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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 41.1906

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.60737#0044
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28

Sie lachte laut. Das kam ihr wirklich furchtbar
komisch vor.
„Ich werde meiner Frau schon die richtige Stel-
lung meiner Tochter gegenüber zu schaffen wissen/'
versicherte der Graf großartig, der in Sibylles Ab-
wesenheit mutiger wie in ihrer Gegenwart zu sein
pflegte.
Jutta wußte das ganz gut. „Bitte — bitte,
sagen Sie ihr noch nichts!" bat sic. „Lassen Sie
mich erst fort fein. Ich kenne Sibylle. Sie wird
selten heftig, aber wenn sie es einmal wird, ist sie
schrecklich böse und sagt so verletzende Dinge, daß
man es nicht wieder vergessen kann. Und ich will
doch um jeden Preis mit ihr in Frieden leben —
schon um Ihretwillen."
„Deinetwillen!" verbesserte Graf Rotschütz ent-
zückt. „Engel du!" Er küßte die kleinen Hände, die
sich über seinem Arm falteten, mit wahrer Andacht.
„Ich denke mir das so," fuhr Jutta schnell fort.
„Es ist am besten, wir sagen Sibylle vorläufig nichts.
Ich reise ruhig ab, sage ihr freundlich und versöhn-
lich Lebewohl, und Sie — nein du —"
Graf Rotschütz quittierte das „Du" mit einem
zärtlichen Kuß.
„Du folgst mir bald nach Karlsbad nach. Wenn
du zurückkommst — oder besser noch erst kurz vor
der Hochzeit — sagst du es ihr."
„Unsere Hochzeit soll sehr bald sein!" beschloß
Graf Rotschütz, dessen Verliebtheit durch Juttas
zärtliches Wesen beständig wuchs. „In wenigen
Tagen bin ich bei dir, um mit deiner Mutter zu reden.
In vier Wochen können wir heiraten. Wir lassen
uns in Karlsbad trauen, fahren von dort nach Wien
oder Italien — wohin du willst. Unterdessen können
in Rotenmoor die notwendigen Veränderungen vor-
genommen werden."
„Es ist ja alles schon so schön hier!"
Den Grafen entzückte die Bescheidenheit des an-
spruchslosen Engels. „Ich möchte die Salons für
dich anders einrichten," meinte er. „Sibylle muß
nach oben ziehen und kann die Möbel ihrer Mutter-
benutzen."
„Alles wie du willst." Jutta legte ihr Köpfchen
wieder zärtlich an seine Schulter. Im stillen be-
schloß sie, es ganz von Sibylles Betragen ihr gegen-
über abhängen zu lassen, ob sie die kostbaren Empire-
möbel behalten dürfe. Machte sie ihr Unannehm-
lichkeiten, so sollte die gute alte Mamascha die gelbe
Pracht in ihren Salon bekommen. Ihre Mutter zu
sich nach Rotenmoor zu nehmen, beschloß sie sofort,
wenn sie es auch vorläufig noch für sich behielt.
„Selbstverständlich bringe ich dich zur Bahn."
Graf Rotschütz sah nach der Uhr. „Wir geben dort
gleich das Telegramm an deine Mutter auf. Spä-
testens Ende dieser Woche komme ich zu dir nach
Karlsbad. Nach meiner Rückkehr teile ich Sibylle
unsere Verlobung mit."
Ein heimlicher Schauer, halb Schadenfreude —
halb Angst, überlief Jutta Diese Mitteilung des
Grafen rächte sie au Sibylle für zahllose kleine
Demütigungen — das wußte sie wohl.
Auf verschiedenen Wegen kehrten sie ins Schloß
zurück.
Jutta fand die Jungfer bereits ihrer wartend in
ihrem Zimmer vor.
„Packen Sie alles ein," befahl sie ihr. „Ich reise
heute uachmittag."
Der kurze Ton, in dem sie sprach, befremdete-das
Mädchen. Bisher bat Fräulein Sartorius stets sehr
höflich, wenn sie etwas wünschte. Aber Jutta konnte
sich jetzt den Genuß nicht versagen, bereits Befehle
zu erteilen. Am liebsten hätte sie der am Boden
vor dem Koffer knieenden Jungfer zugerufen: „Sie
packen nämlich die Sachen Ihrer neuen Herrin,
meine Liebe!"
