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Dr. Oscar von Pander:

Bildnis eines Meisterdirigenten

Zur Furtwangler-Biographie von Friedrich Herzfeld

Das Dirigieren ist der jüngste der musikali-
schen Berufe — man könnte Carl Maria von
Weber als ersten Kapellmeister im heutigen
Sinne bezeichnen und Richard Wagner als
ersten, bei dem die geistige Werkerneuerung
im Nachschaffen zum bewußten Prinzip des
Wiedergebens erhoben wurde. Beide Genann-
ten waren noch in erster Linie schaffende
Musiker, die — wie bis dahin alle anderen —
als Komponisten von der Leitung eigener
Werke ausgegangen waren. Als allein Nach-
schaffender hat Hans von Bülow seine Berufung
zum Dirigenten erstmalig zum Beruf ausgebaut
und damit eine grundsätzliche Trennung zwi-
schen Komponisten und Dirigenten vollzogen.

Unter seinen Nachfolgern hat keiner eine
solche volkstümliche Beliebtheit bei uns, eine
so internationale Berühmtheit in der ganzen
Welt erlangt, wie Wilhelm Furtwängler.
Ja, man wird nicht zuviel sagen, wenn man die
wahrhaft beherrschende Stellung dieses Diri-
genten in unserem Musikleben als einmalig und
unvergleichbar mit der irgendeines anderen
Künstlers bezeichnet. Es ist daher wohl berech-
tigt, daß ihm schon jetzt, wo sein Wirken
noch lange nicht abgeschlossen ist (besonders
als Schaffender!), ein Denkmal gesetzt wird,
wie es das Buch des Berliner Musikschriftstel-
lers Friedrich Herzfeld mit seiner im Wil-
helm-Goldmann-Verlag (Leipzig, 1941, 216 Sei-
ten) erschienenen Arbeit erstrebt. Herzfeld hat
schon in seinen beiden Wagnerbüchern „Minna
Planer" und „Königsfreundschaft" Proben sei-
ner tiefschürfenden Charakterzeichnung und
seines glänzenden Stils gegeben. In seinem
„Wilhelm Furtwängler — Weg und Wesen" ge-
nannten, mit verehrender Liebe geschriebenen
und hervorragend bebilderten Buch unterrichtet
er den Leser in der fesselndsten und doch sach-
lichen Weise über den Lebensweg und die
Persönlichkeit des großen Dirigenten.

Zur Darstellung der Entwicklung und der
Lebensarbeit Furtwänglers wurde ein umfang-
reiches Material benutzt, das, wie der Verfas-
ser ausdrücklich hervorhebt, ihm nicht vom
Geschilderten zur Verfügung gestellt, sondern
vom Schilderer selbst aufgespürt wurde — eine
MfcJi9Bö; -die gewiß im Sinne "einer unbeein-
flußten Schilderung vieles für sich hat, aber
auch auf wertvolle Aufschlüsse (Briefe) ver-
zichten muß. Die Darstellung des Lebens holt
weit aus. Sie zeigt den Weg des Blutes seiner
bäuerlichen Ahnen väterlicherseits (aus dem
Katzensteintal im Schwarzwald in der Nähe
von Triberg) und seiner künstlerisch gerichte-
ten Vorfahren mütterlicherseits (Wendts und
Dohms) auf, die sowohl die geniale Veran-
lagung als auch die ungewöhnlich starke Natur-
verbundenheit Furtwänglers erklären können.
In dem ersten historisch-biographischen Teil
werden mit großer Sachkenntnis die einzelnen
Etappen seines Aufstiegs geschildert: das kom-
ponierende Kind in Tanneck am Tegernsee, die
verschiedenen Stufen kapellmeisterlichen Em-
porwachse.is — Breslau, Zürich, Straßburg,
Lübeck, Mannheim, Leipzig — bis zum Meister
des „Furtwängler-Orcheslers", der Berliner
Philharmoniker. Auf dem Gipfel des Ruhmes
— welch ungeheure Masse von Verpflichtun-
gen und welch ungeheure Anstrengung, als
Mensch nicht zum Sklaven seines eigenen
Ruhmes zu werden! Nur wer ihn genau kennt,
kann ermessen, welchen Gefahren er auf die-
sem Wege dank seiner beispiellosen Instinkt-
sicherheit entgangen ist, z. B. der Sucht, tech-
nisch zu experimentieren in seiner Mannheimer
Zeit, später manchen Übertreibungen eines
Ideals des „völlig gelockerten Stils" usw. Jedes-
mal nach solch einer „Krise" erschien sein
Dirigieren um einige Grade vollendeter — eine
mit der Vernunft nicht erklärbare, absolut
„dämonische" Tatsache.

