Metadaten

Radowitz, Joseph Maria von [Bearb.]
Verzeichniss der von dem verstorbenen Preussischen General-Lieutenant J. von Radowitz hinterlassenen Autographen-Sammlung (3. Theil): National-Literatur, Künstler, berühmte Frauen und merkwürdige Personen überhaupt, Philanthropen, politische Redner, Geldmänner, Typographen, Verbrecher, die deutsche Bewegung (1848 und 1849), Stammbücher und Nachträge — Berlin: Hübner-Trams, 1864

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.57327#0214

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
744

Die deutsche Bewegung. (Rückblick.)

Am 31. März 1848 versammelte sich zu Frankfurt am Main „das deutsche
Vorparlament zur constituirenden National-Versammlung“ (574 Mitglieder
zählend), welchem folgender Entwurf des Siebenerprogramms (der Heidelberger
Vorversammlung) übergeben war:
„Ein Bundesoberhaupt mit verantwortlichen Ministern;
Ein Senat der Einzelstaaten;
Ein Haus des Volkes, hervorgegangen aus Urwahlen nach dem Maass-
stabe von 1 zu 70,000;
Competenz des Bundes durch Verzichtleistung der Einzelstaaten auf
folgende Punkte zu Gunsten der Centralgewalt:
ein Heerwesen,
eine Vertretung gegenüber dem Auslande,
ein System des Handels, der Schifffahrtsgesetze, des Bundeszoll-
wesens, von Münze, Maass, Gewicht, der Posten, Wasser-
strassen, Eisenbahnen,
Einheit der Civil- und Strafgesetzgebung und des Gerichtsverfahrens,
ein Bundesgericht,
Verbürgung der nationalen Freiheitsrechte.“
Diesem Programme wTaren noch folgende Punkte hinzugefügt:
„Der Beschluss der Einberufung der constituirenden National-
versammlung auf obige Grundlagen erfolgt durch die mit Ver-
trauensmänner verstärkten Bundesbehörden;
Ein aus gegenwärtiger’ Versammlung zu wählender permanenter Aus-
schuss von 15 Mitgliedern ist beauftragt, die Vollziehung der Ein-
berufung der constituirenden Nationalversammlung zu betreiben.“
Für die Wahl Mitt ermai er ’s als Präsident schienen sein Name, seine
parlamentarische Hebung, seine politische Stellung zu bürgen, obgleich es ihm
nicht gegeben war, die unter so ausserordentlichen Umständen erforderliche
Energie, oder auch nur auf die Dauer das nöthige Maass physischer Kraft zu
entwickeln. Unter den vier Vicepräsidenten (Dahlmann, Itzstein, Blum, S. Jordan)
standen nur dem einzigen Robert Blum Besonnenheit und Lunge in dem Grade
zu Gebot, um eine stürmische Volksversammlung (wie sich dieselbe alsbald
kundgab) zu leiten.
Gleich nach Eröffnung der ersten Sitzung in der Paulskirche trat, im Gegen-
satz zu dem Siebenerprogramm, Struve aus Manheim mit einem umfassenden,
aus 15 Punkten bestehenden Antrag der republikanischen Partei hervor. Der
letzte Punkt verlangte: „Aufhebung der erblichen Monarchie, und Ersetzung
derselben durch freigewählte Parlamente, an deren Spitze freigewählte Präsi-
denten stehen, alle vereint in der föderativen Bundesverfassung, nach dem
Muster der nordamerikanischen Freistaaten.“
Die Mitglieder (etwa 18 an der Zahl), welche den Antrag unterzeichnet,
sprachen ihre Absicht aus, in Frankfurt vereinigt zu bleiben, bis ein freige-
wähltes Parlament die Geschicke Deutschlands leiten könne, mittlerweile aber
die erforderlichen Gesetzesvorlagen zu entwerfen, und durch einen freigewählten
Vollziehungsausschuss das grosse Werk der Wiederherstellung Deutschlands
vorzubereiten.
Die Frage, ob man das eine oder das andere Programm zum Grunde legen
wolle, konnte als eine rein äusserliche, als eine Frage der Convenienz erscheinen.
Nichtsdestoweniger ward sie allgemein als Principfrage gefasst. Es zeigte sich
sehr bald, dass damit der erste Grund zu einer Spaltung in der republikanischen
Partei selbst gelegt war. In der letzten der vier an ebensoviel auf einanderfolgen-
den Tagen stattgefundenen Sitzungen des „wilden Parlaments“ wurde (nachdem
die Entscheidung gefallen, das revolutionäre Mittel in seiner unverhüllten Ge-
stalt abgewiesen war) der Hauptantrag Alexander’s von Soiron:
„Die Versammlung wolle von der Berathung des Programms der Siebener-
Commission Umgang nehmen und sich darauf beschränken, auszusprechen,
dass die Beschlussnahme über die künftige Verfassung Deutschlands einzig
und allein der vom Volke zu wählenden National-Versammlung zu über-
lassen sei“
unter grossem Beifallsruf des Hauses angenommen.
 
Annotationen