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H e ſt z

Verlieren und Finden / Von Landgerichtspräſident Dr. Ziel

ieh mal, Vater, was da auf der Straße liegt !“

„Ach, das iſt ja ein Buch und noch dazu „Helden zur See‘ von Reuper,
das du dir zu deinem Geburtstag wünſchſt. Da haſt du ja einen feinen
Fund gemacht!"

„Ja, Vater,“ ruft Hans freudestrahlend, „kann ich das Buch behalten?"

„Nein, Hans, mit dem Buche haſt du einen Fund gemacht, und gefundene
Sachen muß man zurückgeben.“ ;

„Wie schade! Aber Finderlohn bekomme ich doch wenigstens?"

„Ja, den haſt du zu beanspruchen. Aber er beträgt nur fünf Prozent.
Mehr als fünf Mark wird das Buch wohl kaum wert ſein."

„Da bekomme ich alſo nur fünfundzwanzig Pfennig. Ach, hätt’ ich doch
lieber eine Brieftasche mit hunderttausend Mark gefunden! Da bekäme ich
fünftausend Mark. Denk’ mal, was ich mir dafür alles kaufen könnte !“

„Soviel bekämſt du gar nicht, Hans. Von dem über dreihundert Mark
hinausgehenden Werte gibt's nämlich nur ein Prozent.“

„Na, dann bekäme ich immer noch tauſendundzwölf Mark," sagt Hans
nach einigem Nachdenken; „iſt die Fundsache alſo über dreihundert Mark
wert, ſo bekommt der Finder ein Prozent des Wertes und noch zwölf Mark
dazu, das iſt ja ganz einfach auszurechnen.“

„Richtig, mein Junge. Und manchmal bekommt der Finder sogar über-
haupt nichts, nämlich wenn er die Sache in den Geſchäftsräumen oder
Beförderungsmitteln einer öffentlichen Behörde oder Verkehrsanſtalt ge-
funden hat. Als Finder haſt du nun aber auch Pflichten. In erster Linie
mußt du dem Verlierer oder Eigentümer den Fund anzeigen."

„Ja, wenn ich ihn kennte !“ :

„Steht kein Name in dem Buche?“

„Doch, Albert Schmidt; aber Schmidt wird's hier bei den dreihundert-
tauſend Einwohnern wohl viele geben. Wenn eine Adreſſe im Buch
stände, dann müßte ich ihm das Buch wohl auch noch hinbringen für meine
fünfundzwanzig Pfennig Finderlohn? Oder könnte ich ihm eine Poſtkarte
ſchreiben? Dann gingen doch wenigstens nur drei Pfennig verloren."

„Hinbringen oder binſschicken brauchteſt du das Buch auch dann nicht.
Und die drei Pfennig bekämſt du außer deinem Finderlohn wieder. Denn
der Finder kann außerdem noch Erſatz für ſeine notwendigen und vernünf-
tigen Aufwendungen verlangen.“

„Da nehmen wir das Buch nun wohl mit nach Hauſe? Kann ich es leſen?Ü

„Mitnehmen können wir es ſchon, aber leſen darfst du es nicht. Denn zu
einer Benutzung der Fundsache iſt der Finder nicht berechtigt. Aber zunächſt
müssen wir den Fund bei der Polizei anzeigen.

„Müssen wir dann auch noch in der Zeitung inserieren? Da ſtehen doch
jeden Tag solche Anzeigen drin."

„Nein, das brauchen wir nicht. Mit der unverzüglichen Anzeige bei der
Polizei haben wir alles Nötige getan. Eine Zeitungsanzeige würde faſt
ſoviel koſten, wie das Buch wert iſt. Es könnte zweifelhast sein, ob uns der
Verlierer eine solche Auſwendung überhaupt erſeten müßte. Bei einer wohl-
gefüllten Brieftaſche wäre es etwas anderes.“

„Wenn wir nun das Buch unterwegs wieder verlieren, oder wenn es
bei uns zu Hauſe abhanden kommt, oder wenn bei uns Feuer ausbricht und
es mit verbrennt, oder wenn es uns jemand ſtiehlt, was wird denn dann?"

