12
Günther Binding
11 Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München, Zürich 1995,
Sp. 933 mit Lit.-Angaben. Es sei darauf hingewiesen, dass
der in der neuzeitlichen Literatur verbreiteten Auffassung nur
sehr zurückhaltend zuzustimmen ist, nach der man für die
Jahrtausendwende den Weltuntergang erwartet habe. Auch
Rodulfus Glaber ist für solche Endzeiterwartungen nicht he-
ranzuziehen, denn die zitierte Textstelle ist wohl kaum ent-
sprechend zu interpretieren, wie es der Historiker Jules
Michelet 1831 als erster unternahm, indem er behauptete,
nach Glaber habe es im Jahre 999 Angst und Schrecken vor
dem Weitende gegeben; zahlreiche Menschen seien ins
Kloster eingetreten und hätten Hab und Gut verschenkt.
Dazu fehlen jegliche Quellenbelege. Grundlegend hierzu Jo-
hannes Fried: Endzeiterwartung um die Jahrtausendwende,
in: Deutsches Archiv 45, 1989, S. 381-473.
12 Rodulfus Glaber, Historiae III, 13; PL 142, 651; Neithard
Bulst, John France, Paul Reynolds. Oxford 1989, S. 114-116.
- Friedrich Prinz: Grundlagen und Anfänge. Deutschland bis
1056. (= Die neue deutsche Geschichte 1) München 21993,
S. 317 (mit freier Übersetzung).
13 Rodulfus Glaber, Vita Willelmi 8; Neithard Bulst, John
France, Paul Reynolds. Oxford 1989, S. 118. - Wilhelm
Schiink: Saint-Bänigne in Dijon. Berlin 1978, S. 167 f. - Mar-
tin Warnke: Bau und Überbau. Frankfurt a. M. 1976, S. 160,
Anm. 13.
14 Anselm von Saint-Remi, Historia dedicationis ecclesiae
sancti Remigii apud Remos 2; PL 142, Sp. 1417 B. - John
Harvey: The Mediaeval Architect. London 1972, S. 56 f.
15 De episcopis Eichstetensibus 29; MGH SS 7, 261.
16 Hans-Georg Aschoff: Das Bistum Hildesheim von seiner
Gründung bis zur Säkularisation, in: Ego sum Hildensemen-
sis. Bischof, Domkapitel und Dom in Hildesheim. 815-1610.
Hrsg. Ulrich Knapp. (= Kataloge des Dom-Museums Hildes-
heim 3) Petersberg 2000, S. 11 f.
I. Forschungsstand
In den wissenschaftlichen Publikationen gibt es über
den Zeitpunkt der Klostergründung und des Bau-
beginns der von Bischof Bernward gestifteten ehema-
ligen Benediktinerklosterkirche und heutigen evange-
lischen Michaeliskirche in Hildesheim unterschiedliche
Vorstellungen. In jüngerer Zeit finden sich in der Fach-
literatur ungenaue und sich widersprechende Datie-
rungen der Hildesheimer Klostergründung und des
Baubeginns von St. Michaelis sowie eine erneute Dis-
kussion der Datierung des Westwerks von St. Pan-
taleon in Köln, das erst im ersten Drittel des 11. Jahr-
hunderts gebaut worden sein soll.1 Hierdurch werden
die Bedeutung Goderams für St. Michaelis und die
Kölner Einflüsse auf die Hildesheimer Bildwerke aus
Bernwards Zeit grundlegend in Frage gestellt. Auch
sind die einzelnen Bauformen in ihrer Bedeutung auf-
grund neuerer Forschungen neu zu beurteilen.2
Traditionsgemäß geht Hans Jantzen 1947 davon aus,
dass Bernward „996 eine kleine Gruppe Benediktiner
aus St. Pantaleon in Köln berufen" hat; „bald nach
1000 - Bernward war am 10. April 1001 aus Rom
zurückgekommen - begann er die Erbauung der
Hildesheimer Kirche. Nach der Stiftungsurkunde hat
er sich schon früh mit Bauplänen beschäftigt, schon
bevor er Bischof wurde. Wir können uns vorstellen,
daß er auf die Baupläne in hohem Maße eingewirkt
hat. Es läßt sich kaum ein kirchlicher Bau jener Zeit
finden, der monumentale sakrale Wirkung mit so
geklärten Mitteln erreicht."3 Jantzen steht damit in
