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Berichte aus dem geistigen Schaffen Grossdeutfchlands

In Memoriam Rudolf G. Binding

Zum 75. Geburtstag des Dichters am 13. August 1942

Von Offo Heinz Rüb, Vorsitzender der Gemeinschaft für Kunst und Wissenschaft „Der junge Ring"

Rudolf G. Binding erblickte am 13. August
1867 in Basel das Licht der Welt, wohin sein
Vater, der bekannte Rechtsgelehrte Karl Bin-
ding, bereits im Alter von 26 Jahren einen Ruf
als Professor erhalten hatte. Dem Blute nach
Franke — beide Eltern stammten aus Frank-
furt am Main — hegt er von Kind an eine1 be-
sondere Liebe zu Frankfurt, eine Liebe, in die
er den Rhein und den Main mit einbezog.
Rufe und Lesungen seines Vaters führen ihn
auf größere Reisen und über Freiburg nach
Leipzig. Nach dem Abitur wendet er sich dem
Studium der Rechte in Tübingen zu. Er tut es
nicht aus Liebe zum Stoff, sondern nur, weil
sein Vater Jurist ist und er eine traditionelle
Verpflichtung zu spüren wähnt. Doch befrie-
digt ihn die kalte Lehre der Paragraphen nicht.
Zwar bringt er es bis zum Referendar, leitet
dann jedoch zum Studium der Medizin in Ber-
lin über. Ein großes Sehnen ist in ihm nach
der Erkenntnis des Lebens, nicht des Lebens
an sich, nicht der Kräfte, die den Menschen
beherrschen, sondern der Kräfte, die im Men-
schen wohnen, aus denen heraus er sich se'n
Leben gestaltet, Kräfte, über die der Mensch
herrscht. Es geht ihm um die Erkenntnis der
Seele, ihrer Leidenschaft und ihrer Gewalt.
Aber auch die Medizin, die Wissenschaft des
Körpers, schafft ihm nicht die ersehnte Befrie-
digung.

Seine Zeit, das ausgehende 19. Jahrhundert,
stößt ihn ab. Nirgends findet er in ihr Wirklich-
keit, überall nur Schablone, äußeren Aufwand
ohne inneren Wert und Kern. Die Zeit des
„Tuns-als-ob" nennt er sie und sucht immer
wieder und überall nach Werten, die ihm von
des Lebens wahrem Sinn künden. Auch die
Kunst vermag noch nicht, sein Herz zu erhe-
ben. So lebt er dahin, ohne daß ihm das Leben
Erfüllung bringt.

Die Vertiefung in Clausewitz' Vorwort „Vom
Kriege" vermag ihn aus seiner inneren Verein-

Phrasen mehr, hier ist kein „Tun-als-ob" mehr
möglich. Der Krieg steht als unentrinnbares
Schicksal unter den Menschen, hart, grausam,
den Einsatz des Letzten fordernd — hüben wie
drüben. Hier endlich sieht Binding den Men-
schen vor Unerbittlichem stehen, hier wird ihm
Äie Maske vom Gesicht gerissen, hier ist die
ihn zwingende Gewalt!

Zum Studium nach Berlin zurückgekehrt, fin-
det er dort in Anton Mayer, den er schon
während seiner Dienstzeit unter den Offizie-
ren der Grimmaer Husaren kennengelernt
hatte, einen aufrichtigen Freund, der gleich
ihm Sinn für alles Schöne aufbringt. Ihnen ge-
meinsam ist auch die Liebe zum Pferde. (Siehe
Anmerkung.)

Binding ist inzwischen vierzig Jahre alt ge-
worden, ohne daß er einen Beruf gehabt oder
eine Berufung gefühlt hätte. Sein Leben war
scheinbar sinnlos gewesen, nicht wert, es ge-
lebt zu haben. Gelegentlich hatte er sich dem
Reit- und Rennsport zugewandt, sich der VoII-
blutzucht gewidmet und auch edle Pferde ver-
kauft. Doch das Leben ist ohne Inhalt für ihn.

Der Drang nach Erkenntnis

Die große Wandlung bringen ihm Reisen
nach Italien, und da vor allem Florenz. Auch
tritt in Gestalt von Octavia eine liebende
Frau an seine Seite, die ihm das Leben in
einem neuen Lichte zeigt. Er lernt die italie-
nische Sprache vollkommen beherrschen und
bleibt längere Zeit in Florenz, wo ihm die bil-
dende Kunst vornehmlich immer neue An-
regung gibt. Auch die italienische Dichtung
zieht ihn an und hier vor allem d'Annnn-
dessen gewaltige Sprache und Klang-

das wahre Leben, das Diesseits, das im Tode
seine Vollendung findet.