Nach kurzer Zeit klopfte es. Sibylle staud in der
Türöffnung. „Sie können gehen, Julie — ich werde
klingeln, wenn wir Sie wieder brauchen."
Das Mädchen verschwand.
Jutta verharrte in abwartender Stellung. Beide
Ellbogen auf den Tisch gestützt, das Gesicht in den
Händen verborgen, saß sie da.
„Jutta!" Sibylle hielt ihr die Hand hin. „Wir
sind so lange Jahre befreundet gewesen — laß uns
in Frieden scheiden!"
Jutta schwieg. Sie war eine zu kleinliche Natur,
um großmütige Regungen bei anderen würdigen zu
können.
„Ich habe wirklich nicht gedacht, daß dich mein
Anerbieten so sehr kränken könnte," fuhr Sibylle
fort. „Sonst hätte ich es selbstverständlich nicht
gemacht."
Unwillkürlich mußte sie in diesem Augenblick der
vielen Geschenke, auch des häufigen Zuschusses zum
Taschengelde gedenken, den Jutta in der Pension
stets gern von ihr angenommen hatte.
„Also — ich will dir nicht mehr böse sein!" ver-
sprach Jutta. „Ich bin stets für Frieden und Ver-

söhnlichkeit. Wie unser Verhältnis sich später ge-
stalten wird, liegt hauptsächlich in deiner Hand."
Sibylle verbiß ein Lächeln. „Laß die Jungfer
allein fertig packen und komm zum Frühstück!" schlug
sie vor. „Papa sagte mir, daß er dich selber zur
Bahn bringen wolle. Sonst hätte ich es natürlich
gern getan."
Das Frühstück verlief besser, als man nach den
letzten Vorgängen hätte annehmen können. Graf
Rotschütz überreichte Jutta zum Abschied einen wun-
dervollen Rosenstrauß, eine Aufmerksamkeit, die Si-
bylle recht überflüssig fand. Sie überwand sich aber
und küßte Jutta zum Abschied, sprach auch der herum-
stehenden Dienerschaft wegen die Hoffnung ihres
baldigen Wiederkommens aus.
„Ich hoffe auch, daß ich das schöne Rotenmoor
bald wiedersehe." Jutta vergrub ihr lachendes Ge-
sicht in dem herrlich duftenden Rosenstrauß.
Graf Rotschütz lenkte den hohen Jagdwagen selber.
Jutta saß auf dem Bock neben ihm. Der Diener
breitete eine leichte Staubdecke über ihre Kniee.
Sibylle stand lange auf der Treppe und sah
dem fortrollenden Wagen nach. Dann ging sic mit
einem Seufzer unaussprechlicher Erleichterung in ihr
Zimmer.
Nach etwa zwei Stunden kehrte ihr Vater in
bester Lanne zurück. Sie sprachen nicht mehr viel
über Jutta. Sibylle tat nur ein paar gleichgültige
Fragen, die Abfahrt betreffend. Der Graf bestellte
einen Gruß — das war alles.

Viertes llapitsl.
Die nächsten Tage vergingen sehr friedlich. Si-
bylle befand sich sogar in gehobener Stimmung, weil
sie Juttas Abreise so leicht durchgesetzt hatte. Sie
war viel mit ihrem Vater zusammen, ritt und fuhr
nut ihm aus.
Außer einer flüchtigen Ansichtskarte, die ihre
glückliche Ankunft meldete, hörte sie nichts von Jutta.
Umso erstaunter war sie, als sie eines Morgens unter
den Postsachen einen dicken Brief, von Juttas Hand
an ihren Vater adressiert, fand. Sie kannte die
kritzelige Schrift, das aufdringliche Parfüm, das
Juttas Briefe stets ausströmten, sehr genau. Der
Brief erregte ihr eine unangenehme Empfindung.
Wahrscheinlich enthielt er ja nur Dankesworte für
die genossene Gastfreundschaft, hätte das aber nicht
durch Frau Sartorius geschehen können?
