1903
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 8
rrrnnruu
von 10 —15 cm mit ca. 25 cm Abstand aufwiesen.
Hier streckt man stets die jeweili-
gen Balkenlagen vor und kragt so
Stockwerk um Stockwerk über. In
Nordfrankreich liegen die Balken-
lagen parallel der Strassenfront und
werden bei grösseren Grundstücks-
breiten durch Unterzüge unterstützt.
Nur diese allein kragen vor
dem unteren Stockwerke aus, erhal-
ten übergelegte kräftige Schwellen,
welche zur Aufnahme der oberen
Fassadenwand dienen. (Vgl. Fig. 1.)
Diese Auskragung wird dann
durch ein oder mehrere Füllhölzer
gedeckt, welche reich mit Profilen,
gewundenen Stäben und figürlichem
Schmuck versehen, im Verein mit
den die auskragenden Unterzüge
unterstützenden, gleichfalls orna-
mentierten Kopfbändern dem ganzen
Aufbau ein sehr malerisches Ge-
präge verleihen. (Fig. 2 u. 3.)
Das Fassadensystem wird durch
diese Anordnung in grössere Achsen
geteilt, als sie bei unseren deutschen
Fachwerksbauten üblich sind.
Aber auch im Inneren des
Hauses erhalten diese Unterzüge
vielfach reiches Schnitzwerk, wie
Fig. 4 erläutert; diese zeigt ausser-
dem die viel angewandte Verlegung
der Balkenlage auf ihrer hohen
Kante, ein Zeichen, wie vorteilhaft
und konstruktiv die Erbauer ihr
Baumaterial zu benutzen wussten.
Die über den Unterzügen bezw.
deren Schwellen an der Vorderfront
stehenden Holzpfosten hatten 25,
30, ja 35 cm Breite (diese wird
allerdings bei manchen unserer Fach-
werkbauten durch noch grössere
Dimensionen übertroffen) und gingen
oftmals, aus einem Baumstamm
gefertigt, durch zwei, ja drei Stock-
werke hindurch (z. B. Fig. 7 in
Beauvais, Rue St. Laurent), während
-Aj 33 wcTl
- fiA't/iKA' ci/yien.
048
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'2'»id-
(6)
Wer von meinen Studiengenossen
erinnert sich nicht gerne der Tage in
Rouen, wo wir von dem Professeur
ä l’ecole superieure des Sciences et ä
l’ecole des beaux arts ä Rouen, Mcur
Leon de Vesly in später Mitternachts¬
stunde am Bahnhofe empfangen wur¬
den und wo dieser Herr im Verein
mit dem Direktor der dortigen Aka¬
demie während zweier Tage in der
zuvorkommendsten, unermüdlichsten
Weise den Führer durch die Stadt
mit ihren vielseitigen Denkwürdig¬
keiten machte. Alle Achtung für dieses
Entgegenkommen und vor allem auch
herzlichen Dank für die lehr- und
genussreichen Stunden, die der fran¬
zösische Maitre seinen deutschen
Kollegen spendete.
Aber auch die Landbevölkerung
sei hier nicht vergessen. Wem steht
nicht noch der Empfang auf der sagenumwobenen, vom Meere die zwischengestellten Pfosten und Riegel sehr geringe Breiten
umspülten Insel Mont St. Michel mit seiner himmelanstreben-
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z
den Kathedrale vor Augen und dazu
die kleine dralle Wirtin, die Mme Poulard
aine mit ihrer dringlichen Aufforderung:
»mangez, mangez donc Meurs, il y a en-
core beaucoup des poulardes chez M"ie
Poulard.«
Ja, sie hat uns gehegt und so ge-
pflegt, dass unser liebwerter Meister
und Leiter der Studienreise, Geheimer
Rat Professor Ch. Hehl, sich bewegen
liess, noch einen Tag des Verweilens
auf diesem paradiesischen Eilande zu-
zugeben.
Doch kehren wir nach dieser kleinen
Abschweifung zurück zum eigentlichen
Gegenstände dieser Zeilen, um zuerst
eine kurze Erklärung der durchgängig
und gleichartig angewandten Konstruk-
tionsweise der dortigen Fachwerkbauten
zu geben.
Diese ist gerade entgegengesetzt
derjenigen, welche wir in unserem
Mitteldeutschland, Niedersachsen und
Hessen, zu schauen gewohnt sind.