Im zweiten essayistisch-analytischen Teil
wird eine Studie über das Dirigieren wie
über die besondere Art Furtwänglers gegeben.
An der Art der Wiedergabe wird seine un-
geheure Breite als künstlerischer Mensch nach-
gewiesen, so zeigt seine Beethoven-Interpreta-
tion den Weg ins „Hintergründige", während
die Romantiker seine Innigkeit, Wärme und
Liebesfähigkeit offenbaren, Bruckner seine Re-
ligiosität. Sehr interessant und aufschlußreich
ist die Aufstellung, was er alles in den an-
nähernd 2000 Konzerten seines Lebens dirigiert
hat — am häufigsten, nebenbei bemerkt, die
fünfte und siebente Symphonie von Beethoven,
die erste von Brahms und den „Till Eulen-
spiegel" von Strauß. Das Repertoire ist ver-
hältnismäßig nicht sehr groß: Von Mozart und
Haydn finden sich da beispielsweise nur je
vier Symphonien; es fehlen bekannteste Werke,
wie die sechste von Bruckner, der „Don
Quichote" von Strauß u. a. Bei der Schilderung
seiner Dirigentenart, die durchaus eingehend
und kundig geschieht, helfen Ähnlichkeit und
Gegensatz zu seinen beiden bedeutenden Vor-
gängern, Bülow und Nikisch, das Wesen Furt-
wänglers näher bestimmen und beleuchten.
Der Verfasser wahrt bei aller Bewunderung für
das Genie des Dirigenten die Selbständigkeit
seines Urteils, ein Vorzug, der leider nicht in
allen Biographien zu finden ist, der aber diese
Schrift besonders lesenswert macht.

Selbstverständlich werden auch die anderen
Tätigkeitsgebiete Furtwänglers gestreift, seine
Gedanken über Musik, denen er in
Essays zuweilen plastisch geformten und ge-
Seite 8 / Die Bewegung / Folge 8

nauen Ausdruck gegeben hat, vor allem aber
auch sein eigenes Musikschaffen, das allerdings
im Buch von Herzfeld nur eine andeutende,
nicht ins einzelne gehende Darstellung erfährt.
Bei der augenblicklichen Stellungnahme Furt-
wänglers — er ist durchaus geneigt, seine
kompositorische Arbeit an die Spitze
seines Wirkens zu stellen — empfindet man
hier eine kleine Lücke, die gelegentlich aus-
gefüllt werden müßte.

Unter den zahlreichen Orchesterleitern, die
unsere Opern und Konzerte betreuen, gibt es
gewiß viele, die in dieser oder jener Hinsicht
wahrhaft Hervorragendes leisten, zum Teil vor-
treffliche Musiker, die mit geradezu kongenialer
Einfühlung der Geistigkeit unserer großen Mei-
ster gerecht werden, oder aber ausgezeichnete
Orchestererzieher, die mit vorbildlicher Technik
die gewaltigen Schwierigkeiten moderner Parti-
turen spielend und sicher beherrschen. Und
wenn wir hier in diesem Zusammenhang den
Namen Furtwängler nennen, so deshalb, weil in
seiner Art das innerlich tiefste und äußerlich
glänzendste Wesen des wahren Mittlertums
eine geradezu ideale Verwirklichung gefunden
hat. Denn hier darf in Übereinstimmung mit den
Ausführungen von Friedrich Herzfeld vielleicht
einmal gesagt werden, unabhängig von jeder
Einzelleistung wie sonst bei seinem Konzert-
und Operndirigieren, daß er heute wohl der
einzige deutsche Dirigent von ab-
soluter Weltgeltung ist, der sowohl
als geistige Persönlichkeit wie auch als voll-
endeter Techniker eine Sonderstellung im deut-
schen Musikleben einnimmt. Eine geniale, er-
schöpfend erkennende Anschauungsweise, mit
der er jederzeit der großen Musik umfassend
bis ins Grenzenlose gegenübertritt, hat er in
überreicher Fülle als Geschenk des Schicksals
mitbekommen. Und ein unermüdliches, überaus
bewußtes und zähes Arbeiten durch vier Jahr-
zehnte hat ihm alle nur denkbaren Möglich-
keiten der Kunstgriffe des Dirigierens errungen,
mit denen er nun jede vorkommende Art der
Musik beispielhaft auszuführen imstande ist.
Er ist so wirklich zum vollkommenen Mittler
nach beiden Richtungen im vorher beschriebe-
nen Sinne geworden: Kopf und Hand — Geist
und Technik sind- bei ihm zur Einheit ver-
schmolzen, was in dieser Vollendung bisher
kaum jemand erreicht hat.

