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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: St. Michaelis in Hildesheim — Hannover: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 34.2008

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Binding, Günther: St. Michaelis in Hildesheim - Einführung, Forschungsstand und Datierung
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https://doi.org/10.11588/diglit.51162#0070
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Günther Binding

ra et numero et pondere disposuisti), wie es im Liber
Sapientiae 1,21 steht. Es ist dieses eine Forderung, die
durchaus die Qualität eines Bauwerks, insbesondere
die Schönheit, das heißt die Wahrheit, bestimmt.
Entsprechend lobt Abt Johannes von St. Arnulf in
Metz (gest. vor 984) seinen Freund Abt Johannes von
Gorze bei Metz (960-974), dass „das, was er einmal
verteilt hatte (disposuisset), in Bezug auf gänzliche
Symmetrie oder Gleichmaß (sinmetriis vel commensu-
rationibus) der Orte und Gebäude nicht leicht von
Jemandes Urteil gerügt werden konnte."98 Bischof
Bernward hat alle seine Anstrengungen darauf
gerichtet, einen möglichst vollkommenen, geordne-
ten und damit schönen und letztlich wahren
Kirchenbau zu schaffen. Nachdem aufgezeigt werden
konnte, dass der Kölner praepositus und erste Abt
von St. Michaelis Goderam nicht für die Gestaltung
von St. Michaelis in Betracht zu ziehen ist, möchte
man aufgrund dieser Angaben und Beobachtungen
bei der Ableitung der Bauformen den Einfluss Bischof
Bernwards recht hoch ansetzen.
Bernwards Bedeutung für die Kunst hat Lieselotte E.
Stamm-Saurma 1988 vorzüglich zusammengefasst,
„daß die Vorbildverarbeitung in der bernwardinischen
Kunst viel planvoller gewesen sein muß als bisher
angenommen wurde. Man kann auch nicht davon
ausgehen, daß Bernward von hier und dort entliehen
habe oder in der Art seiner Zeitgenossen eine bloße

Vorbildsammlung angelegt hätte. Vielmehr hat sich
die Auswahl seiner Zitate als Instrument einer theolo-
gischen Exegese erwiesen. Hierfür werden die Vor-
bilder systematisch eingesetzt und in die neue Auf-
fassung des jeweiligen Themas integriert. Als wichtigs-
te Aussage muß die Zeugenschaft in Kombination mit
der adelnden Abkunft durch die translatio gesehen
werden. Daneben dürften allerdings sich auch noch
konkrete, d. h. stärker auf die Gegenwart bezogene
Ansprüche vermuten lassen."99
Generell hat Bernward nach dem Pauluswort „wie ein
weiser Architekt das Fundament gelegt". Bezogen
auf Bernwards Einfluss bei der Wahl Heinrichs II. zum
König im Mai 1002 heißt es im 38. Kapitel der Vita
Bernwardi: „In der Art eines höchst weisen Archi-
tekten hat der äußerst kluge Bischof die Grundlagen
des neuen Königtums durch die Veranlassung von
Gebeten angelegt" (More autem sapientissimi archi-
tecti prudentissimus praesul fundamina novi regni
praecum iniciis inchoavit).wo Die Klosterstiftung und
der Kirchenbau von St. Michaelis in Hildesheim dien-
ten seiner memoria, wie Bernward selbst (?) auf dem
für seine Grablege in der Krypta von St. Michaelis
gefertigten Inschriftstein verkündet: „Kommt, unsere
Mitbürger, betet zu Gott und gedenkt eures Bischofs
Bernward" (Venite concives nostri deum adorate
vestrique praesulis Bernwardi mementote).W]

Anmerkungen
1 Beseler-Roggenkamp 1954, S. 114.
2 Wolfgang Giese: Zur Bautätigkeit von Bischöfen und Äbten
des 10. bis 12. Jahrhunderts, in: Deutsches Archiv für
Erforschung des Mittelalters 38, 1982, S. 388-438, Zitat S.
397 f. - Peter Hirschfeld: Mäzene. Die Rolle des Auftrag-
gebers in der Kunst. München-Berlin 1968, S. 34-47. -
Hermann Graf: Mönche und Geistliche als Architekten und
Bauverwalter beim Bau des Klosters Limburg und des
Speyerer Domes im 11. Jahrhundert, in: Mitt. d. Hist. Vereins
d. Pfalz 54, 1956, S. 155-225. - Vergl. allgemein auch R. E.
Swartwout: The Monastic Craftsman. Cambridge 1932. -
Emil Michael: Über geistliche Baumeister im Mittelalter, in:
Zeitschrift für kath. Theologie 32, 1908 S. 213-229.
3 Binding, Bauherr 1998, S. 245-247.
4 Günther Binding: „Geometricis et aritmeticis instrumen-
tis". Zur mittelalterlichen Bauvermessung, in: Jahrbuch der
Rheinischen Denkmalpflege 30/31, 1985, S. 9-24. - Binding/
Linscheid-Burdich 2002, S. 101-156 mit Quellen und Literatur.
5 Günther Binding: Ein Beitrag zum Verständnis von usus
und ars im 11./12. Jahrhundert, in: Miscellanea Mediaevalis

22, 1994, S. 967-980. - Binding, Bauherr 1998, S. 283-314.
- Binding/Linscheid-Burdich 2002, S. 101-104 mit Quellen-
angaben.
6 Vita Bernwardi 33 f.; Kallfelz 1973, S. 328-333. - Der Streit
wurde erst Ende 1006 in der Pfalz Pöhlde durch den Kaiser
geschlichtet (Kap. 43).
7 Richard Wenskus: Sächsischer Stammesadel und fränki-
scher Reichsadel. (= Abhandl. d. Akad. d. Wiss. zu
Göttingen, Phil.-Hist. Klasse, 3. Folge, Nr. 93) Göttingen
1976, S. 142 f. - Hans Jakob Schuffels: Bischof Bernward von
Hildesheim, in: Das Kostbare Evangeliar des Heiligen Bern-
ward. Hrsg. Michael Brandt, München 1993, S. 8-17. -
Rudolf Schieffer: Ein Bischof vor tausend Jahren, in: Hildes-
heimer Jahrbuch 64, 1993, S. 13-26.
8 Zu der Bildung der Bauherren und zu den septem artes
liberales siehe Binding, Bauherr 1998, S. 101-205.
9 Vita Bernwardi 1; Kallfelz 1973, S. 276 f.; die Übersetzung
wurde verändert, dazu siehe Binding/Linscheid-Burdich
2002, S. 26 f. mit Anm. 7, 8.
10 Binding, Bauherr 1998, S. 45 f. - Exodus 31, 1-10 ist fast
gleichlautend. Die Übersetzung wurde nach der Vulgata vor-
 
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