FORM UND BEDEUTUNG DER SITZENDEN GESTALT 217
als Schutzflehende in das Heraion von Kerkyra, wo es gewiß
keine Stühle gab (Thuk. I 24, 7).
Die Monumente, die uns diese Anschauung illustrieren,
sind nicht allzuhäufig. Zunächst haben wir den bekannten
Adrestos-Skyphos in Kopenhagen1 zu erwähnen. Nachdem
die Übermalung entfernt ist und die beiden hockenden Gestalten
als Männer erkannt sind, werden wir nicht mehr zögern, auf
Abekens alte Deutung2 zurückzugreifen [und in ihnen Tydeus
und Polyneikes als Schutzflehende zu sehen.
Auf einer schönen griechisch-römischen Gemme3, die Furt-
wängler gewiß mit Recht auf eine Komposition des V. Jhs. zurück-
geführt hat, finden wir den flehenden Priamos vor Achilleus
auf der Erde sitzend. Ferner gehört hierher die zum Athena-
bild geflüchtete Kassandra eines ‘melischen’ Reliefs4 und der an
den Omphalos gelehnte Orestes auf Vasen5. Die beiden letzteren
stimmen in der Haltung mit den auf der niedrigen Stufe des Grab-
mahls sitzenden Toten auf weißgrundigen attischen Lekythen6
überein.
13. Wenn Seher und Seherinnen auf der Erde sitzend
dargestellt werden, so empfand man das wohl einerseits als
urtümlich-ehrwürdig, andrerseits bedeutete es eine Annäherung
an die geheimnisvolle Allmutter, die Träume und Weissagungen
aus der Tiefe heraufsendet. Schon Homer berichtet von den
2eZlol avuiTÖJtoöeg x<x/mi8vvcu (77235) in Dodona. In der bilden-
den Kunst sind die Darstellungen von Vertretern der Mantik
selten und unsicher. Als Seher werden wir wohl den alten
Halimedes auf dem Berliner Amphiaraoskrater und ebenso die
beiden Greise im Ostgiebel des olympischen Zeustempels7 deuten
dürfen, doch kann im ersteren Falle das Sitzen auf der Erde
1 Robert, Oidipus I 197 fig. 35. Dazu Rumpf in AM. XXXXVI 1921,
169, 190 und Chalkid. Vasen Taf. 38, S. 15 Nr. 19.
2 Annali XI 1839, 255 ff.
3 Furtw., Gemmen Taf. XLIII 20.
4 Arch. Ztg. XL 1882 Taf. 8.
5 Campanische Hydria in Berlin, Arch. Anz. 1890, 90.
6 Riezler, Weißgrundige attische Lekythen Taf. 61—65, 84, 85, 87.
7 Buschor-Hamann, Skulpt. des Zeustempels 23 Taf. III, XXIII.
K. i. B. VIII/IX 242, 2. Zur Deutung Studniczka, Abhdlg. Sachs. Akad.
d. Wiss. 1923, 21 ff.
als Schutzflehende in das Heraion von Kerkyra, wo es gewiß
keine Stühle gab (Thuk. I 24, 7).
Die Monumente, die uns diese Anschauung illustrieren,
sind nicht allzuhäufig. Zunächst haben wir den bekannten
Adrestos-Skyphos in Kopenhagen1 zu erwähnen. Nachdem
die Übermalung entfernt ist und die beiden hockenden Gestalten
als Männer erkannt sind, werden wir nicht mehr zögern, auf
Abekens alte Deutung2 zurückzugreifen [und in ihnen Tydeus
und Polyneikes als Schutzflehende zu sehen.
Auf einer schönen griechisch-römischen Gemme3, die Furt-
wängler gewiß mit Recht auf eine Komposition des V. Jhs. zurück-
geführt hat, finden wir den flehenden Priamos vor Achilleus
auf der Erde sitzend. Ferner gehört hierher die zum Athena-
bild geflüchtete Kassandra eines ‘melischen’ Reliefs4 und der an
den Omphalos gelehnte Orestes auf Vasen5. Die beiden letzteren
stimmen in der Haltung mit den auf der niedrigen Stufe des Grab-
mahls sitzenden Toten auf weißgrundigen attischen Lekythen6
überein.
13. Wenn Seher und Seherinnen auf der Erde sitzend
dargestellt werden, so empfand man das wohl einerseits als
urtümlich-ehrwürdig, andrerseits bedeutete es eine Annäherung
an die geheimnisvolle Allmutter, die Träume und Weissagungen
aus der Tiefe heraufsendet. Schon Homer berichtet von den
2eZlol avuiTÖJtoöeg x<x/mi8vvcu (77235) in Dodona. In der bilden-
den Kunst sind die Darstellungen von Vertretern der Mantik
selten und unsicher. Als Seher werden wir wohl den alten
Halimedes auf dem Berliner Amphiaraoskrater und ebenso die
beiden Greise im Ostgiebel des olympischen Zeustempels7 deuten
dürfen, doch kann im ersteren Falle das Sitzen auf der Erde
1 Robert, Oidipus I 197 fig. 35. Dazu Rumpf in AM. XXXXVI 1921,
169, 190 und Chalkid. Vasen Taf. 38, S. 15 Nr. 19.
2 Annali XI 1839, 255 ff.
3 Furtw., Gemmen Taf. XLIII 20.
4 Arch. Ztg. XL 1882 Taf. 8.
5 Campanische Hydria in Berlin, Arch. Anz. 1890, 90.
6 Riezler, Weißgrundige attische Lekythen Taf. 61—65, 84, 85, 87.
7 Buschor-Hamann, Skulpt. des Zeustempels 23 Taf. III, XXIII.
K. i. B. VIII/IX 242, 2. Zur Deutung Studniczka, Abhdlg. Sachs. Akad.
d. Wiss. 1923, 21 ff.