Seine Sendung in der Welt ist: die Werke
unserer großen Meister richtig wiederzu-
geben. Das klingt furchtbar einfach, und jeder
Kapellmeister wird das natürlich als seine
selbstverständliche Aufgabe betrachten. Aber
erst wer die tausend Möglichkeiten des Irrtums

Ein unvergeßliches Erlebnis: Wilhelm Furtwängler dirigiert Aufn.: H.Hoidt

gegenüber der einen Wahrheit und die unzäh-
ligen Fehlerquellen gegenüber der vollkomme-
nen Ausführung kennt, wird die fast unüber-
windlich scheinenden Schwierigkeiten ermes-
sen, die sich dem guten Willen auf dem Wege
der Verwirklichung eines Ideals entgegenstel-
len. Wie wichtig eine solche Mission ist.
braucht hier nicht näher' ausgeführt zu werden.
Daß neben dem Gebot letzter Werktreue auch
eine ungeheuer reiche und vielseitige Persön-
lichkeit dazugehört, die anspruchsvollsten
Werke ganz zu erschöpfen, sei nur nebenbei er-
wähnt. Seine weite Natur spannt sich von fau-
stisch unergründlichen Tiefen bis zu den spiele-
rischen Leichtigkeiten des wechselvollen Tages.

Wenn das restlose Durchdringen des geisti-
gen Gehalts eines Kunstwerks als Forderung
seiner Vermittlung wohl jedem einleuchtend
erscheint, so ist, der andere Teil der Dirigenten-
aufgabe —. .das B-ikl des Schöpfers in idealen
Klang umzusetzen — dem Laien nicht so ohne
weiteres verständlich. Daß hierbei der Dirigent
neben seinem Taktschlagen noch allerhand zu
tun hat, was sich dem Bewußtsein des Hörers
meist nur als Genauigkeit im Rhythmischen
und als Schönheit im Tonlichen offenbart, da-
für ist Furtwängler' ein unerreichtes Beispiel.
Seit Nikisch hat keiner die Zauber des Or-

;hesterklangs in solcher Weise beherrscht wie
er. Immer ist bei ihm die Vielheit der Spielen-
den zu einem einheitlich geschlossenen Instru-
ment verbunden.

Um noch einmal auf unseren Ausgangspunkt
.urückzukommen, die letzte Stufe des Schaf-
:ansaktes in der Musik erlebt der Zuhörer ja
nit: das Klangwerden in der Wiedergabe,
'übrigens ist dies einer der Gründe dafür, daß
die breite Masse zur Musik ein näheres Ver-
hältnis hat als zu allen übrigen Künsten. Was
hier der Mittler-Dirigent leistet, wird freilich
nur von den Eingeweihten ganz begriffen. Aber
auch das große Publikum fühlt es instinktiv.
Und das Bezwingende der Dirigierleistung
Furtwänglers auf seinen jeweiligen Hörerkreis,
das natürlich nichts mit irgendeinem Schau-
dirigententum zu tun hat, liegt eben in der
überzeugenden und hinreißenden Art, mit der
er seine Hörer zum Miterleben des letzten
Schaffensaktes der Musik bringt. Er macht
nicht nur die Musik lebendig, sondern auch
den Zuhörer, steigert diesen mit jener. Dies ist
aber wohl das Schönste, was ein Künstler über-
haupt vermitteln kann: die Gemeinschaft teil-
haben zu lassen an dem erschütterndsten Er-
leben, dessen ein Mensch fähig ist — an dem
Entstehen der großen Kunstwerke unserer Musik.