der Nachfolge von Georg Dehio: „Der Bauherr (und
voraussichtlich auch Autor des Bauplanes) war der in
allen Zweigen der Kunst erfahrene Bischof Bernward,
begonnen a. 1001, vollendet a. 1033", und von Max
Hasak: „1000-1022 von Bernward errichtet".4
Mit der vorzüglichen Baumonografie über die Micha-
eliskirche in Hildesheim, die der spätere Landes-
konservator von Schleswig-Holstein Hartwig Beseler
und der spätere Landeskonservator von Nieder-
sachsen Hans Roggenkamp auf der Basis ihrer Disser-
tationen 1954 vorgelegt haben, ist eine bis heute gül-
tige Grundlage für die Beurteilung der Baugeschichte
und Datierung von St. Michaelis gegeben.5 Dadurch
ist unter anderem die dreibändige Publikation des
amerikanischen Historikers Francis J. Tschan von
1942-1952 (mit der Vorlage der bis dahin unpublizier-
ten Pläne und teilweise unhaltbaren Vermutungen
von Joseph Bohland jr.) überholt.5 Nach Hartwig
Beseler liegt die Planung von St. Michaelis bereits vor
der Bischofsweihe Bernwards 993, der Baubeginn
1010 (Grundstein), die Kryptaweihe 1015, die Weihe
der Kirche 1022 und die Endweihe 1033. „Das Jahr
1010 kann nicht nur als Zeitpunkt des Baubeginns
gelten (gegenüber dem legendären 1001), sondern
auch der abgeschlossenen Planung (worauf der Fund
eines von zwölf Grundsteinen spricht, der nur als Teil
der vollständig ausgelegten Fundamente zu verstehen
ist). Der Bau schreitet von Westen nach Osten fort.
Zuerst ist die Krypta beendet. Die Würfelkapitelle las-
sen eine Entwicklung vom westlichen Querhaus über
das Langhaus zum östlichen Querhaus erkennen.
Ebenso ist am Mauerwerk der Ostteile ein Nachlassen
der Bauintensität zu verspüren. Die frühe Weihe 1022
scheint ihre Erklärung in der Sorge des alternden
Bernward zu finden, die Erfüllung seines Gelübdes
Günther Binding
11 Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München, Zürich 1995,
Sp. 933 mit Lit.-Angaben. Es sei darauf hingewiesen, dass
der in der neuzeitlichen Literatur verbreiteten Auffassung nur
sehr zurückhaltend zuzustimmen ist, nach der man für die
Jahrtausendwende den Weltuntergang erwartet habe. Auch
Rodulfus Glaber ist für solche Endzeiterwartungen nicht he-
ranzuziehen, denn die zitierte Textstelle ist wohl kaum ent-
sprechend zu interpretieren, wie es der Historiker Jules
Michelet 1831 als erster unternahm, indem er behauptete,
nach Glaber habe es im Jahre 999 Angst und Schrecken vor
dem Weitende gegeben; zahlreiche Menschen seien ins
Kloster eingetreten und hätten Hab und Gut verschenkt.
Dazu fehlen jegliche Quellenbelege. Grundlegend hierzu Jo-
hannes Fried: Endzeiterwartung um die Jahrtausendwende,
in: Deutsches Archiv 45, 1989, S. 381-473.
12 Rodulfus Glaber, Historiae III, 13; PL 142, 651; Neithard
Bulst, John France, Paul Reynolds. Oxford 1989, S. 114-116.
- Friedrich Prinz: Grundlagen und Anfänge. Deutschland bis
1056. (= Die neue deutsche Geschichte 1) München 21993,
S. 317 (mit freier Übersetzung).
13 Rodulfus Glaber, Vita Willelmi 8; Neithard Bulst, John
France, Paul Reynolds. Oxford 1989, S. 118. - Wilhelm
Schiink: Saint-Bänigne in Dijon. Berlin 1978, S. 167 f. - Mar-
tin Warnke: Bau und Überbau. Frankfurt a. M. 1976, S. 160,
Anm. 13.
14 Anselm von Saint-Remi, Historia dedicationis ecclesiae
sancti Remigii apud Remos 2; PL 142, Sp. 1417 B. - John
Harvey: The Mediaeval Architect. London 1972, S. 56 f.