Wie durch ein Wunder genest Binding von
seiner schweren Krankheit, wenngleich sie
ihn bis an sein Ende behaftet. Nicht zuletzt
dank der aufopfernden Sorge und Pflege einer
jungen Krankenschwester, der er in „Coele-
stina", seinem ersten Prosawerk, ein unver-
gängliches Mal gesetzt hat.

Eine weitere innere Bereicherung erfährt der
Dichter auf einer Griechenlandfahrt, die ihn
gemeinsam mit seinem Freunde an die Stät-
ten des alten Hellas führte. Hier ent-
hüllte sich ihm das Geheimnis der Kunst: das
Nichts, den toten Stein, Gestalt werden zu las-
sen, die Materie zum Leben zu erheben. Die
Schöpfung und damit das Leben selbst, das ist

nach Grimma und wird Kommandeur einer Ka-
vallerieabteilung der Jungdeutschlanddivisio-
nen. Der Feldzug sieht ihn in Belgien, Flan-
dern und Westfrankreich, bis er gegen Ende
des Krieges wegen seines Leidens und einer
schweren Ruhr zur Genesung in die Heimat
zurückkommt, wo er in banger Erwartung das
schlimme Ende sich vollziehen sieht.

Der Krieg bringt Binding die letzte und ent-
scheidende Wandlung. Hier findet er das Maß.
Im Kriege sieht er die Möglichkeit einer Eini-
gung und einer künftigen Gemeinschaft. Alle
tragen das gleiche Los, an alle stellt er die
gleichen Forderungen.

Aber Bindings Hoffnungen auf den Krieg als
Erwecker der Menschen fanden keine Erfül-
lung, konnten sie auch nicht finden, weil dieser

RUDOLF G. BINDING

In tieb« und Verehrung gedenkt die deutsche Jugend am 13. August des 75. Geburts-
tages ihres großen Rufers und Freundes Rudolf G. Binding. Aufn.: Atlantic

fülle ihn packen und die er in Übersetzungen
ins Deutsche meisterlich nachzugestalten ver-
sucht. Dies ist die Geburtsstunde des Dichters
Rudolf G. Binding. Nun plötzlich spürt er seine
Berufung und fühlt sich gleichzeitig aus dem
Schattenbereich des Vaters befreit.

Den Übersetzungen schließt sich bald eigene
Lyrik an. Schon von Anbeginn finden wir in
seinen Gedichten die knappe und deutliche
Form. Er verzichtet auf große Umschreibungen
und Symbole, nur das Wesentliche prägt er in
den. festen Guß seiner dichterischen Sprache.
Der so Erwachte wird durch heftige Magen-
blutungen Angesicht in Angesicht mit dem
Tode gestellt. Er und seine Freunde mit ihm
glauben nicht mehr an Genesung. In diesem
Schweben zwischen Leben und Tod entstehen
die „Gespräche mit dem Tod", jene wunder-
baren Gedichte, geboren aus einer unbeug-
samen Seelenkraft Keine Furcht ist in ihm
>vor dern Tode, er nennt den Tod Freund. Va-
sall des Lebens. Wäre das Leben nicht, wäre
nicht der Tod, er ist das Sekundäre, dem Leben
Untertan, von ihm abhängig. Ihm gilt nichts als

' Anmerkung: Dr. Anton Mayer hat sich später ebenfalls
dem literarischen Schaffen zugewandt. Von Bedeutung
sind vor allem sein Seydlitz-Roman, seine Reiterbücher
und kunsthistorischen Schriften. Von besonderem Reiz
für den Bindingfreund ist „Der Göttergleiche", die Ge-
•catchte seiner Freundschaft mit dem Dichter.

die Kunst. Nicht ein Abbild der Natur, son-
dern ihr Inbild, muß die Kunst ausdrücken.

Auf der Rückreise lernt Binding* in Rom
J o i e , die Kusine seines Freundes, kennen. Ein
neuer Rausch überkommt ihn, ihr widmet er
zarte Liebesgedichte, das „Buch der Freundin".
Er übersiedelt mit Octavia nach Frankfurt am
Main und leidet sehr darunter, daß Joie ihm
ferne ist. Die Konflikte, die sich für Joie,
Octavia und ihn daraus ergeben, finden im
„Opfergang" ihren Niederschlag. Nach der end-
gültigen Trennung von Octavia und dem Tode
der Mutter zieht er sich ganz in die Stille,
nach Buchschlag, einer kleinen Gemeinde in
der Mainlandschaft, zurück, wo sich die be-
wegten Erlebnisse der vergangenen Jahre in
reichem dichterischem Schaffen zu Gedichten
und Novellen formen. Immer ist es das Ein-
zelschicksal des Menschen, das er schildert.
Der Mensch in seinem inneren Kampf, als Ge-
stalter seines Lebens, nicht als Werkzeug des
Schicksals.