Josef Wemkeber

/ Betrachtung von Dr. Theodor Maus

Der Dichter wurde im Januar mit dem
Großen Dichterpreis der Stadt Wien aus-
gezeichnet zusammen mit Ina Seidl und
Mirko Jelusich.

Weinheber stammt aus Wien. Der Großvater
ist Vorstadtwirt und Fuhrwerkbesitzer, der
Vater Gastwirt und Fleischer. Nachdem der
zehnjährige Sohn (geb. 1892) den Vater ver-
loren hat, muß die Mutter als Weißnäherin
verdienen; doch auch sie stirbt früh. Der
Knabe findet Obdach im Landwaisenhaus Möd-
ling bei Wien; nach sechs Jahren verläßt er es,
ohne die Mittelschulbildung abgeschlossen zu
haben. Ottakring, der Bezirk seiner Kindheit,
nimmt ihn wieder auf. In einer Abendschule
erreicht er den Abschluß der humanistischen
Schulbildung und tritt mit 19 Jahren in den
Staatsdienst, um Telegraphenbeamter in Wien
zu werden. Jetzt erst wird ihm die Donaustadt
zur Heimat. „Die Plätze und Straßen, die Hü-
gel und Hänge werden zum Schauplatz und
Nährboden des inneren Triebes, zum Hinter-
grund eines Einsamen, der dumpf eine Beru-
fung fühlt; der etwas sagen zu können glaubt,
und es noch nicht zu sagen vermag", so heißt
es in einem Selbstbekenntnis. Der erwachende
Dichter schreibt an Wirtshaustischen, auf dem
Friedhof, auf Wegen und Wanderungen; aus
Steinen und Häusern strömen ihm Verse zu.
Weinheber liebt Wien, obwohl es ihm in sei-
ner Jugend wenig Hilfe hat zuteil werden las-
sen. Ein inneres Zuhause ist ihm geworden,
die Dichtkunst. „Dort sind die erlauchten Na-
men wie Schilde gereiht um ein alleingelasse-
nes Herz: Alkaios und die Sappho, Mark Aurel
und Schopenhauer, Hölderlin und die Droste.
Sie sind zuletzt, über meine Vaterstadt hinaus,
meine unzerstörbare Heimat; über meine Väter
hinweg meine unverlierbare Ahnenschaft!"

Die erste Gedichtsammlung „Der einsame
Mensch" (1920) ist ein Aufschrei des jungen
Dichters, der seine Berufung vor sich sieht:

Immer hat einer von unten her
Sendung des Heils gebracht.
Aus Bauernblut, aus Werkerblut
sind alle Mütter gemacht.

Verschwunden sind in diesen Gedichten dis
weichen gewohnten Wiener Klänge, die da-
mals auf der impressionistischen Leier erklan-
gen. Dieser Lyriker ist härter, von sich selbst

mehr fordernd. Wien schwieg auch noch bei
den folgenden beiden Gedichtbänden: „Von
beiden Ufern" (1923) und „Boot in der
Bucht" (1926). Es folgen Jahre des Schwei-
gens, da erringt Weinheber durch „Adel und
Untergang" (1934) sich das Ohr der Mit-
welt. Schopenhauer gibt ihm die Richtung:
„Ein glückliches Leben ist unmöglich: das
Höchste, was der Mensch erlangen kann, ist
ein heroischer Lebenslauf." Dichtertum ver-
pflichtet zu Ruf und Mahnung, zu Stolz und
Trauer. Das Schicksal muß hingenommen wer-
den: „Zu fragen ziemt uns nicht: Uns ziemt zu
fallen, jedwedem auf seinem Schild." Das tra-
gische Lebensgefühl, wie es Hölderlin zeichnet,
daß erst aus Leid das Große geboren wird, das
gibt dem Gedichtband „Adel und Untergang"
die Weihe.

Aber auch jubelnde Töne schlägt Wein-
heber an, so in seinem rauschenden „Hym-
nus auf die deutsche Sprache". Die
Sprache ist uns Geheimnis, eherne Schwert-
faust, Geliebte und Mutter.