15 De episcopis Eichstetensibus 29; MGH SS 7, 261.
16 Hans-Georg Aschoff: Das Bistum Hildesheim von seiner
Gründung bis zur Säkularisation, in: Ego sum Hildensemen-
sis. Bischof, Domkapitel und Dom in Hildesheim. 815-1610.
Hrsg. Ulrich Knapp. (= Kataloge des Dom-Museums Hildes-
heim 3) Petersberg 2000, S. 11 f.
I. Forschungsstand
In den wissenschaftlichen Publikationen gibt es über
den Zeitpunkt der Klostergründung und des Bau-
beginns der von Bischof Bernward gestifteten ehema-
ligen Benediktinerklosterkirche und heutigen evange-
lischen Michaeliskirche in Hildesheim unterschiedliche
Vorstellungen. In jüngerer Zeit finden sich in der Fach-
literatur ungenaue und sich widersprechende Datie-
rungen der Hildesheimer Klostergründung und des
Baubeginns von St. Michaelis sowie eine erneute Dis-
kussion der Datierung des Westwerks von St. Pan-
taleon in Köln, das erst im ersten Drittel des 11. Jahr-
hunderts gebaut worden sein soll.1 Hierdurch werden
die Bedeutung Goderams für St. Michaelis und die
Kölner Einflüsse auf die Hildesheimer Bildwerke aus
Bernwards Zeit grundlegend in Frage gestellt. Auch
sind die einzelnen Bauformen in ihrer Bedeutung auf-
grund neuerer Forschungen neu zu beurteilen.2
Traditionsgemäß geht Hans Jantzen 1947 davon aus,
dass Bernward „996 eine kleine Gruppe Benediktiner
aus St. Pantaleon in Köln berufen" hat; „bald nach
1000 - Bernward war am 10. April 1001 aus Rom
zurückgekommen - begann er die Erbauung der
Hildesheimer Kirche. Nach der Stiftungsurkunde hat
er sich schon früh mit Bauplänen beschäftigt, schon
bevor er Bischof wurde. Wir können uns vorstellen,
daß er auf die Baupläne in hohem Maße eingewirkt
hat. Es läßt sich kaum ein kirchlicher Bau jener Zeit
finden, der monumentale sakrale Wirkung mit so
geklärten Mitteln erreicht."3 Jantzen steht damit in
der Nachfolge von Georg Dehio: „Der Bauherr (und
voraussichtlich auch Autor des Bauplanes) war der in
allen Zweigen der Kunst erfahrene Bischof Bernward,
begonnen a. 1001, vollendet a. 1033", und von Max
Hasak: „1000-1022 von Bernward errichtet".4
Mit der vorzüglichen Baumonografie über die Micha-
eliskirche in Hildesheim, die der spätere Landes-
konservator von Schleswig-Holstein Hartwig Beseler
und der spätere Landeskonservator von Nieder-
sachsen Hans Roggenkamp auf der Basis ihrer Disser-
tationen 1954 vorgelegt haben, ist eine bis heute gül-
tige Grundlage für die Beurteilung der Baugeschichte
und Datierung von St. Michaelis gegeben.5 Dadurch
ist unter anderem die dreibändige Publikation des
amerikanischen Historikers Francis J. Tschan von
1942-1952 (mit der Vorlage der bis dahin unpublizier-
ten Pläne und teilweise unhaltbaren Vermutungen
von Joseph Bohland jr.) überholt.5 Nach Hartwig
Beseler liegt die Planung von St. Michaelis bereits vor
der Bischofsweihe Bernwards 993, der Baubeginn
1010 (Grundstein), die Kryptaweihe 1015, die Weihe
der Kirche 1022 und die Endweihe 1033. „Das Jahr
1010 kann nicht nur als Zeitpunkt des Baubeginns
gelten (gegenüber dem legendären 1001), sondern
auch der abgeschlossenen Planung (worauf der Fund
eines von zwölf Grundsteinen spricht, der nur als Teil
der vollständig ausgelegten Fundamente zu verstehen
ist). Der Bau schreitet von Westen nach Osten fort.
Zuerst ist die Krypta beendet. Die Würfelkapitelle las-
sen eine Entwicklung vom westlichen Querhaus über
das Langhaus zum östlichen Querhaus erkennen.
Ebenso ist am Mauerwerk der Ostteile ein Nachlassen
der Bauintensität zu verspüren. Die frühe Weihe 1022
scheint ihre Erklärung in der Sorge des alternden
Bernward zu finden, die Erfüllung seines Gelübdes