Aus seiner Einsamkeit wird er jäh durch den
Ausbruch des Weltkrieges herausgerissen. Der
Krieg erschüttert ihn zutiefst, er ahnt das
Schwere, dem die Menschheit ausgeliefert ist.

Dem nunmehr Siebenundvierzigj ährigen ist
es eine selbstverständliche deutsche Mannes-
pflicht, sich an die "Front zu melden. Er eilt
als Freiwilliger zu seinem Husarenregiment

Krieg andere Voraussetzungen hatte. Die
Menschheit wurde nicht geläutert in diesem
Kriege, sie hatte die alte Welt nicht in eine
neue wandeln können, weil sie selbst sich
nicht gewandelt hatte. Dies alles geht Binding
schon im Verlauf des Krieges auf, findet aber
nur in Briefen und Tagebuchaufzeichnungen
Raum. Sein Schaffen ruht sonst. Nur einmal im
Kriege greift er zur Feder: im Geschoßhagel
feindlichen Granatfeuers schreibt er den drei
Kindern eines gefallenen Kameraden „Das
Peitschchen", jene feinempfundene kleine flan-
drische Weihnachtsnovelle. Wer um die Stunde
der Entstehung des Büchleins weiß, den mag
es wunder nehmen, daß der Krieg so gar kei-
nen Niederschlag darin findet und eine fast
friedliche Besinnlichkeit der Handlung inne-
wohnt, eine kindliche Naivität und Frömmig-
keit.

Nach dem furchtbaren Zusammenbruch setzt
er seine Kraft für den Wiederaufbau ein. Er
empfindet immer stärker, daß die neue Welt
nur aus dem bewußten Erleben des Krieges
kommen kann. Und wenn die Menschheit mit
eigenen Augen und eigenem Empfinden den
Krieg nicht als die Geburtswehen einer neuen
Zeit erkannt hatte, so mußte man sie eben
nochmals durch diesen Krieg führen, diesmal,
jedoch mit den Augen des um den tieferen
Sinn Wissenden.

So schreibt er denn zwei Jahre nach dem
Kriege die ersten Kriegsgedichte, die sich dann
zu „Stolz und Trauer" vollenden, und Kriegs-
novellen („Unsterblichkeit", „Der Wingult",
„Der Durchlöcherte"). Er sucht nicht nach dem
Punkt, von dem aus der Krieg nichts ist, im
Gegenteil, er ergründet seinen überzeitlichen
Sinn. Bindings Kriegsdichtung ist wohl das Er-
schütterndste, was je über den Krieg geschrie-
ben wurde. Erbarmungslos wirklich, fern von
Phrasen, nicht verblümend, von unbedingter
Offenheit. Aus ihr spricht Schmerz und doch
Haltung, Verzweiflung und doch Männlichkeit.
Erstmalig geht es bei Binding nicht mehr um
das Einzelschicksal, sondern um viele, um alle.
Und da, wo er ein Einzelschicksal gestaltet, ist
es nur für viele ein Beispiel. Das ist die für
Bindings Dichtung entscheidende Wendung:
An Stelle des Einzelschicksals tritt das Gemein-
same. Binding wird zum politischen Dichter.
Er ist nicht mehr nur. der Dichter des Ethischen
und Guten, nun baut er an einer wahren Volks-
gemeinschaft. Diesem Ziele lebt er von nun an
ganz.

Auch in seinem privaten Lebenskreis hat
sich manches ereignet. Gleich nach dem Krieg
ist er Bürgermeister der Gemeinde Buchschlag
geworden und hat sich hier in sozialen Fra-
gen und auf kommunalem Gebiet Verdienste
erworben. Auch von Joie hat er sich inzwischen
getrennt und nach anfänglicher tiefer seelischer
Depression wieder zu sich zurückgefunden.
Seine Lyrik erfährt neuerliche Reifung. Die
Nachkriegsjahre bringen ihm die Anerkennung
in der Öffentlichkeit, vor allem an seinem 60.
Geburtstag kommt das zum Ausdruck. Die Uni-
versität Frankfurt a. M. ernennt ihn zum Eh-
rendoktor, und für seine „Reitvorschrift für
eine Geliebte" wird ihm die silberne Medaille
der Amsterdamer Olympiade verliehen.

