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Da s Buch für Alle

Heſt 5



Zu unseren Bildern

Die Abendglocke (S. 101). + JFaſt ſiebzig Jahre iſt es her, daß die
Münchner Akademie einem jungen Künſtler, einem Schüler des gefeierten
Professor Piloty, die ſilberne Medaille für ein Bild zuerkannte, das mit
einem Male durch den ſtarken Eindruck, den es auf jedermann machte,
allgemein die Aufmerkſamkeit auf den zuvor wenig bekannten Maler
lenkte. Er hieß Theodor Schüz, und das Bild war das auf Seite 101
wiedergegebene. Man ſtaunte über die kräftigen Farben, die plaſtiſche
Zeichnung und Modellierung, die im Unterschied von der blaſſen, oft
ſchemenhaften Malweise der vorangegangenen Epoche deutlich den Fort-
ſchritt bekundete, der dem Einfluß des Meisters Piloty zu verdanken war.
Aber was den Beschauer vor allem fesſſelte, was ihn wie eine unerwartete
Neuerung überraſchte, war mehr als techniſche Vervollkommnung, war
die unmittelbar zum Herzen ſprechende Innerlichkeit dieſes echt deutſchen
und im beſten Sinn volkstümlichen Bildes. Was ſeine ſchwäbiſche Heimat
Schüz war der Sohn eines württembergiſchen Landpfarrers , was
Elternhaus und glückliche Kinderzeit dem empfänglichen Gemüt mitge-
geben und der junge Maler zu innerlichem Besitz ſich angeeignet hatte, dem
gab er schlicht und wahrhaftig Ausdruck und Geſtalt, fern von aller Poſe
wie von seichter Sentimentalität. So gut war die Natur und das Leben
der Menſchen in ihr bis in die kleinen Einzelzüge beobachtet, mit ſolcher
Treue war alles charakteriſiert, daß jenes Bild und andere, die ihm folg-
ten, bei Unzähligen Erinnerungen aus dem eigenen Leben wach riefen.
Und diese ansprechende, lebenswahre Volkstümlichkeit iſt der Vorzug der
Schüzſchen Kunſt geblieben, auch als er ſpäter ſeine ſchwäbiſche Heimat
mit der damals durch Schirmer und die Brüder Achenbach in besonderem
Ruf stehenden rheiniſchen Muſenſtadt Düsseldorf vertauſchte. An Eindrucks-
kraft hat diese gemütstiefe und doch ſo anſpruchsloſe Kunſt auch heut nichts
eingebüßt. Wie nimmt doch einen jeden die einheitliche Darſtellung der
Abendſtimmung auf unſerem Bild gesangen ! In den Aſt- und Zweige-
wölbungen der hochragenden, uralten Linden des ſtillen Friedhofes weben
ſchon nächtliche Schatten. So weit iſt die Sonne geſunken, daß ihre ſchräg
einfallenden Strahlen nur noch auf die untere, von Bäumen nicht verdeckte
Wand des Kirchleins im Hintergrund ihren goldenen Schein werfen. Dort
ſpielen Kinder, nichts ahnend von Todesſchrecken, zwiſchen kreuzgeſchmück-
ten Grabeshügeln, indes vom Turm die Abendglocke klingt. In der Seele
der alten Frau, die, auf den Stock geſtützt, langſamen Schritts die Stufen
herabkommt, wecken die Klänge Gedanken, ſo wie Jie in den Versen an-
gedeutet ſind, die der Stuttgarter Buchhändler Steinkopf dem Maler
Theodor Schüz als Thema für ſein Bild angegeben hatte:

„Liebſter Menſch, was mag's bedeuten,
Dieses ſpäte Abendläuten?"

Ein grünes Kränzlein seht das rotwangige Mädchen ſeitlich am Kirchweg
dem Brüderchen auf ihrem Schoß ins blonde, lockige Haar, und dem grö-
ßeren Buben, der ich daneben lang im Graſe ausſtreckt, fehlt nichts zum
wunſschloſen Glück.

