1903
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 3
stab, dann aber auch die
ganze Umgebung, der Cha¬
rakter der Strasse u.s.w. in
Betracht zu ziehen. Eine
wahrhaft vornehme Beleuch¬
tung wird durch ihre An¬
ordnung, durch geschickte
Wechselwirkungen u. s. w.
die Blicke der Vorüber¬
gehenden weit mehr fesseln
und die Waren unendlich viel begehrenswerter erscheinen
lassen, als die grellste Bogenlichtbeleuchtung, denn auch hier
ist die Grenze, bis zu welcher die Stärke der Beleuchtung den
Ausschlag gibt, ziemlich eng gezogen. Die Reklamebeleuchtung
der neuesten Zeit, das rötliche Licht der Bremer-Bogenlampen,
liefert den Beweis, dass die Lichtfülle zwar immer noch so zu
steigern ist, dass sie einzelne Partieen des Strassenbildes ge-
radezu schreiend heraustreten lässt; aber ein besonderes An-
ziehungsmittel für die Schaufenster bildet sie nicht. Im Gegenteil,
neben der übertriebenen Helligkeit erscheint die gut abgestimmte
Beleuchtung dem Auge um so angenehmer und anziehender.
Aus demselben Grunde
ist auch Vorsicht zu empfeh-
len in der Anwendung der
in manchen Städten ja be-
reits verbotenen Reklame-
beleuchtung der Fusssteige
vor den Läden mit wech-
selnder Schrift oder Bil-
dern, die sich viel zweck-
mässiger durch hübsche
Mosaikeinlagen im Plattenbelag ersetzen liessen, z. B. einen
Fisch vor einem Fischladen u. s. w., während Metallbuch-
staben u. dergl. im Fussboden wegen der Glätte gefährlich und
deshalb zu vermeiden sind.
Alles das zeigt, wie weitgehend und vielseitig der Archi-
tekt an der künstlerisch befriedigenden Lösung der Schau-
fensterfrage teilnehmen kann. Er hat nicht nur durch zweck-
mässige Anordnung des Aufbaues und wohl überlegte Wahl
der Baustoffe und Farben für die Umrahmung der Schaufenster
die Grundbedingungen für das Gelingen der ganzen Anlage
zu schaffen; sein sachverständiger Rat wird dem einsichts-
vollen Geschäftsmann auch für die Einrichtung der Schaufenster
von grossem Wert sein, wenn auch die Benutzung der Schau-
fenster und das Auslegen der Waren allein Sache des Ver-
käufers ist und der Architekt hier nicht zu viel thun darf,
schon um dem Verkäufer nicht die Herstellung der unbedingt
nötigen Abwechslung in der Anordnung der Waren zu
erschweren oder unmöglich zu'machen.
Fries im Festsaal der Bismarcksäle
in Berlin.
Architekt: L. Teichen in Berlin.
Ausgeführt von Alb. Kretzschmar in Berlin.
Schaufensteranlage am Geschäftshaus der Architekt: Regierungsbaumeister Walther
Deutschen Kolonialgesellschaft in Berlin. in Grünewald.
Detail. In Bronze ausgeführt von Schulz & Holde-
fleiss in Berlin.
Auf die unendlich mannigfaltigen Möglichkeiten in der Er-
zielung von künstlerisch wirksamen Lichteffekten durch An-
wendung von farbiger Beleuchtung, Schirmen, Reflektoren, ab-
wechselndem Aufleuchten einzelner Lampen oder ganzer Lampen-
systeme hier näher einzugehen, würde zu weit führen, da es
sich dabei stets um den einzelnen Fall und die besonderen Um-
stände handelt, so dass allgemeinere Regeln wohl kaum entwickelt
werden können. Es sei nur auch hier nochmals besonders
betont, dass alles Gewaltsame nicht künstlerisch befriedigend
wirken kann. Nach Sättigung der Neugier werden die Vorüber-
gehenden an blitzartig aufleuchtender, blendender Reklame-
beleuchtung vielleicht die geschickte technische Ausführung
der Anlage anerkennen, sonst aber werden sie eher Verdruss
über die dadurch verursachten, wenn auch kleinen Verkehrs-
störungen empfinden, als dadurch zur Betrachtung der Waren-
auslagen angezogen werden.
Fries vom Dienstgebäude der Architekten: Becker.& Schlüter
Deutschen Tiefbau-Berufsgenos- in Berlin,
senschaft in Berlin. Modelliert von Rob. Schirmer
daselbst.
Für die Restaurierung alter Bauwerke
stellte Geh. Hofrat Prof. Dr. Cornelius Gurlitt in einem Vortrage im
Kgl. Sächs. Altertumsverein folgende beherzigenswerte Grundsätze auf.
