Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kimpflinger, Wolfgang; Neß, Wolfgang; Zittlau, Reiner; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das Fagus-Werk in Alfeld als Weltkulturerbe der UNESCO: Dokumentation des Antragsverfahrens — [Hannover]: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 39.2011

DOI Heft:
3. Begründung für die Eintragung
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.51160#0104
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3. Begründung für die Eintragung

Mit Schreiben vom 30. September 2010 bittet ICOMOS um ergänzende Informationen zum Punkt
3.D der Bearbeitungsrichtlinien (Integrität und/oder Authentizität).
„Augmentthe chapter on Integrity-Authenticity included in the nomination dossier which
mainly focuses on the industrial function of the property which is still in use today"
Folgende Erläuterungen wurden am 18.11.2010 nachgereicht:

Wie im Vergleich des Alfelder Fagus-Werks mit
dem Dessauer Bauhaus bereits dargelegt,
kommt dem Fagus-Werk aus architekturge-
schichtlicher Sicht die außergewöhnliche Funk-
tion eines Gründungsbaus zu, der erstmals in
absolut konsequenter Handhabung seiner Ge-
staltungsmittel den Stilwandel vom Historismus,
Neoklassizismus und Jugenstil zur modernen Ar-
chitektur schlüssig und nachvollziehbar veran-
schaulicht. Kein anderes Bauwerk der Welt kann
zur gleichen Entstehungszeit ein dem Fagus-
Werk adäquates Innovationspotential aufwei-
sen. Und kein anderes Bauwerk kann die Ab-
kehr von den Gestaltungsmotiven der vorange-
gangenen Epoche klarer bezeugen. Insofern ist
das Fagus-Werk von Walter Gropius der wich-
tigste Schlüsselbau für die Entwicklung der mo-
dernen Architektur des 20. Jahrhunderts.
Insbesondere im Vergleich mit den funktionali-
stischen und reformorientierten Bauten derzeit
um 1910 stellt sich heraus, dass kein anderer Ar-
chitekt es zu dieser Zeit vermochte, die traditio-
nellen oder damals aktuellen Stilelemente voll-
ständig über Bord zu werfen und mit seinem Ent-
wurf zugleich ein außergewöhnliches Kunst-
werk zu schaffen, das in stilistischer Hinsicht aus-
schließlich neue Form-, Gestaltungs- und Kon-
struktionselemente inszeniert. Man kann ohne
Weiteres feststellen, dass alle Zeitgenossen im
Spielfeld der Architektur sich entweder noch
den genannten herkömmlichen Stilelementen in
irgendeiner Weise verpflichtet fühlten oder aber
mit neuen Materialien und Techniken experi-
mentierten, ohne dabei das Resultat Kunstwerk
im Blick zu haben.
Es entspricht keiner Übertreibung, wenn sowohl
der Formenschatz als auch die Gestaltung des
Fagus-Werks, die bis auf den heutigen Tag dem
Bauensemble ablesbar sind, in höchstem Maß
als authentisch angesehen werden. Unter Be-
rücksichtigung des Alters von nahezu einhun-
dert Jahren und unter Anrechnung der Abnut-
zung, der ein Industrieensemble unterliegt, ist
auch die Bausubstanz des Fagus-Werks in wei-
ten Teilen als authentisch zu bewerten. Eine Un-
versehrtheit wie an einem Neubau kann es an
einem einhundertjährigen Gebäude indessen

nicht geben. Insofern sind Reparaturen und Res-
taurierungen sowie ersetzte Teile, die während
der letzten 25 Instandsetzungsjahre die Wun-
den des Bauensembles geheilt haben, achtens-
werte Bestandteile der denkmalwerten Bausub-
stanz geworden. Die Denkmalpflege hat sich mit
vielen anderen Beteiligten dem Sanierungsge-
schehen mit größtmöglichem Sachverstand ge-
widmet und alle notwendigen Behandlungen
erfolgreich begleitet. Aus diesem Grund werden
die Anforderungen an die durch die Instandset-
zung tangierte Integrität des Fagus-Werks als
ausgezeichnet erfüllt beurteilt. Aufgrund der
bau-, planungs- und denkmalrechtlichen Schutz-
instrumentarien sind die Perspektiven für eine
zukünftige Unversehrtheit des Fagus-Werks am
authentischen Ort garantiert.
Wie im Antrag dargelegt, entspricht die Nut-
zung des Fagus-Werks im überwiegenden Teil
der Bauten den ursprünglichen Produktionsab-
läufen der Schuhleistenfabrikation. Für die Bau-
teile, in denen neue Arbeitsstätten bzw. öffent-
lich zugängliche Ausstellungsflächen entstan-
den sind, hat der Bauherr adäquate Nutzungs-
anforderungen entwickelt, die der außerge-
wöhnlichen Bedeutung der Architektur keinen
Schaden zufügen, sondern, ganz im Gegenteil,
die architektonische Aussagefähigkeit sogar
noch verstärken. Daszeigtsich beispielsweise im
Maschinenhaus und im Lagerhaus, Bauteilen
des Ensembles, in denen die Erlebbarkeit der In-
nenräume durch die Umnutzung einen enormen
Gewinn verbuchen kann.
Im Hinblick auf die technische Integrität des Fa-
gus-Werks ist das Hauptaugenmerk besonders
auf die „Vorhangfassadenelemente" des Ver-
waltungsbaus zu richten. Besonders aufseiten
der Denkmalpflege, aber auch aufseiten aller an-
deren Beteiligten, war zu lernen, mit einer Erfin-
dung umzugehen, die zwar optisch, aber nicht
in Material und Konstruktion perfekt gelungen
war und der es an Nachhaltigkeit und Lebens-
dauer mangelte. In der heutigen Kombination
der ertüchtigten und der erneuerten Fassaden-
elemente wird der konsensual vertretene An-
spruch auf einen besonders behutsamen Um-
gang mit diesen empfindlichen Bauteilen deut-

79
 
Annotationen