1903
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 4
Fig. 7. Geschnitztes und bemaltes Oberlichtgitter einer Thür aus der Wilstermarsch.
(Im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg.)
unsrer Bauernkunst: Haben wir da nicht noch heutigentags
das urtümliche alte Haus, sogar noch ganz mit Holz bekleidet,
mit den heidnischen Donnerbesen, mit Pferdeköpfen am Gipfel,
bunt bemalt, geschnitzt, mit dem uralten Zaun? Haben wir
nicht noch die alte Punkt- und Strichtechnik, die Zickzack-
linien u. dgl. der altgermanischen Aschenurnen im hessischen
Bauernsgraffito, sowie in allerlei primitiver Bauernmajolika?
Haben wir da nicht noch an allerlei Gerät, Thiiren, Truhen,
Wagen und Schlitten die alte Eisenornamentik bis vor einigen
Jahrzehnten lebendig? U. a. m.
Ist es nicht geradezu auffällig, wie noch heutigentags
die alten Stammesunterschiede in den verschiedenen Typen
unsrer deutschen Bauernhäuser gewahrt sind? wie ferner
allerlei Hausrat unsrer Bauernhäuser merkwürdige Selbständig-
keit und Eigenart zeigt, so dass es Sachen gibt, die wir Städter
kaum für deutsch halten würden, wenn wir’s nicht wüssten,
z. B. Schwälmer, Schleswiger, pommersche Stühle, Bauern-
majoliken überallher, Filigranschmucksachen der Elbmarschen
u. a. m.?
Auch in der Kleinstadtbaukunst treten die alten Stammes-
unterschiede noch zu Tage. Man vergleiche etwa Tölz, Lüneburg
und ein Moselstädtchen, wie Kochern, obschon diese Unter-
schiede immerhin etwas geringer sind, als beim Bauernhause.
Dafür aber treten andre Unterschiede hinzu, die zwischen See-
städten, Marktstädten, Landstädten, Residenzen u. s. f. Im klein-
städtischen Kunstgewerbe hat’s früher gleichfalls solche Unter-
schiede gegeben,
wie wir z. B.
Bremer, Lüne-
burger, holstei-
nische, westfäli-
sche, bayrische,
Tiroler Truhen,
Siegburger,
Kreussener, Rae-
rener, Alt-Ham-
burger u. a. Tö-
pferarbeiten
deutlich unter-
scheidenkönnen.
Wenn wir
heute in diese
Welt uns versen-
ken, treiben wir
nicht bloss eine
akademisch-wis-
senschaftliche
Forschung; wir
schauen in einen
Spiegel, der uns
unsern Volks-
charakter deut-
lich zeigt, und
es ist zu hoffen,
dass aus diesem
Studium unsres
Volkstums in
seiner ursprüng-
lichsten, eigen-
sten Kunst für
Fig. 8. Sog. »Münze« in Friedrichstadt.
Fig. 6. Fischerhaus-Eingang. Ellerbek bei Kiel.
Die
der
der
An-
Kreise des Mittelstandes
an seine Stelle einfache,
in Bezug auf seine volks-
tümliche Kunst ein hochinteressantes, lehrreiches Land,
verschiedenen Bodenverhältnisse, die Verschiedenheiten
landwirtschaftlichen Betriebe, die Stammesunterschiede in
Bevölkerung und die politischen Verhältnisse haben eine
zahl abweichender Bauernhaustypen entstehen lassen und auch
die bäuerliche Kleinkunst stark beeinflusst.
unsre moderne
Kunst mit ihrer
Neigung zur
Einkehr in sich
selbst, zur Be-
tonung des Na-
tionalen, des
Eigenen allerlei
Gutes entsprin-
gen wird: nicht
nur, dass sie
volkstümlich in
dem Sinne na-
tionaler Eigen-
art werden wird,
dass ihre Er-
zeugnisse an
positivem
Deutschtum ge-
winnen, dass
sie vielleicht
auch wieder be-
sondere Stam-
meseigentüm-
lichkeiten auf¬
weisen wird, —
so kann sie wieder, wie in alten Zeiten deutscher Kunstblüte,
gesunde Herzenskunst werden, die dem Surrogatunwesen, das
heute bis hoch hinauf über die
herrscht, den Garaus macht und
kernige Ehrlichkeit setzt.
Schleswig-Holstein ist gerade
Die Bevölkerung des Landes ist ungewöhnlich verschieden-
artig. Wir haben da Niedersachsen (in Mittelholstein, Stormarn,
aber auch im Schleswigschen, z. B. im Dänischen Wohld, in
der Landschaft Stapelholm), Friesen (an der Westküste),
Stämme, die zwischen beiden stehen, wie die Dithmarschen,
sodann Angeln, Dänen, Wenden (Wagrien) und endlich hol-
ländische und westfälische Kolonisten (Holländerin der Wilster-
marsch, Eiderstedt, Vierlanden, sowie in Wagrien; Westfalen bei
Segeberg). Dazu
kommen dann
Mischungen an
den Grenzen
der einzelnen
Stämme. Die
Stammesange-
hörigkeit der
Bewohner von
Fehmarn und
der Propstei ist
noch nicht klar-
gestellt.
Fast überall
ist das Bauern-
haus Hauptun-
terscheidungs-
merkmal. In nie-
dersächsischen
Landen haben
wir einmal das
bekannte nie-
dersächsische
Haus aus Fach-
werk mit sei-
nem Pferdekopf-
Fig. 9. Haus in Friedrichstadt.
