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ihre Schürze. Über den Altwassern des Rheins flammte das Abendrot, aber aus der holperigen
tief eingerissenen Lößschlucht zu ihren Füßen quoll langsam das Dunkel. Kein Mensch weit
und breit außer den beiden, weder im Rebgelände, das sich dehnte, Hügel auf und ab, wie
Wellen eines gestorbenen Meeres, noch auf der gestrüppüberwachsenen Heide, oder im Hoch-
walde, aus dem der Sponeck Ruinen aufstiegen.
„So leicht sagst mir ab“, grollte der Bursch. „Da bin ich getreuer. Meinst mir hätt’ in Mannheim
keine schön getan? Zehne hätt’ ich haben können, aber da gibt’s kein Fest. Außer der
Schiffer-Vren besieh ich keine. Nach dem Kranksein, sowie ich aus dem Spital entlassen bin,
geh ich, anstatt wieder in die Fabrik, heim. Ich denk, ich will heiraten. Prost — krieg
das Maitli nicht. Aber jetz, horch, hörst auf mit falgen*) oder . . . .“ er faßt sie am Arm. In
seinen hellen Augen glomm etwas auf, ein finsterer heißer Wesenshintergrund, einer der nicht
beweglich war, wie Flammen, eher still schwerglühend, wie einst die Lava des Kaiserstuhls.
Veronika schüttelte seine Hand ab und richtete sich straff in die Höhe, fest sah sie ihn
an, zwingend, ihre Augen verließen sein Gesicht auch da nicht, als ihr Arm nach der Jacke
griff und sie überzog. Hochgemut sah sie aus, wie eine, die triumphieren muß. „Der Vater
hat recht und ich folge ihm“, bemerkte sie ohne Leidenschaft, ruhig, wie ein Mensch von
seinem Lebensinhalt spricht.
Martin Tschummis Blicke wurzelten in den ihren, als schaue er da etwas Elementares.
Er merkte nicht, daß das Gespräch versiegt war. Immer sann er vor sich hin. Zurück in die
Vergangenheit schweiften seine Gedanken. Schon während sie zusammen in die oberste Schul-
klasse gingen, hatte er die Vren geliebt, aber gestanden hatte er’s ihr erst nach abgemachter
Militärzeit. Sie diente damals in Mannheim. Er war als gelernter Schlosser Vorarbeiter in
einer großen Maschinenfabrik. Da konnten sie Sonntag für Sonntag zusammen sein, bis nach
einem Jahr ihr Vater, der Schiffer-Doegg, die Veronika heimholte. Der besaß Feld und Reben
und ein nettes kleines Haus neben dem Torturm in Burkheim. Wer konnte ihn arm nennen?
Er war ein angesehener Mann. Die Schifferei trug gutes Geld. Er fuhr in seinen Kähnen
die Fremden von der Sponeck hinunter nach Saßbach oder bis zur Limburg. Manchmal
zog er den Nachen sogar hinauf nach Alt-Breisach, um von da Gäste zu holen. O wenn
der Vater nur wollte, mußte er ein junges Paar erhalten können. Aber er weigerte sich. Kurz
nach Veronikas Heimkehr war, vor etwa drei Monaten, Martin in der Fabrik verunglückt. Bei
einer Kesselexplosion hatten ihn fliegende Splitter verwundet. Kaum genesen, ging auch er in
die alte Heimat. Er dachte es sich leicht, die Veronika zu kekommen. Der Widerstand des
Vaters erbitterte ihn wohl, vermochte aber nicht, ihn zu entmutigen. „Das Maitli nimmt mich
doch trotzdem. Mag leicht sein, wir stellen etwas an, daß man uns muß heiraten lassen.“
Doch er lernte die Vren anders kennen. Sie trat unentwegt auf des Vaters Seite. Was er
mißbilligte, war ein Unrecht. Das tat sie nicht. Bei der Manier blieb sie fest, obschon Martin
zu bemerken glaubte, daß es ihr nicht immer leicht wurde. Ganz selten gelang es ihm, sie,

*) Oberflächliches Aufhacken der Erde heißt falgen.
 
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