Anfangs bestehe zumeist die Absicht, möglichst wenig zu thun, um
den Charakter des Bauwerks unverändert zu erhalten; aber bald erweisen
sich durchgreifende Umgestaltungen als unbedingt erforderlich, und diese
versuche man dann im Vertrauen auf die vorhandenen Anhaltspunkte
stilgerecht durchzuführen. Der Erfolg sei dabei immer, dass ein Fremdes,
Neues in den Bau getragen werde. Dass ein Künstler durch Gelehr-
samkeit sich in den Geist einer vergangenen Zeit oder eines alten Meisters
versetzen könne, sei der grosse Irrtum unsrer Zeit. Noch nie sei
es gelungen, wo es sich nicht um mechanische Arbeiten handle, fremde
Kunst erfolgreich nachzuahmen; die Formen alter Zeiten könnten wohl
richtig getroffen werden, aber nie der Geist. Daher endeten so viele
Erneuerungen mit einem Misserfolge. Die Restaurierung verwische den
Wert eines Bauwerkes als Urkunde seiner Zeit, sie nehme ihm die
Merkmale des Alters, um die des Stiles zu verbessern, sie nehme ihm daher
einen guten Teil seiner Ehrwürdigkeit und beraube ihn seiner Geschichte,
und gebe ihm dafür nur eine zweifelhafte Schönheit. Denn der restaurierende
Künstler könne nicht nach seinem Geschmack und mit vollen Kräften schaffen,
sondern müsse Rücksichten auf die Echtheit nehmen. Das Erhaltenswerte
eines Baues, die äussere vom Künstler bearbeitete Haut desselben, gehe
unrettbar im Laufe der Zeit zu Grunde; man könne den Untergang der-
selben zwar mit vielerlei Mitteln verzögern, aber nicht ganz verhindern.
Deshalb frage es sich nur, wann man die beschädigte Haut durch eine die
alte nachahmende neue ersetzen solle. Das solle man nach seiner Ansicht
so weit als möglich hinausschieben, also am alten Bau so wenig als möglich
thun, aber beizeiten dafür sorgen, dass, wenn der Verfall dann eintritt,
jederzeit die nachgeahmte Haut geschaffen werden könne. Man solle den
Bau zeichnerisch und durch Abformen genau aufnehmen und alles thun
was den Verfall verlangsamt, aber nicht vorzeitig daran herumarbeiten.
Bezüglich der Meissener Domfrage scheine jetzt der Dombauverein dahin
zu neigen, sich nicht an die historischen Formen zu halten, sondern die Türme
in geeigneten, zum Ganzen des Schlossbergs passenden Formen unsrer
Zeit zu bauen, ebenso wie frühere Zeiten in ihren Formen alte Bauten
vollendeten. Er könne dies nur als einen wenigstens der lebendigen Kunst
erspriesslichen Gedanken freudig begriissen.
Architekten: Zaar & Vahl in Berlin.
Ausgeführt von Alb. Kretzschmar in Berlin.
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ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
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stab, dann aber auch die
ganze Umgebung, der Cha¬
rakter der Strasse u.s.w. in
Betracht zu ziehen. Eine
wahrhaft vornehme Beleuch¬
tung wird durch ihre An¬
ordnung, durch geschickte
Wechselwirkungen u. s. w.
die Blicke der Vorüber¬
gehenden weit mehr fesseln
und die Waren unendlich viel begehrenswerter erscheinen
lassen, als die grellste Bogenlichtbeleuchtung, denn auch hier
ist die Grenze, bis zu welcher die Stärke der Beleuchtung den
Ausschlag gibt, ziemlich eng gezogen. Die Reklamebeleuchtung
der neuesten Zeit, das rötliche Licht der Bremer-Bogenlampen,
liefert den Beweis, dass die Lichtfülle zwar immer noch so zu
steigern ist, dass sie einzelne Partieen des Strassenbildes ge-
radezu schreiend heraustreten lässt; aber ein besonderes An-
ziehungsmittel für die Schaufenster bildet sie nicht. Im Gegenteil,
neben der übertriebenen Helligkeit erscheint die gut abgestimmte
Beleuchtung dem Auge um so angenehmer und anziehender.
Aus demselben Grunde
ist auch Vorsicht zu empfeh-
len in der Anwendung der
in manchen Städten ja be-
reits verbotenen Reklame-
beleuchtung der Fusssteige
vor den Läden mit wech-
selnder Schrift oder Bil-
dern, die sich viel zweck-
mässiger durch hübsche
Mosaikeinlagen im Plattenbelag ersetzen liessen, z. B. einen
Fisch vor einem Fischladen u. s. w., während Metallbuch-
staben u. dergl. im Fussboden wegen der Glätte gefährlich und
deshalb zu vermeiden sind.
Alles das zeigt, wie weitgehend und vielseitig der Archi-
tekt an der künstlerisch befriedigenden Lösung der Schau-
fensterfrage teilnehmen kann. Er hat nicht nur durch zweck-
mässige Anordnung des Aufbaues und wohl überlegte Wahl
der Baustoffe und Farben für die Umrahmung der Schaufenster
die Grundbedingungen für das Gelingen der ganzen Anlage
zu schaffen; sein sachverständiger Rat wird dem einsichts-
vollen Geschäftsmann auch für die Einrichtung der Schaufenster
von grossem Wert sein, wenn auch die Benutzung der Schau-
fenster und das Auslegen der Waren allein Sache des Ver-
käufers ist und der Architekt hier nicht zu viel thun darf,
schon um dem Verkäufer nicht die Herstellung der unbedingt
nötigen Abwechslung in der Anordnung der Waren zu
erschweren oder unmöglich zu'machen.