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ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
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Fig. 7. Geschnitztes und bemaltes Oberlichtgitter einer Thür aus der Wilstermarsch.
(Im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg.)
unsrer Bauernkunst: Haben wir da nicht noch heutigentags
das urtümliche alte Haus, sogar noch ganz mit Holz bekleidet,
mit den heidnischen Donnerbesen, mit Pferdeköpfen am Gipfel,
bunt bemalt, geschnitzt, mit dem uralten Zaun? Haben wir
nicht noch die alte Punkt- und Strichtechnik, die Zickzack-
linien u. dgl. der altgermanischen Aschenurnen im hessischen
Bauernsgraffito, sowie in allerlei primitiver Bauernmajolika?
Haben wir da nicht noch an allerlei Gerät, Thiiren, Truhen,
Wagen und Schlitten die alte Eisenornamentik bis vor einigen
Jahrzehnten lebendig? U. a. m.
Ist es nicht geradezu auffällig, wie noch heutigentags
die alten Stammesunterschiede in den verschiedenen Typen
unsrer deutschen Bauernhäuser gewahrt sind? wie ferner
allerlei Hausrat unsrer Bauernhäuser merkwürdige Selbständig-
keit und Eigenart zeigt, so dass es Sachen gibt, die wir Städter
kaum für deutsch halten würden, wenn wir’s nicht wüssten,
z. B. Schwälmer, Schleswiger, pommersche Stühle, Bauern-
majoliken überallher, Filigranschmucksachen der Elbmarschen
u. a. m.?
Auch in der Kleinstadtbaukunst treten die alten Stammes-
unterschiede noch zu Tage. Man vergleiche etwa Tölz, Lüneburg
und ein Moselstädtchen, wie Kochern, obschon diese Unter-
schiede immerhin etwas geringer sind, als beim Bauernhause.
Dafür aber treten andre Unterschiede hinzu, die zwischen See-
städten, Marktstädten, Landstädten, Residenzen u. s. f. Im klein-
städtischen Kunstgewerbe hat’s früher gleichfalls solche Unter-
schiede gegeben,
wie wir z. B.
Bremer, Lüne-
burger, holstei-
nische, westfäli-
sche, bayrische,
Tiroler Truhen,
Siegburger,
Kreussener, Rae-
rener, Alt-Ham-
burger u. a. Tö-
pferarbeiten
deutlich unter-
scheidenkönnen.
Wenn wir
heute in diese
Welt uns versen-
ken, treiben wir
nicht bloss eine
akademisch-wis-
senschaftliche
Forschung; wir
schauen in einen
Spiegel, der uns
unsern Volks-
charakter deut-
lich zeigt, und
es ist zu hoffen,
dass aus diesem
Studium unsres
Volkstums in
seiner ursprüng-
lichsten, eigen-
sten Kunst für
Fig. 8. Sog. »Münze« in Friedrichstadt.
Fig. 6. Fischerhaus-Eingang. Ellerbek bei Kiel.
Die
der
der
An-
Kreise des Mittelstandes
an seine Stelle einfache,
in Bezug auf seine volks-
tümliche Kunst ein hochinteressantes, lehrreiches Land,
verschiedenen Bodenverhältnisse, die Verschiedenheiten
landwirtschaftlichen Betriebe, die Stammesunterschiede in
Bevölkerung und die politischen Verhältnisse haben eine
zahl abweichender Bauernhaustypen entstehen lassen und auch
die bäuerliche Kleinkunst stark beeinflusst.
unsre moderne
Kunst mit ihrer
Neigung zur
Einkehr in sich
selbst, zur Be-
tonung des Na-
tionalen, des
Eigenen allerlei
Gutes entsprin-
gen wird: nicht
nur, dass sie
volkstümlich in
dem Sinne na-
tionaler Eigen-
art werden wird,
dass ihre Er-
zeugnisse an
positivem
Deutschtum ge-
winnen, dass
sie vielleicht
auch wieder be-
sondere Stam-
meseigentüm-
lichkeiten auf¬
weisen wird, —
so kann sie wieder, wie in alten Zeiten deutscher Kunstblüte,
gesunde Herzenskunst werden, die dem Surrogatunwesen, das
heute bis hoch hinauf über die
herrscht, den Garaus macht und
kernige Ehrlichkeit setzt.
Schleswig-Holstein ist gerade
Die Bevölkerung des Landes ist ungewöhnlich verschieden-
artig. Wir haben da Niedersachsen (in Mittelholstein, Stormarn,
aber auch im Schleswigschen, z. B. im Dänischen Wohld, in
der Landschaft Stapelholm), Friesen (an der Westküste),
Stämme, die zwischen beiden stehen, wie die Dithmarschen,
sodann Angeln, Dänen, Wenden (Wagrien) und endlich hol-
ländische und westfälische Kolonisten (Holländerin der Wilster-
marsch, Eiderstedt, Vierlanden, sowie in Wagrien; Westfalen bei
Segeberg). Dazu
kommen dann
Mischungen an
den Grenzen
der einzelnen
Stämme. Die
Stammesange-
hörigkeit der
Bewohner von
Fehmarn und
der Propstei ist
noch nicht klar-
gestellt.
Fast überall
ist das Bauern-
haus Hauptun-
terscheidungs-
merkmal. In nie-
dersächsischen
Landen haben
wir einmal das
bekannte nie-
dersächsische
Haus aus Fach-
werk mit sei-
nem Pferdekopf-
Fig. 9. Haus in Friedrichstadt.
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