Eine ganz andere Welt schafft Weinheber in
dem Gedichtband „Wien wörtlich" (1935).
Von den Griechen führt ihn der Weg zu den
Wienern, zur Vaterstadt. Ihr Rhythmus wird
aufgefangen, wie es eigentlich bisher nur die
Musik vermochte; vertraute Wiener Gestalten
treten auf: die Fiaker, die Bierbrauer, Pensio-
näre, Sonntagsbummler, Burschen mit der Zieh-
harmonika. Wieder andere Klänge tönen in
der kleinen Sammlung „Vereinsamtes
Herz" (1935), und in der größeren „Späte
Krone" (1936); hier regt sich wieder die hel-
dische Kraft von „Adel und Untergang". Die
zahlreichen Sonette darin zeugen von sicherer
Architektur des Meisters, der auch dann
spricht, „wenn selbst die Steine schweigen".

Wie sein großer Landsmann Walter von der
Vogelweide wird Weinheber in der „Späten
Krone" politischer Sänger, wenn er unter den
Gestalten Siegfried und Hagen des unseligen
Streites unter den Deutschen, gedenkt, der das
Reich zu vernichten drohte. Die Ode „D e r
befreite Held" rührt an die letzten vater-
ländischen Dinge der Nachkriegszeit: das durch
Versailles in Schmach geworfene Deutsch-
land erhob sich unter seinem Retter.

Wie in Stein gemeißelt ersteht hier die Ge-
stalt des Führers vor uns.

Zum zweiten Male nach hoher Lyrik gibt
Weinheber sich wieder volkstümlich in „O
Mensch, gib acht", ein Buch voll Be-
scheidung und Einfachheit; es nennt sich „K a-
lenderbuch für Stadt- und Land-
leu t e". Es trägt frohen Bildschmuck von
Hilde Schimkowitz, der die Frische und Ur-
sprünglichkeit der Verse festhält. Die Kühn-
heit des Geistes erscheint hier gezügelt und
zwar durch die Kraft eines beherrschten
. Handwerks, wie es unsere Meister des späten
Mittelalters pflegten: „Die Kunst muß durch das
Handwerk gehen", sagt Weinheber von Anton
Pilgram, dessen Bildnis unter der Kanzel des
Stephänsdomes liegt. Der Ablauf des Jahres,
Gezeiten und Monate zeigen Werden, Wach-
sen und Vergehen; dabei wird auch das Kleine
und Unbedeutende im täglichen Leben von
dichterischer Weihe umgeben; es erwächst hier
eine rein gegenständliche Lyrik von Mensch,
Arbeit und Ding, wie Krug, Bett und Schüssel.
Dem Bäuerlichen wird ein kraftvolles Denkmal
gesetzt. Knappe Spruchverse wechseln mit
breiter barocker Art, Beschaulichkeit mit Hu-
mor, Ernst mit gütigem Lächeln.

Weinhebers Gesamtwerk formt immer neue
Gesichte von Größe und Schönheit, aber auch
von Not und Abgrund des Daseins. Er bekennt
von sich: „Wieviel Welten hat ein Dichter
nicht durchrast, durchschaut, durchlitten, ehe
er im letzten Wort zur Ruhe kommt." Seine
Lyrik ist Kraft und herbe Schönheit, gewach-
sen auf dem Boden völkischer Gemeinschaft.
Volk und Künstler sollen aufeinander hören;
unser Dasein ist unterworfen den Fügungen
und Ordnungen unseres Volkes. Weinhebers
schöpferische Sprache ist voll Fülle; ihm ge-
lingt das einfach Liedhafte wie der steile Vers
der Antike; er wechselt oft zwischen antikem
und deutschem Versmaß.

Die Formgewalt Weinhebers offenbart sich
auch in seinem letzten Werk „Kammer-
musik". Das Gesetz der Form ist kein bloßes
Äußerliches oder Nachahmen vorhandener
Muster; Form ist ein wirklicher wesentlicher
Bestandteil des Gedichts; sie ist errungen durch
die innere Haltung eines Menschen, Form ist
gebändigte große Leidenschaft.

über alle Erschütterungen aber, durch die
Weinhebers Werk führt, weil er sie selbst
durchschritten hat, erhebt sich die stolze Be-
jahung eines kämpferischen Daseins.
 
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