Fries im Festsaal der Bismarcksäle
in Berlin.
Architekt: L. Teichen in Berlin.
Ausgeführt von Alb. Kretzschmar in Berlin.
Schaufensteranlage am Geschäftshaus der Architekt: Regierungsbaumeister Walther
Deutschen Kolonialgesellschaft in Berlin. in Grünewald.
Detail. In Bronze ausgeführt von Schulz & Holde-
fleiss in Berlin.
Auf die unendlich mannigfaltigen Möglichkeiten in der Er-
zielung von künstlerisch wirksamen Lichteffekten durch An-
wendung von farbiger Beleuchtung, Schirmen, Reflektoren, ab-
wechselndem Aufleuchten einzelner Lampen oder ganzer Lampen-
systeme hier näher einzugehen, würde zu weit führen, da es
sich dabei stets um den einzelnen Fall und die besonderen Um-
stände handelt, so dass allgemeinere Regeln wohl kaum entwickelt
werden können. Es sei nur auch hier nochmals besonders
betont, dass alles Gewaltsame nicht künstlerisch befriedigend
wirken kann. Nach Sättigung der Neugier werden die Vorüber-
gehenden an blitzartig aufleuchtender, blendender Reklame-
beleuchtung vielleicht die geschickte technische Ausführung
der Anlage anerkennen, sonst aber werden sie eher Verdruss
über die dadurch verursachten, wenn auch kleinen Verkehrs-
störungen empfinden, als dadurch zur Betrachtung der Waren-
auslagen angezogen werden.
Fries vom Dienstgebäude der Architekten: Becker.& Schlüter
Deutschen Tiefbau-Berufsgenos- in Berlin,
senschaft in Berlin. Modelliert von Rob. Schirmer
daselbst.
Für die Restaurierung alter Bauwerke
stellte Geh. Hofrat Prof. Dr. Cornelius Gurlitt in einem Vortrage im
Kgl. Sächs. Altertumsverein folgende beherzigenswerte Grundsätze auf.
Anfangs bestehe zumeist die Absicht, möglichst wenig zu thun, um
den Charakter des Bauwerks unverändert zu erhalten; aber bald erweisen
sich durchgreifende Umgestaltungen als unbedingt erforderlich, und diese
versuche man dann im Vertrauen auf die vorhandenen Anhaltspunkte
stilgerecht durchzuführen. Der Erfolg sei dabei immer, dass ein Fremdes,
Neues in den Bau getragen werde. Dass ein Künstler durch Gelehr-
samkeit sich in den Geist einer vergangenen Zeit oder eines alten Meisters
versetzen könne, sei der grosse Irrtum unsrer Zeit. Noch nie sei
es gelungen, wo es sich nicht um mechanische Arbeiten handle, fremde
Kunst erfolgreich nachzuahmen; die Formen alter Zeiten könnten wohl
richtig getroffen werden, aber nie der Geist. Daher endeten so viele
Erneuerungen mit einem Misserfolge. Die Restaurierung verwische den
Wert eines Bauwerkes als Urkunde seiner Zeit, sie nehme ihm die
Merkmale des Alters, um die des Stiles zu verbessern, sie nehme ihm daher
einen guten Teil seiner Ehrwürdigkeit und beraube ihn seiner Geschichte,
und gebe ihm dafür nur eine zweifelhafte Schönheit. Denn der restaurierende
Künstler könne nicht nach seinem Geschmack und mit vollen Kräften schaffen,
sondern müsse Rücksichten auf die Echtheit nehmen. Das Erhaltenswerte
eines Baues, die äussere vom Künstler bearbeitete Haut desselben, gehe
unrettbar im Laufe der Zeit zu Grunde; man könne den Untergang der-
selben zwar mit vielerlei Mitteln verzögern, aber nicht ganz verhindern.
Deshalb frage es sich nur, wann man die beschädigte Haut durch eine die
alte nachahmende neue ersetzen solle. Das solle man nach seiner Ansicht
so weit als möglich hinausschieben, also am alten Bau so wenig als möglich
thun, aber beizeiten dafür sorgen, dass, wenn der Verfall dann eintritt,
jederzeit die nachgeahmte Haut geschaffen werden könne. Man solle den
Bau zeichnerisch und durch Abformen genau aufnehmen und alles thun
was den Verfall verlangsamt, aber nicht vorzeitig daran herumarbeiten.
Bezüglich der Meissener Domfrage scheine jetzt der Dombauverein dahin
zu neigen, sich nicht an die historischen Formen zu halten, sondern die Türme
in geeigneten, zum Ganzen des Schlossbergs passenden Formen unsrer
Zeit zu bauen, ebenso wie frühere Zeiten in ihren Formen alte Bauten
vollendeten. Er könne dies nur als einen wenigstens der lebendigen Kunst
erspriesslichen Gedanken freudig begriissen.
Architekten: Zaar & Vahl in Berlin.
Ausgeführt von Alb. Kretzschmar in Berlin.
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