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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 19.1903

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1903

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 1


k^iug, die kleine Hauptstadt des
iÖM gleichnamigen Schweizer Kan-
tons, wird von dem grössten Teile
der Reisenden, die während des
Sommers die Schweiz besuchen,
lediglich als Durchgangspunkt be-
nutzt. Sich dort auf mehrere Wochen
niederzulassen, verlohnt sich in ihren
Augen kaum der Mühe, weil ver-
hältnismässig wenige Sinn für ein
altes Städtchen haben, dessen Be-
schreibung im Reisehandbuch kein
Bauwerk eines allgemein gekannten
und berühmten Meisters nennt.
Aber der Architekt ist froh,
gerade in den urwüchsigsten und
naivsten Erzeugnissen der Ver-
gangenheit den klarsten und be-
stimmtesten Ausdruck der Landes-
kunst wiederzufinden. Ihn lässt

Reiseskizzen
aus Zug.
Von S. von Suchodolski, Architekt
in München.

Thür aus dem Museum
(Stadthaus).

unter Umständen die charakteri-
stische Form einiger Giebel und

Türmchen viel deutlicher den Unterschied zwischen den landes¬

üblichen Bauarten erkennen, als dies bei der Betrachtung um-
fangreicherer Bauwerke der Fall ist.
Die Profanarchitektur der deutschen Kantone ist im all¬

gemeinen

Die Museumsgasse mit dem
«Zytturm«.

urdeutschen Charakters und trägt in auffallendster
Weise den Volksgeist ihrer Schöpfer zur Schau;
denn das, was uns am Schweizer in Bezug auf
Geradheit und Festigkeit des Charakters auffällt,
übertrug sich auf seine Baukunst in Form einer
Biderbheit, einer Kraft der Umrisslinien, die von
den bei uns heimischen Formen sichtlich abweicht.
Die folgenden Blätter bringen etliche Bei-
spiele, welche zeigen,

mit welchem Zielbewusst-
sein durch kräftige Aus-
ladung der Dachgesimse,
durch starke Betonung
der Dachausbauten u.s.w.
eine möglichst markante
Gesamterscheinung ge-
schaffen wurde; das Reiz-
vollste bleibt aber dabei,
dass trotzdem die Zier-
lichkeit des Details voll-
auf gewahrt ist; ja, es
will mir sogar scheinen,
als ob der Schweizer des
Mittelalters in dieser Be-
ziehung weniger schwer-
fällig als unsere deutschen
Meister vorgegangen sei.
Typisch in dieser Bezie-
hung sind u. a. besonders
die zierlichen Dachreiter,
deren ungemein schlanke


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Gestaltung auf den
ersten Blick oft in gar
keinem Verhältnis zu
der Masse des ge¬
samten Bauwerkes zu
stehen scheint.
In dem Zytturm
in Zug haben wir ein
Beispiel dieser Art.
Der Dachreiter balan¬
ciert förmlich auf dem
First und wirkt un-
gemein graziös. Der
ehrwürdige Turm, so¬
zusagen das Wahr¬
zeichen der Stadt, ist
noch ein Stück der
alten Ringmaueranlage
von Zug. Erst im
Jahre 1587 erhielt er
seine jetzige Gestalt;
anfangs war er niedri¬
ger, später mit Zinnen
bekrönt; der Helm da¬
tiert aus dem oben ge¬
nannten Jahre. 30Jahre
später erhielt der Turm
eine Wandbemalung,
gänzlich zerstört wurde.
Ebenso reizvoll wie durch seine Form wirkt der Turm
durch die Zusammenstellung der Farben: das Rotbraun des
Dachreiters, das bunteingedeckte Dach (hauptsächlich weiss-
blau) und das rot-gold-schwarz gehaltene Zifferblatt. Neuerdings
hat man auch die alte Fassadenmalerei erneuert; ob durch diese
moderne Bemalung gerade der rein altertümliche Eindruck des
Bauwerks gehoben wurde, möchte ich dahingestellt sein lassen.
Der Zuger Chronik entnehmen wir weiter, dass in dem Turm
früher Gefängnisse in Form massiver Holzkästen sich befanden,
und zwar in unmittelbarer Nähe der Uhr, deren knarrender
Ton die Gefangenen jederzeit aus dem Schlummer oder aus
ihrem Hinbrüten aufgeschreckt habe. (E. Kaiser, Führer durch
Zug.)
Der Zytturm bildet eine reizende Gruppe mit den ihn um-
gebenden Häusern, obgleich dieselben, nach dem Markte zu,
grösstenteils unserer Zeit angehören. Zu erwähnen ist hier das
alte Kaufhaus, genannt Grosshaus, das aus dem Jahre 1489
stammt. Der Erker links stammt aus dem Jahre 1491.
Als Abschluss der malerischen oberen Altstadtgasse
präsentiert sich der oben genannte Zytturm wohl am günstigsten.
Das Gesamtbild dieser Gasse, mit ihren über das Erdgeschoss
vorgebauten Obergeschossen, den weitausladenden
Dachgesimsen in Form einer grossen Hohlkehle
oderauch Hängeplatte und
den allenthalben auftreten¬
den malerischen Dach¬
fenstern, gleichfalls mit
weitauskragenden Däch-
lein, giebt so recht das
typische Bild eines Schwei¬
zer Strässchens.
Einer Gasse, die der
eben erwähnten parallel
läuft, gehören die zwei
Häuser aus der goti¬
schen Zeit an, die Häuser
Nr. 9 und 11 in der Unteren
Altstadtgasse. Sie tragen
die Jahrzahlen 1526 und
1528; das Haus zur linken
war früher unterhalb der
Fenster des 1. Stockwerks
mit einer Freskomalerei

Privatliaus.



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