten eine
von romantizierenden Gefühlen getragene Todeseinstellung auf-
keimen mußte (1800-1830): Die nach außen abgegrenzten Orte
mußten damals wie heilige Stätten erscheinen, in denen man
sich erstmals nach langer Zeit wieder ergehen und mit Tod und
Jenseits auseinandersetzen konnte. Gegenüber dem Alten wirkte
das Neue heroisch, ehrfurchtsvoll und zugleich heiter und regte
an, sich in süßer Wehmut der Toten zu erinnern. Der Friedhofs-
besuch wurde jetzt zum romantischen Ereignis, das umhegte
Grab bald zum zentralen Ort sehnsüchtigen Angedenkens, nach-
dem es zur Zeit der schönen Tode mit der fast sakralen Bedeu-
tung der leiblichen Totenstätte belegt worden war (Mitte
19. Jahrh.).
1. Im Zeitalter der erstarkenden Wissenschaften, als schließlich
der Arzt die Kirche am Sterbebett ersetzte, entsteht als Kon-
trapunkt zur modernen Sachlichkeit ein christlicher Totenkult,
der den Einzelnen zum Inhalt erhebt: „In Umkehrung solcher
Wissenszugriffe auf den menschlichen Körper und seine per-
sonale Identität von außen entsteht [...] ein individuelles Wis-
sen von der Einzigartigkeit und Zeitlichkeit seiner eigenen bio-
graphischen Existenz"184. Zum Trend der Jahrhundertwende
wird daher die vom Glauben getragene Todesauffassung, die
sich als ernsthafte Lebenseinstellung (Hoffnung, Erwartung)
deutlich vom romantischen Ereignis süßer Wehmut distanziert.
Gesucht wird die innige Konfrontation mit dem Tod, so daß
das Grab zum Ort des frommen Trostes („Katholiken", emo-
tional) oder aber christlichen Familiengedenkens („Positivi-
sten", nüchtern angedenkend) übersteigert wird. Neben der
Landschaftsgestaltung, die als vegetabiler Rahmen die verin-
nerlichenden Spaziergänge angemessen dekoriert, sind auch


38 Typisches Zeichen der Spätzeit: Die Pieta als bildhafte Umsetzung christlichen Glaubens und Zeichen schmerzlicher Trauer - hier am Grabmal Mölders
(Abt. B.l. 1).

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