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l8 Sieben Geschwister sind sich hold.
Sonntag: Fingerlein von Gold.
Aber Samstag, warum hast Du meinen Ginster abgebrochen? Soll das eine Rute sein für Dich?
Der kleine Junge sah verwundert auf den grünen Büschel in seiner Hand. Während er hinter
dem Eichbaum wartete, hatte er ihn sich abgepflückt, ohne sich etwas dabei zu denken.
Nun, behalt ihn nur, behalt ihn nur; es soll Dir ein Besen daraus wachsen. Jetzt aber lerne!
Montag: Öhrlein silberblau.
Dienstag: Zehe eisengrau.
Aber wie viele Mühe sich auch der gute Pate gab, es ging nichts weiter in den kleinen
Schädel als:
Sieben Geschwister sind sich hold.
Diese Worte lernte Samstag aber auch über die Maßen gut.
Als der alte Mann ein sah, daß nichts fruchtete, gab er den Unterricht auf, ließ den Samstag
seine Straße stracks nach Sonnenuntergang hinausschauen, und blies ihm in den Rücken. Da
erhob sich ein starker Ostwind, der trieb den Samstag mit ungeheurer Schnelligkeit die Straße
dahin. Der Knabe flog ganz sanft und sachte, obgleich es so schnell ging. Er machte die
Augen zu und sagte in einem fort die Worte vor sich hin, die er gelernt hatte. So flog er
Monate und Jahre, wohl sieben Jahre oder mehr, ohne der Zeit inne zu werden. Er wuchs
derweilen und wurde ein langei’ Bengel. Und der Ginsterbüschel, den er in der rechten
Hand trug, wuchs auch und wurde ein langer Besen. Der Wald war schon fast ein ganzes
Jahr lang hinter ihm, als der Wind allmählich nachließ. Er trug ihn noch über den Straßen-
graben hinüber auf eine abgemähte Wiese. Samstag lag auf dem Boden wie hingelegt und
schlug die Augen auf.
Sieben Geschwister sind sich hold! rief er, sprang auf die Füße, hüpfte über den Graben und
fing an die Straße zu kehren, daß der Staub hoch aufwirbelte.
Nun fuhr aber gerade in diesem Augenblick die Prinzessin Abendschön in ihrer goldenen
Kutsche des Weges daher. Sie war ganz allein und gebrauchte weder Zügel noch Peitsche,
denn sie brauchte nur zu rufen:
Himmelsrößlein, es wehet der Wind,
Bringet mich da und dahin geschwind,
so fuhren ihre sechs Rosse nach dem bezeichneten Ort auf dem nächsten und bequemsten Weg
Zu vorderst liefen zwei milchweiße Schimmel, dann kamen zwei Apfelschimmel, dann ein
Fuchs und ein Brauner.
Die Prinzessin Abendschön fuhr also gerade des Weges daher, als auf einmal eine Staubwolke
aufwirbelte. Nun haßte die Prinzessin nichts so sehr als den Staub, weil er ihren wunder-
schönen Augen wehe tat. Sie wollte nicht durch die Staubwolke fahren, sie rief:
Himmelsrößlein, es steht der Wind,
Es schweigt der Wald, es schläft das Kind.
 
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