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Die Bewegung: Zeitung d. dt. Studenten — 12.1944

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Nr. 9 (September 1944)
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MEIN VOLK

eiuegung

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Nur die Männer?

bi der Krieg wirklich noch, wie der alte Satz
■nsMgt, eine Sache der Männer? Oder hat
der neue Krieg Im Gefolge »einer revolutionären
technischen Wandlungen auch dieses alte Gesetz
verrückt? Haben seine Umwälzungen in den
Kampfdimeasionen auch weitergreifende Um-
wälzungen im Verhältnis der Geschlechter nach
sich gezogen? In einem Zeltpunkt, da der Krieg
in die atemberaubende Phase seiner Entschei-
dung hineinrollt, sehen wir eine Millionenarmee
von Mädchen und Frauen, darunter Zehntausende
von Studentinnen, angetreten und Dienstleistun-
gen anvertraut, die eine Wandlungsfähigkeit
der Frau von beispiellosem Grade verlangen.
Das fällt besonders ins Auge, weil der Mann
den Weg der letzten Jahrzehnte in einer ihm
absolut gemäßen Weise folgerichtig durch-
schreiten und im Kriege sogar seine konsequente
Steigerung finden konnte. Der Frau aber hat
das neue Jahrhundert mit seinen beiden Krie-
gen und den dazwischen gelegenen Warte-
jahren eine Krise nach der anderen auferlegt.
Es ist, als werde sie, die der Natur so nahe zu
lehen hat, besonders hart von einem Jahrhun-
dert geprüft, das mit allem Segen und Unheil
der Technik, Jener Bewältigerin der Natur,
fertig werden muß.

Die „höhere Tochter"

An der Schwelle zum Weltkrieg unserer Zelt
stand noch das wohlbehütete bürgerliche Mäd-
chen der Lenensschlchlen des Akademikers,
das das teben nie aus der eigenen Erfahrung,
sondern nur aus der der Eltern oder der des
Mannes kannte. Es war schön und wohlanstän-
dig, sich leiten zu lassen und umhegt zu sein.
Man spielte Klavier, ging auf die Höhere
Töchterschule, lernte Schlittschuhlaufen, hatte
seinen Tanzstundenpartner und das Weltbild
seiner Eitern, kannte aus der Politik die Hof-
nachrichten, verlobte sich und war plötzlich im
Weltbilde einer anderen Autorität: des Mannes.

Den meisten bürgerlichen Frauen stand es
wohl an, .in der sich anschließenden Ehe die
Zeit mit Kindererziehung, Kaffeekränzchen,
Theaterbesuchen und literarischen Neuerschei-
nungen an der Seite des Mannes zu verbringen.
Die Welt der Kontore, Büros, GerichtssäLe,
Schulstuben pflegte der Mann sorgsam abzu-
stauben, wenn er das eigene Haus betrat. Die
Welt des Hauses war die Welt der Frau: eine
hohe Achtung vor der Welt des anderen
trennte in Gedanken und Gesprächen sauber-^
lieh die Welt von Mann und Frau. Während in
der Sphäre des Mannes die modernen Arbeits-
formen und ihre politischen Spiegelungen zu-
nehmende Gärungen schufen, sollte auf der
Ebene des bürgerlichen Hauses das wohl-
geglättete Maß der Gesittung unangetastet
bleiben. . «•

Es kam zu Tragödien oder mindestens Miß-
verständnissen, als der Blick über den Zaun
in die andere Welt nicht mehr aus weiblicher
Neugier, sondern aus Lebensinteresse gewagt
wurde.

Auf Schritt und Tritt begegnen jetzt der
Frau des Akademikertums auf der Straße die
sich verändernden Merkmale der Zeit. Die
ganze-Wirtschafts- und Lebensordnung, die so
harmonisch zusammengefügt schien, ist ja ins
Gären geraten. Statt Pferdebahnen klingeln
Elektrische durch die Straßen, Autos, Ma-
schinen und Apparate unerklärbaren Kalibers
tauchen auf, die Welt vereinfacht und kom-
pliziert sich gleichermaßen. Aus Fabriken
strömt eine Menschheit, von der man nichts
weiß. Aus Streiks flammen Parolen, mit denen
man nichts anfangen kann. Aus Zeitungen,
Theaterstücken und Kinoplakaten schlägt Un-
bekantes und Neues dem Blick entgegen: und
alle diese verwirrende Vielfalt
der sich geräuschvoll verändern-
den Zeitläufte sollte ohne die
Mitwirkung, ja sogar ohne das
Verständnis der Frauen vor sich
gehen?