(8) oben. (26) unten.
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ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 8
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von 10 —15 cm mit ca. 25 cm Abstand aufwiesen.
Hier streckt man stets die jeweili-
gen Balkenlagen vor und kragt so
Stockwerk um Stockwerk über. In
Nordfrankreich liegen die Balken-
lagen parallel der Strassenfront und
werden bei grösseren Grundstücks-
breiten durch Unterzüge unterstützt.
Nur diese allein kragen vor
dem unteren Stockwerke aus, erhal-
ten übergelegte kräftige Schwellen,
welche zur Aufnahme der oberen
Fassadenwand dienen. (Vgl. Fig. 1.)
Diese Auskragung wird dann
durch ein oder mehrere Füllhölzer
gedeckt, welche reich mit Profilen,
gewundenen Stäben und figürlichem
Schmuck versehen, im Verein mit
den die auskragenden Unterzüge
unterstützenden, gleichfalls orna-
mentierten Kopfbändern dem ganzen
Aufbau ein sehr malerisches Ge-
präge verleihen. (Fig. 2 u. 3.)
Das Fassadensystem wird durch
diese Anordnung in grössere Achsen
geteilt, als sie bei unseren deutschen
Fachwerksbauten üblich sind.
Aber auch im Inneren des
Hauses erhalten diese Unterzüge
vielfach reiches Schnitzwerk, wie
Fig. 4 erläutert; diese zeigt ausser-
dem die viel angewandte Verlegung
der Balkenlage auf ihrer hohen
Kante, ein Zeichen, wie vorteilhaft
und konstruktiv die Erbauer ihr
Baumaterial zu benutzen wussten.
Die über den Unterzügen bezw.
deren Schwellen an der Vorderfront
stehenden Holzpfosten hatten 25,
30, ja 35 cm Breite (diese wird
allerdings bei manchen unserer Fach-
werkbauten durch noch grössere
Dimensionen übertroffen) und gingen
oftmals, aus einem Baumstamm
gefertigt, durch zwei, ja drei Stock-
werke hindurch (z. B. Fig. 7 in
Beauvais, Rue St. Laurent), während
-Aj 33 wcTl
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048
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(6)
Wer von meinen Studiengenossen
erinnert sich nicht gerne der Tage in
Rouen, wo wir von dem Professeur
ä l’ecole superieure des Sciences et ä
l’ecole des beaux arts ä Rouen, Mcur
Leon de Vesly in später Mitternachts¬
stunde am Bahnhofe empfangen wur¬
den und wo dieser Herr im Verein
mit dem Direktor der dortigen Aka¬
demie während zweier Tage in der
zuvorkommendsten, unermüdlichsten
Weise den Führer durch die Stadt
mit ihren vielseitigen Denkwürdig¬
keiten machte. Alle Achtung für dieses
Entgegenkommen und vor allem auch
herzlichen Dank für die lehr- und
genussreichen Stunden, die der fran¬
zösische Maitre seinen deutschen
Kollegen spendete.
Aber auch die Landbevölkerung
sei hier nicht vergessen. Wem steht
nicht noch der Empfang auf der sagenumwobenen, vom Meere die zwischengestellten Pfosten und Riegel sehr geringe Breiten
umspülten Insel Mont St. Michel mit seiner himmelanstreben-
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z
den Kathedrale vor Augen und dazu
die kleine dralle Wirtin, die Mme Poulard
aine mit ihrer dringlichen Aufforderung:
»mangez, mangez donc Meurs, il y a en-
core beaucoup des poulardes chez M"ie
Poulard.«
Ja, sie hat uns gehegt und so ge-
pflegt, dass unser liebwerter Meister
und Leiter der Studienreise, Geheimer
Rat Professor Ch. Hehl, sich bewegen
liess, noch einen Tag des Verweilens
auf diesem paradiesischen Eilande zu-
zugeben.
Doch kehren wir nach dieser kleinen
Abschweifung zurück zum eigentlichen
Gegenstände dieser Zeilen, um zuerst
eine kurze Erklärung der durchgängig
und gleichartig angewandten Konstruk-
tionsweise der dortigen Fachwerkbauten
zu geben.
Diese ist gerade entgegengesetzt
derjenigen, welche wir in unserem
Mitteldeutschland, Niedersachsen und
Hessen, zu schauen gewohnt sind.
(8) oben. (26) unten.
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