Ludwig Münstermann und das Rodenkirchener Altarretabel
7 Varel, Altar, 1614: Zustand vor der Restaurierung (Aufnahme 1960).
8 Varel, Altar, 1614: Zustand nach der Restaurierung von 1960 bis 1962 (Auf-
nahme 1995).
Zur Gruppe der polychromierten Werke gehört auch der im
Verhältnis einfache Altar in Eckwarden, bei dem die Wangen und
viele Bereiche des Schreins lediglich mit einer illusionistisch gemal-
ten Darstellung von Schnitzwerk versehen sind und der ohne eine
Farbfassung nicht denkbar wäre. Hier ist die Fassung als Teil des
ursprünglichen künstlerischen Gesamtkonzepts nachgewiesen.94
Nach dem heutigen Forschungsstand - und vorbehaltlich neuerer
restauratorischer Untersuchungen - können einige weitere Werke
als (urprünglich oder sehr früh) polychromiert angesehen werden.
Zu dieser Gruppe dürfen der Altar und die Kanzel in Hohenkirchen,
die Taufen in Eckwarden und Golzwarden, ein Putto aus der Kirche
in Tossens, das Epitaph Dethmers in Rodenkirchen gezählt werden.
Auch der Altar in Berne aus dem Jahr 1637 kann dazugezählt
werden.95 Er wurde zwar nicht von Münstermann selbst oder sei-
ner Werkstatt geschaffen, stellt aber eine vergröberte Kopie des
Altares in Rodenkirchen dar und wurde deshalb in die Interpreta-
tion der Werke Münstermanns traditionell einbezogen. Im Zusam-
menhang mit den Farbfassungen ist er deshalb besonders bemer-
kenswert, weil die Kirchengemeinde bei der Auftragsvorbereitung
nicht nur eigens nach Rodenkirchen gefahren war, um sich den
Altar anzuschauen (und ihn dann nachbauen ließ), sondern gleicher-
maßen eigens nach Hohenkirchen reiste, um sich die Farbfassung
dort anzuschauen.96 Man kann aus dieser schriftlichen Überliefe-
rung zumindest einen gewissen Grad an Berühmtheit und den
damit verbundenen Vorbildcharakter der Hohenkirchener Farbfas-
sung ableiten. Da sowohl die Kirchenausstattung in Hohenkirchen
als auch der Altar in Berne nach den letzten Restaurierungen
polychrom gefaßt sind - jeweils mit dem Anspruch, den ursprüng-
lichen Zustand freizulegen und wiederherzustellen -, darf man
hierin einerseits eine Bestätigung der Schriftquellen sehen, an-
dererseits darin einen Beleg für eine frühe Polychromierung
erkennen. In welchen Maße diese polychromen Fassungen den
eigenen künstlerischen Absichten Münstermanns mehr oder
weniger entsprachen als der Leimüberzug des Rodenkirchener
Altares, bleibt eine weiterhin offene Frage.
Die Kanzel von 1631
Von den 14 Kanzeln, die bisher dem Werk Münstermanns zuge-
ordnet wurden, haben sich neben der Kanzel in Rodenkirchen
(Abb. 10) nur zwei weitere vollständig mit Schalldeckel und zu-
gehöriger Treppe erhalten (Apen und Holle). Bei fünf Kanzeln hat
sich zwar der Schalldeckel erhalten, aber die Treppe fehlt (Rastede,
Schwei, Hohenkirchen, Heppens und Blexen). In Tossens hatte
Münstermann ausschließlich den Schalldeckel für die ältere Kanzel
geschaffen, in Altenesch ist nur der Korpus erhalten und in Olden-
burg nur der Kanzelträger.97 In Varel ist neben dem Korpus und
der Treppe als Sonderfall bei Münstermann ein Kanzelportal vorhan-
den; der ursprüngliche Kanzelträger wurde in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts durch einen Baluster ersetzt.98 Die Kanzeln
für Delmenhorst und Stollhamm sind verschollen, aller Wahr-
scheinlichkeit nach zerstört.
Bei einem Überblick über alle Kanzeln in Kirchen des lutheri-
schen Protestantismus Norddeutschlands erweist sich, daß die
Kanzeln Münstermanns kaum von der Tradition abweichen.99 An
neun der zehn erhaltenen Kanzeln Münstermanns sind die vier
Evangelisten als Statuetten dargestellt. Auch in Rodenkirchen sind
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7 Varel, Altar, 1614: Zustand vor der Restaurierung (Aufnahme 1960).