Die ersten Ärztinnen eröffnen ihre Praxis, der
Schrei der Suffragetten dröhnt an empfindsame
Ohren, merkwürdige Rufe nach Frauenstimm-
recht gellen durch die Blätter und die Ver-
sammlungen.

Das Schlagwort von der Gleichberechtigung
geistert in Broschüren und Artikeln durch
Europa: in den Jahren vor dem ersten Welt-
krieg kommt hier ein Stein ins Rollen, der, an

—IMIMITT

Fackelwache von Langemarcksludenxen am Grabe Kanls

Und handeln sollst Du so, als hinge von Dir und Deinem Tun allein
das Schicksal ab der deutschen Dinge, und die Verantwortung wär' DeinI

FICHTE

einem ganz kleinen, hintergründigen Hang ge-
löst, nun in die krisenhafte allgemeine Ent-
wicklung hineinpoltert in das Geraune der
Erwartungen. So wird, sehr spät, diese jäh auf-
merkende Frau des Akademikertums in ein
Meer von unbeantworteten Fragen gestoßen,
als schon die Kanonen laut alle anderen Ge-
räusche der Zeit überdröhnen.

Die Männer sind selbst zum größten Teile
ja so vom Kriege überrascht, daß sie nur
schwer wissen, worum es geht. Ünd wieviel
weniger konnten es die Frauen verstehen. Sie
schmückten die Gewehre der Hinausziehenden,
stülpten sich die Haube des Roten Kreuzes auf
und verlegten die milde Luft ihres Hauses in
die Lazarette und Genesungsstätten. Das war
der Gang der Dinge. Dazu brauchte niemand
umzulernen. Aber von den Männern blieben
viel draußen, mit ihnen jedoch die Ernährer,
und so trat an Tausende von Frauen die Not-
wendigkeit heran, ein nie gekanntes eigenes
Verhältnis zur Arbeit, zum Broterwerb zu suchen.

Was von Kathedern und Podien als Ruf nach
Gleichberechtigung erklungen war, wurde jetzt
für Zehntausende nackte Existenzpflicht. Und
die Hörsäle und Seminare füllten sich ebenso
wie die Büros und Fabriken mit jungen Mäd-
chen und Frauen, für die plötzlich Breschen auf-
sprangen, die bislang durch gesellschaftliche
Ordnungsgesetze verschlossen schienen. Die
Not des Krieges öffnete der Frauenbewegung
mehr Tore, als ihr recht sein konnte. Denn nun
hatte die soziale Not eine Lage geschaffen, die
alle Gefahren einer Uberspannung in sich trug.

Es entstand nun der Frauenüberschuß,
wie ihn der Weltkrieg mit seinen hohen Män-
nerverlusten gebracht hatte und hielt lange
an. Mit der Ehe war nicht jedes
weibliche Problemmehrzulösen.

Das bürgerliche Mädchen dieser Art gerade
aus den akademischen Berufen und Ständen
war in den Stürmen der Zeit zerbrochen. Und
die holde Bewahrung war, wenn sie noch irgend-
wo geübt wurde, zur Farce erstarrt. Das Recht
auf den Beruf, das die Wirklichkeit bestätigt
hatte, wurde zum Recht auf die ganze männ-
liche Hälfte des Lebens ausgeweitet, von der
sich die Frau bislang so abgeschlossen fühlte.
Exzentrische Geister trieben die Sucht, hinter
die Geheimnisse des Männlichen zu kommen,
bis zur Perversion. Die Gefühle verwirrten sich.
Eine aus den Fugen geratene Zeit, die mit der
Ernte eines 1 Zusammenbruchs sich herumzu-
schlagen hatte, begünstigte das überfluten aller
Ordnungen und Sitten.

Elternhaus und harmonische Ehe
mit Kindern waren Institutionen,
die die Verachtung oder dielgno-
rierung solcher Zeitgenossen traf.
Die männlichsten Berufe waren
Frauen, dieser Kategorie gerade
erwünscht. Und wenn Frauen sol-
chen Genres überhaupt eine Be-
ziehung zum männlichen Ge-
schlecht suchten, dann degradier-
ten sie alle Empfindungen und Ge-
fühle durch die betonte Schnod-
drigkeit und die öffentliche Sze-