Aber die zahlreichen Ehrungen machen ihn
nicht stolz, sie sind ihm nur neue Verpflich-
tung, seinem Volk und den Menschen zu die-
nen. Ein wesentlicher Faktor für ein völkisches
Erwachen ist die Erziehung und geistige Füh-
rung der Jugend. Ihr wendet er sich mit seiner
ganzen Liebe zu, wobei er sich nun auch der
Rede bedient. In Wort, und Schrift führt er sie
an die Quellen des Deutschtums. Sei es, daß
er ihr von der Kraft deutschen Wortes kündet,
daß er die Schönheiten deutscher Landschaft
besingt, daß er das Erlebnis des Krieges in
seiner grausamen und doch notwendigen Un-

Nation einräumt: überall baut er der Jugend
Stufen zu einem deutschen Geistesdom, in der
richtigen Erkenntnis, daß eine gesunde Geistes-
ausrichtung der Jugend das Fundament zum
Wiederaufbau des Staates bildet.

Der Dichter und die Jugend

Und die Jugend schließt sich ihm vertrauens-
voll an, sie läßt sich von ihm führen, denn sie
weiß sich bei ihm geborgen. In seinem Geiste
blüht sie auf und erkennt den Reichtum
menschlicher Seelenlandschaften, wie er aus
Bindings Dichtung spricht, und überträgt die <
stille, seelische Größe seiner Gestalten auf das
Leben und gewinnt dadurch Ehrfurcht. Ehr-
furcht — welch ein Gewinn ist das! Auf Ehr- '
furcht baut sich Glaube, Liebe, Vertrauen. Sie
ist die Grundlage jeder wahren und erträg-
lichen Gesellschaftsordnung. Erst wo sie
schwindet, treten Hader und Zwietracht auf.

1932 erhält der Dichter die Goethe-Medaille
für Kunst und Wissenschaft und wird 1933 Mit-
glied der Deutschen Akademie der Dichtung,
zu deren stellvertretendem Präsidenten er ein
Jahr später berufen wird. Die große politische
und völkische Wende durch den Nationalsozia-
lismus begrüßt er als Chance der aus der
Schule des Krieges erwachsenen neuen Ge-
meinschaft. In diesem Sinne auch verteidigt- er
die Idee des Nationalsozialismus. Er spürt im
Dritten Reich jene neuformende Kraft, das
Jugendstarke, Straffe, die Ordnung, Dinge, für
die ja auch er gekämpft hatte die langen Jahre
hindurch. Die großen Kulturorganisationen der
Partei und des Staates geben ihm nun auch die •
Möglichkeit, vor den breiteren Volksschichten
und der politischen Jugend und Führerschaft
ztl sprechen, eine Aufgabe, der er sich bereit-
willigst und dankbar unterzieht.

Als der Tod plötzlich und unerwartet den
fast Einundsiebzigjährigen am 4. August 1938
zu sich berief, da trugen die Besten aller abend-
ländischen Nationen tiefen Schmerz um diesen
unersetzlichen Verlust. Mit ihm ging einer jener
Vornehmen und Ritterlichen aus dieser Welt,
denen es gegeben ist, erbitterten Kampf zu
führen, ohne die Ehrfurcht zu verlieren und
den' Gegner zu schmähen.

Doch nur die sterbliche Hülle ist von uns ge-
gangen. Im Geiste und im Herzen lebt Rudolf
G. Binding in uns fort, unsterblich als Mensch
und in seinem Werk, unersetzlich als Freund
und Vater der Jugend, ewiges Vorbild deut-
scher Tugend, deutschen Geistes und deutscher
Seele. Gerade der gegenwärtige Krieg hat Bin-
ding vor allem dem Soldaten wieder näher-
gebracht. Bjndings Kriegsdichtung erschüttert,
aber sie festigt. Sie trauert, aber sie verzagt
nicht. Sie sucht nur immer nach dem einen:
dem hohen Sir des Krieges, und ist darum dem
Soldaten und geistigen Menschen'von heute so
nahe.

In Liebe und Dankbarkeit trägt die geistige
Jugend Bindings Erbe, durch ilin dem deut-
schen Geiste verpflichtet und in seinem Geiste
dem Volke und der Menschheit mit ganzer ■
Kraft dienend.

Folge 16 / Die Bewegung / Seite 7
 
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