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F ür un s er e Frau en

Heft 15



Bubi, Weibchen und Frau

Cin Mahnwort zur Rückkehr zum wahrhaft Weiblichen / Von Alexander Freiherrn von Gleichen-Ruß wurm

Is ich mir neulich die Haare ſchneiden ließ, hatte

ich ein kleines Erlebnis, das unsere Zeit in einer
ihrer auffallendſten Erſcheinungsformen charatteri-
ſiert, nämlich in jener Erſcheinung, die das Schwinden
des eigentlich Weiblichen umfaßt. Aus dem Damen-
ſalon kam gerade eine Dame und wollte an der Kasse
bezahlen. „Was hat die Dame zu bezahlen?“ fragte
das Ladenmädchen den Friſeur, und dieser antwor-
tete: „Haarſchneiden und Rasieren.“

Ein Stückchen Kulturgeſchichte liegt in diesem klei-
nen, alltäglichen Geſchehen und zeigt, wie nahe die
Geſchlechter ſich rücken, indem auf der zahlreicheren,
früher ſchwächer genannten weiblichen Seite eine
Schranke nach der anderen fällt, hinter der vergangene
Generationen Anmut und weibliche Zurückhaltung
vor profanen Blicken hüteten.

Wohl verſtehe ich die Opfer, die das weibliche Ge-
ſchlecht im Kampf ums Daſein bringen muß, aber es
ſollen Opfer sein, nicht Modespielereien oder Ausar-
tungen werden, die vom Fraulichen abgehen und nur
das Knabenhafte betonen. Damit möchte ich nicht
miſßverſtanden sein; geſunder Sport für junge Mäd-
chen, aufrichtige Kameradſchaft zwiſchen Mann und Frau, auch zwiſchen
Mutter und Sohn gehören zu den wohlbegründeten Erfordernissen der
Gegenwart. Geziertes Spreizen und Kokettieren ind lächerlich in einer Zeit,



wo auch die Frau hinaus muß ,ins feindliche Leben“. Aber gerade weil ie
mitarbeiten und mitverdienen muß, iſt es geboten, daß die Frau in Form
und Wesen „das Ewigweibliche“" betont und nicht aus der sogenannten
reichlich aufgeklärten Halbjungfrau zum Halbjungen wird.

Daß ein Mädchen oder eine junge Frau, wenn ie Männerarbeit ver-
richtet in Büros oder Werkſtätten, ſich in Kleidung und Haartracht den prak-
tiſchen Erfordernissen fügt, iſt ſelbſtverſtändlich. Im heutigen Gedränge der
Großſtädte, auf Straßenbahnen, im Lift und in allen anderen modernen
Verkehrsmitteln hat der lange Rock, der große Hut mit Hutnadeln nichts
zu ſuchen. Das kurze Haar, das der Jugend oft reizend ſteht, aber außer-
ordentlich viel Pflege bedarf, um anständig auszuſehen, paßt zum Stil, dem
wir uns einfügen müſsen, darf aber keiner Übertreibung verfallen und muß
der wirklichen Jugend vorbehalten werden. Die Frau Jollte bedenken, daß
Schönheit eine ſtrenge Herrin iſt und Opfer verlangt. Wo die Frau gefeiert
und begehrt war, erreich-

