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Da s Buch für Alle

I 13



„Manchmal wird doch auch eine ganz alte Sache gefunden, Vater, die
ſchon ſeit Jahrhunderten verborgen gelegen hat und deren Eigentümer gar
nicht mehr zu ermitteln iſt?“"

„Das nennt man einen Schatßfund. Er iſt kein eigentlicher Fund. Denn
ES "teht ja gar nicht feſt, ob die Sache verloren oder vielleicht abſichtlich ver-
ſtecktt worden war. Deshalb gelten hierſür auch andere Beſtimmungen. Die
Hälfte des gefundenen Schatzes gehört ſeinem Entdecker, die andere dem

Eigentümer des Grundſtücks oder der beweglichen Sache, in der der Schatz
gefunden wurde.“

„Na, nun sind wir zu Hauſe, Vater, und nun will ich dir das Buch lieber
zum Aufheben geben, bis es übers Jahr mein Eigentum wird. Melden wird
ſich ja hoffentlich kein Verlierer! Und dann wirst du es mich gewiß lesen
laſſen. Aber zu meinem Geburtstag kannſt du mir, damit ich das Heldenbuch
ſpäter nicht doppelt habe, nun lieber ein anderes ſchönes Buch ſchenten.“

Der Heideſchäfer / Von Hans Erich Lübke

erade, als ſich die müde Sonne zur Ruhe begeben wiill, wacht der
Abendwind auf und zieht über die weite Heide.

Da raſchelt es im Heidekraut und in den Wacholderbüſchen. Die Heide-
lerche ſingt ihr Abendlied und nickt ein. Im uralten, gebrechlichen Heide-
ſchafstall löst Jqich die Fledermaus vom Dachreſſig und fliegt zickzack über
das ſtille Land.

Gemächlich, Schritt sür Schritt, gehen die Schafe in den Schafstall,
mitten in der einsamen Heide. Als das letzte Tier im Stall iſt, ſtellt der alte
ſilberhaarige Heideschäfer das Inorrige Holzgitter vor den Eingang. Die Tür
läßt er auf, denn es iſt ſo warm, so wonnig ſommerwarm.—

Und unter den Macholder- und Ginſterbüſchen, unter Findlingen und
Zwergtiefern kriechen ſie hervor, die kleinen Nachtgeisterchen, ziehen die
grauen Schatten immer länger und länger und lassen lautlos, unmertklich
die dunklen Schleier der Nacht herniederſchweben.

Der Schäfer setzt ſich auf den altersgrauen, bemoosten Findling am Ein-
gang des Schafſtalles, legt das Strickzeug beiſeite, ſchiebt die Hände zwischen
die Knie und ſinnt vor ſich hin. Joseph, ſein getreuer Wächter, gähnt und
reckt ſich, kratzt ſich noch einmal im Genick und ſtreckt ſich nieder. –~

Langsam, leiſe iſt der Mond aufgegangen. Er hat ſich mitten in denKronen

der Wacholderbüſche am Hünengrab niedergelaſſen und ſtrahlt Jilberhell
über die einsame Heide.

Der abendliche Heidewind hat die Sterne wach Feten. Ein Stern tts
dem andern erwacht. ‘

Es ist so ſtill, ſo märchenstill. ~

Über dem Waſserloch mitten in der Heide weben und ſchweben die Nebel-

hug cu k ct ſtreicht leiſe, wie auf Samtpfoten, darüber hin und
ruf!:: Komm mit! -
Dem alten Heideſchäfer kommen sonderbare Gedanken.

Er denkt an den König, der auf der Freite war. Als er endlich ein Mädel
gefunden hatte, lachte es ihn aus und sagte: „Ick will nich dien Silber,
Ick will nich dien Gold; Ick hew all den Scheper Dor achter dat Holt.“

Ein König und ein Schäfer. Sie erwählte den armen Schäfer. +

Er blickt auf und sieht auf das Hünengrab und weiter auf den fernen
kleinen Kiefernwald, der Jſich dunkel und ſcharf geſchnitten vom duntel-
roten Abendhimmel eben über der Kimmung abhebt.

Da Jieht er plötzlich eine geiſterhaſte Heldenſchar um das Hünengrab und
von dort mitten über die Heide gen Weſten ziehen, zu Fuß und zu Roß,
immer mehr, immerfort, bis eine Sternſchnuppe dazwiſchenfährt.

Er sah dieſen Zug ſchon oft, aber er sprach nicht davon, er ſchwieg. Doch
ſein altes Herz iſt darüber voll Sonne, so voller Glück. –

Seine Jugendzeit kommt ihm in den Sinn, als er vor Jahrzehnten um
ſeine liebe, längst verſtorbene Grete freite und ihr das erſte und einzige
Gedicht seines ganzen langen Lebens mit ungelenker Hand ſchrieb:

Liebes, kleines Gretelein,

Komm zu mir im Mondenſchein,
Komm mit mir in Feld und Hain,
Wollen beide glücklich sein!

Und Jie ſind glücklich miteinander geworden. Lang, lang iſt's her. Er iſt
darüber alt und grau geworden und müde. –

Süß duftet die blühende Heide durch die selige Nacht.

Wenn die Heide blüht, weiß der alte Heidehirte, daß der liebe Herrgott
bei der ſchönſten Stelle seines Heideliedes angelangt iſt. –

Die Nachtigall ſchlägt und das Käuzchen ruft, die Sterne blinken und
der Mond versinkt. Wie ſüß iſt der Schlaf in der Heidenacht! denkt der
alte ſilberhaarige Heideſschäfer.

Langsam fallenſeine allen müden Augenzu, eben, als der MondſJich neigt.



Der alte Schäfer



Nach einem Gemälde von Chriſtian Mali
 
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