8 Varel, Altar, 1614: Zustand nach der Restaurierung von 1960 bis 1962 (Auf-
nahme 1995).
Zur Gruppe der polychromierten Werke gehört auch der im
Verhältnis einfache Altar in Eckwarden, bei dem die Wangen und
viele Bereiche des Schreins lediglich mit einer illusionistisch gemal-
ten Darstellung von Schnitzwerk versehen sind und der ohne eine
Farbfassung nicht denkbar wäre. Hier ist die Fassung als Teil des
ursprünglichen künstlerischen Gesamtkonzepts nachgewiesen.94
Nach dem heutigen Forschungsstand - und vorbehaltlich neuerer
restauratorischer Untersuchungen - können einige weitere Werke
als (urprünglich oder sehr früh) polychromiert angesehen werden.
Zu dieser Gruppe dürfen der Altar und die Kanzel in Hohenkirchen,
die Taufen in Eckwarden und Golzwarden, ein Putto aus der Kirche
in Tossens, das Epitaph Dethmers in Rodenkirchen gezählt werden.
Auch der Altar in Berne aus dem Jahr 1637 kann dazugezählt
werden.95 Er wurde zwar nicht von Münstermann selbst oder sei-
ner Werkstatt geschaffen, stellt aber eine vergröberte Kopie des
Altares in Rodenkirchen dar und wurde deshalb in die Interpreta-
tion der Werke Münstermanns traditionell einbezogen. Im Zusam-
menhang mit den Farbfassungen ist er deshalb besonders bemer-
kenswert, weil die Kirchengemeinde bei der Auftragsvorbereitung
nicht nur eigens nach Rodenkirchen gefahren war, um sich den
Altar anzuschauen (und ihn dann nachbauen ließ), sondern gleicher-
maßen eigens nach Hohenkirchen reiste, um sich die Farbfassung
dort anzuschauen.96 Man kann aus dieser schriftlichen Überliefe-
rung zumindest einen gewissen Grad an Berühmtheit und den
damit verbundenen Vorbildcharakter der Hohenkirchener Farbfas-
sung ableiten. Da sowohl die Kirchenausstattung in Hohenkirchen
als auch der Altar in Berne nach den letzten Restaurierungen
polychrom gefaßt sind - jeweils mit dem Anspruch, den ursprüng-
lichen Zustand freizulegen und wiederherzustellen -, darf man
hierin einerseits eine Bestätigung der Schriftquellen sehen, an-
dererseits darin einen Beleg für eine frühe Polychromierung
erkennen. In welchen Maße diese polychromen Fassungen den
eigenen künstlerischen Absichten Münstermanns mehr oder
weniger entsprachen als der Leimüberzug des Rodenkirchener
Altares, bleibt eine weiterhin offene Frage.
Die Kanzel von 1631
Von den 14 Kanzeln, die bisher dem Werk Münstermanns zuge-
ordnet wurden, haben sich neben der Kanzel in Rodenkirchen
(Abb. 10) nur zwei weitere vollständig mit Schalldeckel und zu-
gehöriger Treppe erhalten (Apen und Holle). Bei fünf Kanzeln hat
sich zwar der Schalldeckel erhalten, aber die Treppe fehlt (Rastede,
Schwei, Hohenkirchen, Heppens und Blexen). In Tossens hatte
Münstermann ausschließlich den Schalldeckel für die ältere Kanzel
geschaffen, in Altenesch ist nur der Korpus erhalten und in Olden-
burg nur der Kanzelträger.97 In Varel ist neben dem Korpus und
der Treppe als Sonderfall bei Münstermann ein Kanzelportal vorhan-
den; der ursprüngliche Kanzelträger wurde in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts durch einen Baluster ersetzt.98 Die Kanzeln
für Delmenhorst und Stollhamm sind verschollen, aller Wahr-
scheinlichkeit nach zerstört.
Bei einem Überblick über alle Kanzeln in Kirchen des lutheri-
schen Protestantismus Norddeutschlands erweist sich, daß die
Kanzeln Münstermanns kaum von der Tradition abweichen.99 An
neun der zehn erhaltenen Kanzeln Münstermanns sind die vier
Evangelisten als Statuetten dargestellt. Auch in Rodenkirchen sind
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