moderner Jüngling zu seinem Freund. Allzu freie Kameradschaft, wie Jie
die Auswüchſe in Sport und Wandern, auch im Tanz und bei gemein-
ſamer Arbeit leicht mit sich bringen, zerstören jene heilige Scheu, ohne die
ſich nun einmal die Würde der Frauen nicht wahren läßt. .
War es eine begreifliche Kriegserinnerung, daß der junge Mann im Mäd-
chen den guten Kameraden ſuchte, war es eine unausbleibliche Folge der
ſchweren Lebensbedingungen, daß die Frau einen Beruf brauchte wie der
Mann, Weiterdenkende beginnen ein Übergangsstadium darin zuſehen und
ſtellen geiſtig wie körperlich als Ideal wieder echte Weiblichkeit auf.
Sgchlantheit hat nichts mit knochiger Magerkeit zu tun, wiesie der Tages-
mode entſpricht, von ungeſundem Training und mit
ſchädlichen Kuren herbeigeführt. In einer Zeit, als die -
Frau, um den Männern zu gefallen und stolz ſich ihres 10
Geschlechtes bewußt, auf edle Üppigkeit der Formen
hielt, malte ein Tizian, ein Rubens ſJeine herrlichen
Gestalten. Und um die Mitte des neunzehnten Jahr-
hunderts schrieb Heinrich Heine den Vers:
„Des Weibes Leib iſt ein Gedicht,
Das Gott der Herr geſchrieben
Ins große Stammbuch der Natur,
Als ihn der Geiſt getrieben.“
Die Mode übt ihren Einfluß
nicht nur auf die Kleider, sſondern
auch auf das, was darunter iſt, und
wenn die Sehnſucht nach volleren
Formen ich wieder einſtellt, wer-
den diese dem veränderten Ge-
ſchmack ebenso rasch folgen, wie
die übertriebene Magerkeit Jich
merkwürdigraſch verbreitete. Esiſt _
eben doch immer und überall „der
Geiſt, der ſich den Körper baut“.
Und eben deshalb iſt es an der Zeit, daß rich der Geiſt ändert, daß in
Leben und Weltanschauung das wahrhaft Jrauliche an Raum, Achtung
und Bedeutung gewinnt, daß wieder jene Eigenschaften geſchätt werden,
die eine ſchöne Häuslichkeit aufbauen und erhalten. „Häuslichkeit iſt des
Weibes Weltgeſchichte," meinte Börne, sie muß wieder zur Kulturgeschichte
der kommenden Zeit werden. Dadurch wird von ſelbſt aufgeräumt mit all
den Modetorheiten, Auswüchsen und Perversitäten, die eine mißversſtan-
dene Entwicklung in der





te ſie dies niemals ohne
Mühe und Anſtrengung.

Alexander Popehat zu
Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts, einer Zeit
derFrauenherrsſchaft,fol-
genden Satz aufgeſtellt:
„Wie die Frauen den
Rätseln darin gleichen,
daß sie unverständlich
ſind, so stimmen Jie mit
ihnen auch darin über-
ein, daß sie uns nicht
mehr gefallen, wenn wir
ſie recht kennen.“ Das
läßt sich heute minde-
ſtens mit derſelben Be-
rechtigung ſagen. Die
wahre Weiblichkeit ver-
hüllt ſich und wahrt Di-
ſtanz, ſie behält immer
etwas für ſich, was noch
zu erratenbleibt,ieſtellt
nicht zur Schau, wie es
heuteüblich, was, unſchön
und eckig, jeder Anmut
entbehrt. „Von meiner
Braut kenn' ich alles bis
auf die Ohren, “sagte ein



Deutſche Weiſen / Nach einem künſtleriſchen Lichtbild von Richard Wörſching, Starnberg

Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt / ü berſetzungsrecht vorbehalten / Anſchrift für Einsendungen: Schriftleitung des Buchs für Alle, Stuttgart, Cottaſtr. 13, ohne Beifügung eines
Namens / Herausgegeben unter verantwortlicher Schristleitung von Gottlob Ma yer in Stuttgart / Verantwortlich für den Anzeigenteil: Ge org Springer in Berlin / In Oſterreich für
Herausgabe und Schristleitung verantwortlich: Ro b ert Mohr in Wien I, Domgaſſe 4 / Druck und Verlag der Uni on Deutſche Verlagsgesellſchaft in Stuttgart

Kleidung, imGeſschlechts-
verkehr, in den Gesell-
ſchaftsſittenund imüber-
spannten Berufsleben
heraufbeſchworen hat.
Jede Übertreibung iſt
unnatürlich und dadurch
unschön. Die Natur hat
die Geschlechter verſchie-
den geschaffen, da Jie
verſchiedenen Anforde-
rungen genügen müssen.
Erſt wenn Jich der Geiſt,
die Sitte und der Körper
nach und nach wieder
dementsprechend einſtel-
len, kommen Gesundheit
und innere Befriedigung
in die Welt.

„Rückkehr zum wahr-
haft Weiblichen!“ iſt
der Wahlſpruch, der dem
jungenheranwachſenden
Geschlecht ins Stamm-
buch geschrieben werden
sollte. Erkennt die Ju-
gend dieſe Forderungan,
die Älteren werden ſie
ganz von .selbſt erfüllen.


 
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