nerle, In die sie die Intimsten

menschlichen Beziehungen zerr-
ten. Auf einer höheren Plattform dieser An-
schauungen diskutierten sie die Kameradschafts-
ehe, die Zeitehe oder die Ehe zu dritt als die
Wege, auf denen sich ihre exaltierten Auffas-
sungen am sichersten ergehen konnten.
* Es traf sich gut, daß zur gleichen Zeit der
Sport als Reaktion gegen die vermaßende Welt
der Maschinen seinen Siegeszug antrat und so
die Studentin und Frau wiederum von einer
anderen Basis her eroberte. Wie er den Körper
aus der Haft der Städte befreite, so weckte er
wieder Stolz und Bewußtsein des natürlichen We-
sens. Der Weg zurück in die Umsorgtheit war für
die Akademikerin gewiß nicht mehr zu gehen;
denn der Ausbruch in die Berufe hatte sie mit
allen Problemen und Aufgaben der Zeit, ihren
Verwirrungen und Verstrickungen, jetzt genau
so in Verbindung gebracht wie vordem nur der
Mann. Am Wort vom „Kamerad" des Mannes
war schon etwas dran — aber es war, wie sie
zu ahnen begann, anders zu verstehen als die
platten widernatürlichen Projekte irgendwelcher
„Sexualreformer".

Die Kameradschaft zum Mann förderten am
frühesten die Spielfelder und Stadien, die
Schwimmbahnen und Wanderungen zu Tage.
Es waren ganz neue Stationen der Begegnung
yon. Mann, und Frau. Schon stand diese Be-'
gegnung im Zeichen der Erkenntnis, daß das
Weltbild, welches sich jetzt 'gebar, mehr und
»ehr voh den beiden, vom Mann und der Frau,
artti eigenen - Augen erworben v.'ur-ie. F s
schloß nicht aus, daß der Marsch
in die akademischen Berufe, der
noch nicht in alle S p e z i a 1 f e 1 d e r
vorgedrungen war, von Unentweg-
tenindessenimmerweiterüberdie
Grenze des Zuträglichen forcTert
wurde: solchermaßen, daß in den
Zeiten der großen Erwerbslosig-
keit das Ringen um die Arbeits-
plätze Mann und Frau oft genug in
bitterster Konkurrenz sah, zu-
gleich aber auch den Widersinn
weiblicher Berufsmanie bis zum
grauenvollsten Elend offenbarte,

„Zurück?"

Diese Ubersteigerung der Möglichkeiten hat
der Nationalsozialismus zur rechten Zeit zu-
rückgeschraubt. Es war notwendig, daß er mit
sehr rigorosen Mitteln der Erkrankung zu Leibe
ging. Darum ist er oft verkannt worden. In sei-
nem Programm stand: die Frau hat Frau, also
Mutter, zu sein.

Da kaum zwei Jahrzehnte vergangen waren,
seitdem die Frauen aus dem Paradies der bür-
gerlichen Bewahrung ausgebrochen waren, und
inzwischen Wellen von sich überstürzenden
Erlebnissen über sie hinweggebraust waren,
mochten viele hinter dieser Parole ein Zurück
fürchten. Sie witterten eine Verbannung und
Strafversetzung ins 19. Jahrhundert. Aber
so wenig dies beabsichtigt sein
konnte, so sehr löste der Ruf zur
biologischen Aufgabe auch der
Akademikerin eine innere Ver-
krampfung, die sich zwischen ge-
wollter Kinderlosigkeit und dem
heimlichen Drängen der Natur im-
mer quälender gestaut hatte. Daß
das Kind und das ganze Reich des Hauses
wieder mit Freuden von der Frau als ihr ur-
eigenstes Eigentum ergriffen wurde, stellte eine
Verirrung wieder richtig, die manches Bildnis
mit trübem Firnis überkrustet hatte.

Der Rückzug ins Natürlichweibliche konnte
nur in der böswilligen Agitation ein Rückzug
ins Puppenheim von 1900 sein; denn in diesem
„Puppenheim" standen jetzt Möbel des dritten
oder vierten neuen Jahrzehnts, über seine
Schwelle sprudelte das bewegte politische
Leben von draußen. Der Anteil an Beruf und
Verpflichtung des Mannes war erster und
selbstverständlicher Gesprächstoff in der Fa-
milie geworden.

Die „Gleichberechtigung" als Formel von
gestern war in einem anderen Sinne Wirklich-
keit geworden, nachdem wieder die Auffassung
Allgemeingut geworden war, daß der Gott der
Zeiten Mann und Frau verschiedenartige Auf-
gaben zugedacht hatte. Das Reich der Frauen
wurde wieder nüchterner, geordneter, abge-
grenzter. Aber in die sich behutsam neu son-
dernden weiblichen Bezirke flössen auch wie-
der das Geheimnis, das Glück, die Zartheit,
die Liebe. Vom artgemäßen Beruf wurde ge-
sprochen, wenn das Thema „Beruf oder Ehe"
 
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