Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsches Archäologisches Institut / Abteilung Athen [Hrsg.]
Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung — 41.1916

DOI Heft:
Drittes Heft
DOI Artikel:
Möbius, Hans: Über Form und Bedeutung der sitzenden Gestalt in der Kunst des Orients und der Griechen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37286#0181
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
FORM UND BEDEUTUNG DER SITZENDEN GESTALT 155
Das zweite Kennzeichen des Göttinnen-Typus ist die überaus
starke Lebendigkeit, von der die ganze Gestalt erfüllt ist. Der
Oberkörper erscheint bald von vorn, bald von der Seite gesehen;
daß er oft nach vorn geneigt ist, wird z. T. dem Raumzwang
zuzuschreiben sein, vermehrt aber den Eindruck der Bewegung.
Das ‘vordere’ Bein wird weiter als in Ägypten zurückgesetzt,
die Füße stehen in der Regel nicht auf, sondern berühren den
Boden nur mit den Zehen oder hängen ganz frei herab (Taf. V 5).
Sehr verschieden von den bisher erwähnten Darstellungen
ist eine Gemme1, die abseits von den andern im östlichen Kreta
gefunden wurde. Hier erscheint die Göttin, einem Pfeileridol
ähnlich, in einem sackartigen Gewand, das beide Arme verhüllt,
und sitzt zwischen zwei antithetisch gruppierten Löwen selbst
auf einem Löwenkopf. Man hat natürlich an die phrygische
Kybele von Arslan Kaja2 erinnert, aber das Sitzen auf einem
Tierkopf ist mir sonst unbekannt.
Sitzende, die mit Sicherheit auf Sterbliche gedeutet werden
müßten, sind auf Gemmen selten3 *. Von Wandgemälden ist vor
allem ein Fresko aus Knossos wichtig, auf dem sitzende Frauen,
wahrscheinlich als Zuschauerinnen, erscheinen1. Dadurch, daß
die eine von ihnen sich nicht nur umwendet, sondern auch den
Kopf der Nachbarin zuneigt, ist eine neue Freiheit der Bewegung
erreicht; selbst in den Familienbildern von El-Amarna sahen die
Menschen noch starr geradeaus. Ebenfalls Zuschauer sind auf
Klappstühlen5 sitzende Männer und Frauen auf einem anderen
knossischen Fresko6 und Damen in Logen auf einem mykenischen
Wandgemälde7. Jedenfalls ist hervorzuheben, daß wir die Menschen
der kretisch-mykenischen Kultur nicht auf Votivbildern und Toten-
malen, sondern auf heiteren Festdarstellungen sitzend finden.
1 JHS. XXI 1901, 165 Fig. 45. Die Beziehung der kretischen Göttin
zur kleinasiatischen Kybele dargestellt von Prinz, AM. XXXV 1910, 149.
2 JHS. V 1884 pl. 44.
3 Ein frühminoischer Brettspieler: Evans, Palace of Minos 1 124
Abb. 93 A, a 2.
1 Bossert, Altkreta2 Abb. 60.
5 Der Klappstuhl als Sitz des Minotauros auf einem Siegel aus
Knossos (BSA. Vll 1900/1, 18 fig. 7a).
6 Rodenwaldt, Tiryns II 78 Anm. 2.
7 AM. XXXVI 1911 Taf. 9, 2. Bossert, Altkreta2 Abb. 222.
 
Annotationen