„Der Finder haftet nur für Vorſatz und grobe Jahrlässigkeit. Er muß die
Fundsache mindestens ebenſo pfleglich behandeln wie seine eigenen Sachen.
Wenn sie troßdem abhanden kommt oder beſchädigt wird, ſo kann er dafür
nicht verantwortlich gemacht werden. Er kann die Fundsache aber auch auf
der Polizei abgeben. Dann trägt ſie dafür die Haftung. Die Polizei kann
übrigens die Abgabe verlangen und tut das bei ſehr wertvollen Fundsachen
oder wenn ihr der Finder unzuverläſsig erſcheint.“

Hans hatte inzwischen das Buch, das ihn ſehr feſſelte, ein wenig durch-
geblättert. Plötzlich rief er: „Vater, hier auf dem Titelblatt ſteht: Mit
farbigen Bildern. Es ſind aber alle Bilder rausgeſchnitten !“

„Ja," sagte der Vater, „das iſt ſchlimm. Da wird das Buch wohl keine
fünf Mark wert sein. Kaum drei ! Armer Hans, dein Finderlohn wird immer
weniger! Aber das ſpart uns wenigſtens den Weg zur Polizei. Fundſachen
unter drei Mark Wert braucht man nicht anzuzeigen. Die muß man nur gut
aufbewahren, bis ſich der Verlierer meldet."

„Wie soll er denn das, wenn er mich nicht gerade das Buch hat aufheben
ſehen? Müiſſſen wir gar nichts tun, um den Verlierer ausfindig zu machen?"

„Verpflichtet biſt du als Finder zu nichts. Du darſſt nur den Fund nicht
verheimlichen."

„Ach, Vater, leſen darf ich das Buch nicht, die Bilder ſind auch raus, was
ſollen wir uns dann eigentlich damit ſchleppen V da wollen wir's doch
lieber wieder hinlegen, wo's gelegen hat. Wir ſind noch gar nicht weit weg
von der Stelle, ich laufe ſchnell zurück."

„Nein, nein, Hans, das darfſt du nicht. Du haſt das Buch nun einmal an

dich genommen und bist nun dafür verantworllich. Hätteſt du's gleich beim
Aufheben angesehen und als wertlos wieder hingelegt, ſo wärſt du im
Rechtssinne gar nicht Finder geworden. Aber nun du es ſchon zwei Straßen
mit dir trägſt, würdeſt du mit dem Wiederhinlegen deine Aufbewahrungs-
pflicht vorsätlich verleßzen und dem Verlierer ein neues kaufen müſſen.“

„Da wollen wir es lieber mitnehmen. Aber vielleicht hat Albert Schmidt
das Buch auch weggeworfen, weil keine Bilder mehr drin ſind. Wie stände
es denn dann damit?"

„Dann wäre es keine verlorene, ſondern eine herrenloſe Sache. Verloren
iſt eine Sache dann, wenn Jie dem Besitzer ohne ſeinen Willen weggekom-
men ist und er keine Verfügungsmöglichkeit darüber mehr hat, gleichviel
ob er weiß oder nicht weiß, wo Jie ſich befindet. Vor ein paar Tagen ſagte
die Mutter, ſie hätte den Schlüssel zu unſerem Kugelſpielkaſten im Garten ver-
loren, und du fandeſt ihn nachher in der Laube. Dieſer Schlüssel war gar
nicht im Rechtssinne verloren, weil er ſich noch in unſerer Verfügungsgewalt,
nämlich in unſerem Garten befand, wenn wir auch nicht wußten, wo. Als
ich aber einmal aus Versehen meinen Bergſtock in eine tiefe unzugängliche
Schlucht fallen ließ, da hatte ich ihn im Rechtsſinne verloren, obwohl ich
genau wußte, wo er war. Herrenlos dagegen wird eine Sache, wenn der
Eigentümer ſich ihrer mit dem Willen entledigt, sie nicht mehr zu besitzen.
Sie kann Jich im allgemeinen jeder aneignen. Hätte alſo Albert Schmidt
das Buch weggeworfen, dann wärst du jetzt ſein Eigentümer geworden,
wenn du es nur haben willst, denn an dich genommen haſt du es ja ſchon.
Dann könntest du natürlich damit machen, was du wuillſt, es ſogar gleich
lesen, falls du deine Schularbeiten ſchon gemacht haſt. Aber bei den heutigen
Bücherpreisen iſt es nicht wahrſcheinlich, daß jemand ein ſolches Buch weg-
wirft, auch wenn die Bilder fehlen, und darum wollen wir doch lieber vor-
sichtig sein und es als eine verlorene Sache anſehen."