So ſprießt das junge Leben ! Wem aber die Jahre den Rücken gebeugt
haben, wie der alten Mutter, dem füllt beim Abendglockenläuten die Seele
ein herzliches Verlangen, heimzukommen und auszuruhen von aller Mühe
und Arbeit, von Luſt und Leid in tiefem Schlummer, im Frieden ge-
borgener Feierabendruh. Glück zu, muntere Jugend, wachſe hinein ins
Leben, damit sich die Lücken ſchließen, wenn wir Alten gehen, und einmal
kommt auch für dich ein Tag mit lettem ,„ſpätem Abendläuten“. R.

„Der Berg, der iſt mein Eigentum“ (farbige Kunſtbeilage vor S. 103). ~
So sentimental, ſo bewußt, wie ſich das kluge Stadtleute einbilden, iſt das
Naturempfinden der Sennen im Hochgebirge nicht. Neugierige ſeien ge-
warnt ! Auf derlei Fragen würden die erſtaunten Bergbewohner wohl die
Antwort schuldig bleiben. Die greifbare Gegenſtändlichteit, das harte Muß
der anſtrengenden täglichen Arbeit ſind es allein, die das Denken und die
kargen Gespräche erfüllen. Und wahrhaftig, arbeiten müſſen die wetter-
harten Gebirgler vom frühen Morgen bis zum Abend, wenn in den
wenigen Sommermonaten die Sennwirtſchaft ausreichenden Nutzen ab-
werfen, für den langen Winter genügend JFutterertrag für das Vieh er-
geben soll. ~ Aber viel mehr, als ſie wiſſen und ſagen, hängen die Sennen
an ihrer Bergheimat, lieben ſie das Leben auf der Alm, Jo hart und in
vieler Hinſicht entbehrungsvoll es iſt. Sie kennen jede Zirbelkiefer und jede

Eigentümlichkeit der bald üppige, bald kargere Weide gebenden Halden

und Hänge, Jie kennen die wildbachdurchrauſchten Mulden und die zwiſchen
Fels und Firn liegenden Grasſtücke. Als Heimat gehört ihnen, was ihre
Augen in der weiten Bergeinſamkeit ſehen, ihr bedächtiger Steigſchritt
erreicht und was sie ringsum umſchließt, die hohen, kaum zugänglichen
Schroffen und Hörner und die ſteilen, ſteinigen Abgründe dazwiſchen, aus
denen selbſt die Sommersonne den Schnee nicht wegſchmilzt, und die
breilen Täler, aus denen die Nebel aufsteigen und durch die in unend-
lichem Wechsel die Wolken ziehen.

Und der Keckſte und Froheſte iſt der Sennbub. Wenn er, den Stecken in
der Rechten, rotglühende Alpenroſen am runden Filzhut, das Vieh auf
die höher gelegenen Almen treibt, da ſchwellt wohl die junge Bruſt ein
ſtolzes, freies Frohgefühl, wie es Uhland in seinem Gedicht „Ich bin vom
Berg der Hirtenknab'“ so ſchön und treffend wiedergibt:

„Der Berg, der iſt mein Eigentum,

Da ziehn die Stürme ringsherum.

Und heulen Fie von Nord und Süd,

So übersſchallt ſie doch mein Lied.

Ich bin der Knab’ vom Berge." ; R.

















Mannäigfaltiges









„Nix is g’ſchehn, Eu’r Gnaden.“ Der berühmte Wiener Maler Hans
Matartwarnichtsehr trinkfeſt. Einmal gab es ein Trinkgelage unter Künſtlern,
und Makart war in kürzeſter Friſt „fertig“. Bei dem vielen Zutrinken und
der ungeheuren Beredſamteit ſeines Tiſchnachbarn, des Malers Hans Canon,
war ihm todübel geworden. Canon nahm ſich ſeiner mit väterlicher Milde
an. Er schaffte ihn in einen Wagen und legte dem Kutſcher ans Herz, auf
den Herrn wohl achtzuhaben und ihn pünktlich zu Hauſe abzuliefern.
Nach einer halben Stunde kehrt der Kutsſcher zurück. Canon erkundigte ſich,
ob alles glücklich abgelaufen ſei. Sollte etwas im Wagen, etwa die Sitzpol-
ſter, beſchädigt warden ſein, ſo werde er den Schaden im vollen Umfang
ersſeßen. Vergnügt lächelnd antwortete der Kutſcher: „Nix is g'ſchehn,
Eu'r Gnaden, i hab’ ahm's Futtersſackel umg’bunden." Ln.

