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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 19.1903

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1903

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 1


mehr frei die Zügel

ganz
und

Architekt: Professor
Karl Hoffacker
in Karlsruhe.
Ausgeführt von
Böswau & Knauer
in Berlin.
schiessen liess

Pilasterornament
am Parfümerie-
Pavillon auf der
Pariser Weltaus-
stellung 1900.

Kapital vom Schiffahrtsgebäude auf
der Pariser Weltausstellung 1900.
Architekt: Georg Thielen f.
Ausgeführt von Boswau & Knauer
in Berlin.

Zwickel und Kartusche
vom Schifffahrtsgebäude auf der Pariser
Weltausstellung 1900.
Architekt: Georg Thielen f.
Ausgeführt von Boswau & Knauer in
Berlin.

Säule im Foyer des Trianon-
Theaters in Berlin.
Architekt: Fr. Jaffe in Berlin.
Modelliert von Rob. Schirmer
daselbst.


Wie haben sich nun
die oben genannten
drei Richtungen der
Ornamentbehandlung in
der letzten Zeit entwickelt?
Ewig ist die Kunst:
Ihre Ideale sind unwandelbar
dieselben, aber sie ist auch ewig
jung und ewig neu. Ist sie nicht
ein ewiges Wiederanfangen, eine un¬
unterbrochene Rückkehr zum »Schönen, Wahren
und Nützlichen«, und sind nicht diese Begriffe
immer und immer wieder verschieden gedacht,
verstanden und ausgedrückt worden? Und diese Verschieden-
heit der Anschauung findet sich nicht nur bei verschiedenen
Rassen und Völkern und im Laufe der Jahrhunderte. Jeder
einzelne macht solche Wandlungen der Anschauungen
unbewusst durch, der eine mehr, der andere weniger,
zwar um so mehr, je vielge¬
staltiger die Entwickelung un¬
serer Kunst einsetzt.
Noch ist es nicht allzu
lange her, dass die Lehre von
der Entbehrlichkeit jedes
Ornamentes als die Befreiung
von einem unnützen Ballast
begrüsst wurde, weil allein die
konstruktive Linie den Schmuck
einer künstlerisch wahrhaften
Schöpfung bilden dürfe.
Ein gefeierter Vertreter die¬
ser Richtung, van der Velde,
hat sein Streben nach einer rein
abstrakten Ornamentik selbst
Vorjahresfrist*) mit folgenden
Worten gekennzeichnet:
»Ich habe eine Form der Orna¬
mentik aufstellen wollen, welche der
Willkür der Künstlerphantasie nicht
ebensowenig wie dies einem Ingenieur für die äussere Form einer Loko-
motive, einer eisernen Brücke oder einer Halle verstattet wäre. Die-
selben Gesetze, welche die Arbeiten des Ingenieurs leiten, leiten auch die
Ornamentik, welche ich der Technik hierin gleich machen will. Die Ueber-
legung und die Geschmeidigkeit, welche für jene charakteristisch sind,
müssen auch für diese bezeichnend sein... Es kann niemandem in den Sinn
kommen, dass unsere Banken, unsere Börsen und unsere Bahnhöfe in
ihrer Abstammung irgendwelche Beziehung zu den Tempeln und Kirchen
der Vergangenheit haben. Unsere modernen Bauten haben keine andere
Bedeutung als ihren Zweck. Unsere Bahnhöfe, Dampfboote und Brücken,
unsere Türme von Eisen haben keineswegs den geheimen Sinn, den An-
blick der Welt mit ihrem Erdreich, ihren Bäumen, ihrem Himmel, ihren
Sternen und Gestirnen zum Ausdruck zu bringen, wie das die alten Tempel

gäbe des Ornamen-
tes am deutlichsten
die einander wider-
streitenden Richtungen
der neuen Kunst wider.
Aber auch die jüngste Ver-
gangenheit hat uns manche An-
zeichen einer Annäherung und Ver-
mittlung der Gegensätze gebracht.
Zwar stehen im Kunstgewerbe noch
die drei Richtungen einander gegenüber, von
denen die eine das Ornament für ganz über-
flüssig erklärt und lediglich durch die Linien-
führung der Konstruktion ersetzen möchte, während die zweite
ihm eine Daseinsberechtigung nicht abstreitet, aber nur die
abstrakte Form eines wesenlosen Linienspieles zulassen will
und die dritte den Naturalismus als Grundlage für eine neue
Formgebung empfiehlt. Aber es scheint sich eine stetig fort-
schreitende Annäherung zu vollziehen und zwar in Deutsch-
land unter dem Einflüsse der eifrig betriebenen Naturstudien
eine Wandlung, die eine nationale Richtung im Gegensatz zu
der Kunst anderer Völker

• zu bringen verspricht.
An den guten deutschen Arbei-
ten auf der Turiner Ausstellung,
welche unter Leitung hervorragen-
der Architekten entstanden waren,
zeigte das Ornament ein reifes Mass-
halten, eine nach höheren, um-
fassenderen Gesichtspunkten be-
stimmte Unterordnung, die es neben
Farbe und Material als eins der
Mittel zur gewollten Gesamtwirkung
erscheinen liessen. Fiel dies im
Gegensatz zu den formüberladenen
italienischen Arbeiten als eine völlige
Verhältnisses italienischer und deut-
auf, so war die Beobachtung gewiss

Umkehrung des früheren
scher Arbeiten besonders
nicht weniger überraschend, dass, abgesehen von den offen-
kundigen Anlehnungen an mittelalter-
liche Vorbilder, auch in den neuen
Formen vielfach ganz unverkennbare
Beziehungen zur deutschen Ueberliefe-
rung, namentlich aus gotischer Zeit,
oder, vielleicht besser gesagt, ganz
gotisch empfundene Formen und Kon-
struktionen zu Tage traten.
Wer dies zusammenhält mit der auf-
fälligen Wiederaufnahme der Formen
des Rokoko und der Biedermeierzeit
an anderer Stelle und mit der bewuss-
ten freien Verwendung historischer
Motive an zahlreichen ganz modern
empfundenen Bauten der Düsseldorfer
Ausstellung, wird darin leicht einen
Teil der Antwort finden auf die Fragen,
welche sich uns vor Jahresfrist bei
unserer Rundschau über die Kunst-
entwickelung aufdrängten: Ist die mo-
derne Richtung so stark und die Los-
lösung von der Vergangenheit so voll-
kommen, dass wirklich eine völlig
neue Kunst zu erstehen vermag?
Wird man für alles neue und
bessere Formen finden? Oder wird
man zurückgreifen auf den Formen-
schatz der Vergangenheit? Werden
nicht auch die Künstler des 20. Jahr-
hunderts wenigstens Anregung und
Belehrung schöpfen aus den Werken
früherer Jahrhunderte und die Ge-
danken ihrer Vorgänger aufnehmen,
um sie in ihrer Weise weiterzuspinnen?






*) Die Renaissance im modernen Kunstgewerbe. Von Henry van der
Velde. Verlag von Bruno & Paul Cassirer, Berlin.

Füllung vom Metropolhotel
in Stettin.

Architekten: Kristeller & Sonnenthal in Berlin.
Modelliert von Rob. Schirmer in Berlin.


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