Sie fragte ihren Vater nicht nach dem Inhalt
des Briefes, um nicht den Anschein zn erwecken, als
ob sie hinter ihm her spioniere.
Auch als er ihr am Abend desselben Tages er-
klärte, er wolle für einige Tage verreisen, fragte sie
nicht nach dem Zweck und Ziel dieser Reise.
„Ich bleibe nicht lange fort. Am nächsten Montag
werde ich wieder hier sein," meinte Graf Rotschütz
leichthin. „Ich habe einige dringende Geschäfte zu
erledigen. Willst du so lange zur Tante gehen, Si-
bylle?"
„Nein, ich bleibe lieber hier. Du weißt, ich bin
gern allein. Ich nehme mir dann allerhand Arbeiten
im Hause vor."
Graf Rotschütz nickte. Er war sehr zerstreut.
Ein paarmal setzte er an, als ob er noch etwas sagen
wollte, aber schließlich reiste er doch ohne weitere
Erklärungen ab.
Sibylle wunderte sich nicht weiter darüber. Ihr
Vater verreiste häufig für einige Tage, ohne genaue
Angaben zu machen. Meist erzählte er erst nach der
Rückkehr, wo er eigentlich gewesen sei. Er band sich
nicht gern vorher, sondern schrieb lieber kurze Karten
von seinem jeweiligen Aufenthaltsort.
Diesmal blieben aber auch die Karten aus. Nur
ein Telegramm aus Dresden kündete am Tage selbst
die Stunde seiner Rückkunft an.
Obgleich Sibylle sich vornahm, ihren Vater zu
empfangen, hatte sie sich doch auf ihrem langen
Waldspaziergang verspätet.
„Der Herr Graf ist bereits vor einer halben Stunde
angekommen," meldete der Diener, als Sibylle etwas
atemlos und erhitzt das Schloß betrat.
Sie ging sofort zu ihrem Vater. Der Graf stand
mit auf dem Rücken zusammengelegten Händen am
Fenster. Sibylle lief auf ihn zu. Er küßte sie auf
die Stirn. Sie sah ihn befremdet an. Irgend
etwas kam ihr an der Erscheinung ihres Vaters ver-
ändert vor. Er trug ein Helles, elegantes Reise-
kostüm, eine Rose im Knopfloch. Sein Gesicht sah
merkwürdig erregt aus. Seine Hand, mit der er
ihr Gesicht streichelte, war sehr heiß.
„Bist du ganz wohl, Papa?" fragte Sibylle
beklommen. „Du hast wohl eine anstrengende Fahrt
gehabt? Wo warst du eigentlich? Du hast mir
diesmal ja gar nicht geschrieben."
„Ich blieb ja nur wenige Tage fort." Er ging
ruhelos im Zimmer auf und ab. „Setz dich zu mir,

Sibylle!" bat er plötzlich. „Ich habe dir etwas zu
sagen."
Sie setzte sich auf den breiten, mit türkischen
Decken belegten Diwan. Die Hände still im Schoß
zusammengelegt, sah sie ihn erwartungsvoll an.
Den Grafen machte der ernst fragende Blick ver-
wirrt. Seine schön einstudierte Rede, die er noch
im Wagen mit Erfolg memoriert hatte, verschwand
völlig aus seinem Gedächtnis.
Er warf sich in den Sessel neben Sibylle. „Ich
habe mich verlobt!" stieß er mit plötzlichem Entschluß
heraus. „Schon vor meiner Abreise geschah es.
Aber ehe ich nicht mit der Mutter meiner Braut ge-
sprochen hatte, wollte ich nichts sagen."
Jeder Blutstropfen wich aus Sibylles Gesicht.
„Und mit wem bist du verlobt?" fragte sie tonlos.
Der überhastete Schlag ihres Herzens erstickte fast
den Klang ihrer Stimme.
„Du kannst es leicht erraten — mit Jutta Sar-
torius."
Obgleich Sibylle diese Antwort geahnt, gefürchtet
hatte, traf es sie doch wie ein schwerer Schlag. „Du
— du willst Jutta Sartorius heiraten?" wiederholte
sie. Sie legte die Hände gegen die Stirn, als ob
ihr Denken zu versagen drohe.