„Wenn nun jetzt jemand uns nachgelaufen kommt und sagt, er habe

gesehen, wie ich das Buch gefunden habe, es ſei ſein Buch, was maß ich -

dann tun? Muß ich es ihm geben?“

„So ohne weiteres nicht. Du mußt zunächſt feſtzuſtellen verſuchen, ob er
wirklich der Verlierer iſt. Wenn er zum Beiſpiel die herausgeſchnittenen
Bilder bei sich hätte und in glaubhafter Weise erzählte, er habe das Buch
gerade zum Buchbinder bringen wollen, um sie wieder einkleben zu lassen,

dann könntest du ihn unbedenklich als Verlierer anſehen und ihm das Buch . -

zurückgeben. Ob er das Buch mit Recht besaß, als er es verlor, das haſt du
nicht zu prüfen. Denn dem Verlierer kann der Finder die Fundsache unter
allen Umständen zurückgeben, ſelbſt dann, wenn der Verlierer etwa vorher
die Sache gestohlen haben sollte. Kommt aber ein anderer als der Verlierer,
so muß der Finder die Empfangsberechtigung genau prüfen, um nicht
dem wirklichen Eigentümer haftbar zu werden, zum Beispiel ob der, der
die Fundsache haben will, besondere Eigentümlichkeiten daran beschreiben
kann. Überdies wirſt du keinem das Buch herausgeben, ehe er dir deinen
Finderlohn gezahlt hat. Denn als Finder haſt du wegen deiner berechtigten
Ansprüche ein Zurückbehaltungsrecht daran. Auch die Polizei muß, wenn

der Fund bei ihr abgegeben iſt, die Empfangsberechtigung prüfen und dart

ihn nur mit Genehmigung des Jinders herausgeben, damit er nicht um
seine Ansprüche kommt."
„Wenn nun aber niemand das Buch bei uns abfordert? Ich kann es doch

nicht ewig für den unbekannten Eigentümer verwahren?"

„Das brauchſt du auch nicht. Heute übers Jahr wird das Buch dein Eigen-
tum, wenn dir bis dahin der Verlierer oder Eigentümer nicht bekannt wird
und du deine sonstigen Finderpflichten erfüllt haſt.

„Obwohl ich doch erſt zwölf Jahre alt bin?! L:

„Daß du noch nicht voll geſchäftsfähig biſt, iſt dafür gleichgültig. Finden
iſt zwar eine Rechtshandlung, aber kein Rechtsgeſchäft. Daher kann auch der
Minderjährige und sogar der Geiſteskranke Finder werden und die Rechte
als solcher erwerben. Für deine Finderpflichten würde ich als dein geſetz-
licher Vertreter freilich mit verantwortlich sein, weil ich um deinen Fund
weiß. Und ich kann dir auch das Buch wieder wegnehmen, wenn du das
Eigentum daran erworben haſt, zum Beispiel wenn ich es als dein Erzieher
für ungeeignet für dich halte.“

„Neulich iſt uns doch unſer Kanarienvogel weggeflogen, und du halt ge-
sagt, der fliegt nun ſicher in ein anderes Fenſter. Iſtdas dann auch ein Fund?"

„Gewiß. Auch ein Tier, das mir zufliegt oder zuläuft, finde ich, wenn ich
es bei mir aufnehme. Freilich iſt es noch kein Aufnehmen, wenn ich das Tier
nur nicht wieder fortjage, ohne mich weiter darum zu kümmern, oder wenn
ich dem erſchöpften Tier einmal Futter oder Wasser reiche. Aber wenn
jemand unserm Vogel ein Bauer hergerichtet und ihn darin aufgenommen
hat, hat er ihn gefunden und iſt nun zu weiterer Fürſorge für ihn ver-
pflichtet. Die Aufwendungen, zum Beispiel für Futter, kann er natürlich
außer dem Finderlohn erſeht verlangen."
 
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