Der Totenerwecker. Szene aus dem Zirkus in Petersburg bald nach
der Vertreibung der Russen aus Oſtpreußen. Zwei dumme Auguſte treten
auf; es entſpinnt Tich ein heftiger Wortwechſel, der zu Tätlichkeiten aus-
artet und damit endet, daß der eine den anderen totſchlägt. Darauf ein
herzzerreißendes Jammern des Totſchlägers darüber, daßz er seinen beſten
Freund erschlagen hat. Plötzlich erhellt ſich ſeine Miene, und er rufst ins
Publikum hinein, daſz ihm ein Mittel eingefallen ſei, womit man in Ruß-
land die Toten auferwecken könne. Er beugt ſich zu dem Toten hernieder
und schreit ihm ins Ohr: „Die Polizei kommt !“ Aber die Drohung mit der
Polizei machte auf den Toten nicht den geringſten Eindruck, und er blieb
mauſetot. Erneutes Jammergeheul und Ströme von Tränen. + Dann
plötzlich ein Luftſprung vor Freude. Nun ſei ihm ein Mittel eingefallen,
das seine Wirkung gewiſz nicht verfehlen würde. Abermals beugt er ſich zu
dem Toten hernieder und brüllt ihm aus vollem Halſſe ins Ohr: ,„Hinden-
burg kommt !“ Sofort ſprang der Tote auf und verließ in raſender Flucht
die Arena, begleitet von dem donnernden Beifall der Menge. Sh.

Die schlecht verbrachte Jugend. Cin Professor der Pädagogik in Göttingen
hatte die Gewohnheit, mehrmals in der Woche Billard zu spielen, und
zwar ſtets mit demſelben Partner. Eines Tages fand der Billardpädagoge
seinen gewohnten Gegenspieler im Kaffee nicht vor. Der Kellner bedauerte,
daß heute der Billardpartner fehle, und ſchlug als Ersatz einen beſcheiden
in der Ecke ſißenden jungen Mann vor. Das Spiel beginnt, der Professor
kommt kaum zum Stoß und verliert wie der traurigste Billardſtümper. Doch
er iſt Erziehungskünſtler und rafft ſeine ganze Würde mit den Worten zu-
ſammen: „Wissen Sie, junger Mann, Billard ſpielen zu können, iſt ein
Zeichen guter Erziehung, aber ſo Billard zu ſpielen wie Sie ... iſt der
Beweis einer ſchlecht verbrachten Jugend !" Sprach's und ließ wütend den
verblüfften Ersatzſpieler ſtehen. R.

Meſſer und Gabel. Die Bayern waren 1850 ins Heſſsenland gezogen,
und ein als rechter Demokrat und Widerborſt bekannter Bauer in der
Nähe von Fulda, der einſt bei den Preußen gedient hatte, bekam einen
Kürassier ins Quartier, der vom Quartiermacher aus der ganzen Schwadron
ausdrücklich ausgeſucht worden war. Der Kürassier legte gleich nach dem
Eintritt unter allerlei Forderungen und Drohungen seinen Pallaſch auf
den Tiſch. Doch kaum ſah das der Bauer, ſo lief er hinaus, holte eine Miſt-
gabel und legte ſie neben den Säbel. „Was oll das heißen?“ fragte der
Reiter. „Ich dachte,“ erwiderte der Bauer, „Daß zu dem großen Messer
eine ebenſo große Gabel gehört." ~ Die Mägde lachten, der Küraſsier
ſteckte ſtill das Schwert wieder in die Scheide und ließ ſich wohlſchmecken,
was der Bauer ihm alsdann auftiſchte. E. B.

Komiſche Ausrede. Einer meiner Studienfreunde liebte es, ſich in vor-
gerückter Stunde als Redner zu betätigen. Dieſe Reden aus dem Stegreif in
kühner Eingebung waren nicht das Schlechteſte an ihm. So erkletterte er
eines Abends auf dem Nachhauſewege an einer Haltestelle der Straßenbahn
 
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