Graf Rotschütz nahm ein kleines Falzbein vom
Tisch und spielte damit. Die feine Stahlklinge bog
sich in seinen muskulösen Fingern. „Ich kann uür
denken, Sibylle," fing er nach einer schwülen Pause
an, „daß dir der Gedanke befremdend ist. Aber du
hast Jutta doch auch lieb — jeder, der sie kennt,
muß sie ja lieben. Ihr werdet wie zwei Schwestern
zusammen leben."
Er sah seine Tochter von der Seite an. Wäre
sie nur nicht so still und blaß! Ein heftiger Tränen-
ausbruch wäre ihm lieber gewesen.
Sibylle sprang plötzlich auf. Schlank und groß,
mit ihrem stolz getragenen Kopf, über dessen
blonder Flechtenkrone die Nachmittagssonne goldene
Lichter Hinspielen ließ, stand sie vor ihm. „Vater —
das willst du wirklich tun? Du, mein Vater, zu
dem ich aufgesehen, den ich verehrt, geliebt habe,
wie selten eine Tochter ihren Vater lieben wird —"
„Was kann das an deiner Verehrung und Liebe
für mich ändern, Sibylle? Sei verständig. Ich bin
noch nicht alt genug, um allem Glück zu entsagen."
„Meine Mutter ist tot."
„Ja — seit sechs Jähren. Ich dächte, ich hätte
sie lange genug betrauert!"
„Und an die Stelle meiner Mutter willst du eine
Jutta Sartorius setzen? Mne kleine intrigante Musik-
lehrerstochter, die ich hier bei mir geduldet habe,
halb aus Mitleid, halb aus alter Anhänglichkeit! Die
soll hier in Rotenmoor Herrin sein? Ist das wirklich
dein Ernst?"
„Gewiß."
„Vater, das kann nicht sein! Denke an mich —
wie soll ich das ertragen? Was wird die Welt, was
werden unsere Bekannten, Verwandten sagen?"
„Vermutlich werden sie zuerst etwas räsonieren,
dann macht sich alles. Meiner Jutta kann niemand
lange widerstehen. Und schließlich, mein Kind, bin
ich frei in meinen Entschlüssen und habe keinen um
Erlaubnis zu fragen, ob und wen ich heiraten will."
„Um Erlaubnis brauchst du niemand zu fragen,
aber gegen mich hast du Pflichten."
„Ich dächte, ich hätte dir keinen Grund gegeben,
dich über mich zu beklagen, Sibylle. Seit dem Tode
deiner Mutter habe ich dir eine Stellung eingeräumt,
die viel zu groß und selbständig für deine Jahre war.
Du glaubst nun dadurch auch mich vollkommen be-
herrschen zu können, mir vorschreiben zu müssen,
was ich tun und lassen soll! Ich werde gewiß jede
Rücksicht gegen dich beobachten — vorausgesetzt, daß
du meiner Frau mit Freundlichkeit entgegenkommst
und ihr das Leben nicht erschwerst, aber selbstver-
ständlich ist sie nun die Herrin und Hausfrau in
Rotenmoor, und du —"
„Ihre gehorsame Tochter vielleicht?"
„Ein töchterliches und mütterliches Verhältnis
kann es in euren Jahren, da ihr im Alter fast gleich
seid, natürlich nicht werden, aber ein freundschaft-
liches."
„Nie — nie!"
„Warum denn nicht?" fuhr Graf Rotschütz ärger-
lich auf. „An Jutta wird das nicht liegen. Sie
bringt den besten Willen mit, und ihre Mutter ist be-
reit, dich auch wie ihre Tochter anzusehen und zu
behandeln."
„Frau Sartorius will mich wie ihre Tochter be-
handeln? Das verbitte ich mir."
„Sibylle, dein Hochmut ist unerträglich. Be-
denke, daß Jutta und ihre Mutter deine nächsten
Verwandten sein werden."
„Meine Verwandten sind diese Leute nicht."
Dem Grafen stieg die Röte des Zorns ins Ge-
sicht. Wie bei vielen schwachen Menschen trieb ihn
der Arger, wenn er energisch auftreten wollte, über
 
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