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Das Buch für Alle


einen Film an unseren Augen vorbeiziehen zu lassen. Wir würden dann
die ältesten Vorfahren des jetzt lebenden Menschen bei ihren Verrichtungen
beobachten, ja wir könnten vielleicht gar weit vor das erste Auftreten des
Menschen zurückgehen und die Riesentiere früherer Zeiten in erbittertem
Kampf vor uns sehen, das Werden der Alpenkette und das Entstehen und
Vergehen neuer Kontinente persönlich erleben!
Um derartige großartige Dinge zu verwirklichen, brauchten wir nämlich
nur die der Erde näher liegenden Fixsterne nach einem kleinen Spiegel,
nach einer Kristallfacette oder nach der ebenen Fläche eines geschmolzenen
Körpers abzusuchen, der natürlich in geeignetem Winkel zu uns stehen
müßte. Jeder solche Spiegel würde uns einen anderen Einblick in ver-
gangene Zeiten gewähren. Denn bekanntlich spiegeln sich an einer ebenen
Fläche die von einem Gegenstand ausgehenden Lichtstrahlen derart, daß sie
von der Spiegelfläche in demselben Winkel zurückgeworfen werden, in dem
sie auftreffen. In unserer Abbildung sind für die von dem Punkt
ausgehenden Lichtstrahlen die durch die Spiegelfläche lKLU zurückgewor-
fenen Strahlen eingezeichnet, und wie ersichtlich, weisen diese sämtlich
nach einem Punkt der zu Punkt symmetrisch, das heißt in gleicher
Entfernung von der Spiegelfläche, aber auf der entgegengesetzten Seite,
liegt. Man sieht daher jeden Gegenstand im Spiegel so, als ob er sich auf
der anderen Seite des Spiegels, und zwar symmetrisch zum Original-
gegenstand, befände.
Wenn wir dieses Gesetz auf unseren Fall anwenden, so finden wir, daß
alle von der Erde ausgehenden und auf den Firsternspiegel auftreffenden
Lichtstrahlen von diesem derart gespiegelt werden, daß man ein jenseits
des Spiegels gelegenes, von diesem in entgegengesetzter Richtung ebenso

weit entferntes Objekt zu sehen glaubt, das Spiegelbild ist mit anderen
Worten von dem Beschauer auf der Erde, der durch das „Superteleskop"
nach dem Firsternspiegel blickt, doppelt so weit entfernt wie der Firstern
von der Erde, und das Licht braucht, um von der Erde auf den Firstern
und von diesem zurück nach der Erde zu gelangen, doppelt si lange Zeit wie
zur Überbrückung der Entfernung zwischen Erde und Firstern.
Ein Spiegel auf einem etwa fünfundsiebzig Lichtjahre von uns entfern-
ten Himmelskörper würde uns zum Beispiel Ereignisse zeigen, die etwa
hundertfünfzig Jahre zurückliegen. Mit seiner Hilfe könnten wir also den
Beginn der Französischen Revolution erleben, die Schlachten jener bewegten
Zeit vor unseren Augen erstehen lassen. — Säßen wir mit unserem elek-
trischen Teleskop aber auf dem Firstern Rigel, der vierhundertsechsundsech-
zig Lichtjahre von uns entfernt ist, so brauchten wir nur dreiunddreißig
Jahre zu warten, um Kolumbus mit seinen kleinen Schiffen auf seiner
Forscherfahrt immer näher an die Küsten Amerikas herankommen zu sehen.
Dasselbe Resultat aber könnten wir von der Erde aus erzielen, wenn wir
nur auf einem etwa halb so weit entfernten Firstern eine geeignet gelegene
Spiegelfläche auffänden. Mit einem Spiegel, der etwa halb so weit von
uns entfernt wäre wie der kleine Magellannebel, würden wir bis tief in das
erste Steinalter und vielleicht noch viel weiter zurückblicken. Da nach den
neuesten Messungen gewisse Himmelskörper nicht weniger als eine Million
Lichtjahre von uns entfernt sind, könnten wir auf diese Weise zu Zeugen
irdischer Ereignisse werden, die die doppelte Zeit, das heißt zwei Millionen
Jahre, zurückliegen.
Alles dies ist keineswegs utopistisch, sondern durchaus realisierbar, liegt
durchaus in der Linie der gegenwärtigen Entwicklung technischer Dinge.

Der Eselskaus
Ein humoristisches Erlebnis / Von B. Trauen in Tamaulipas, Mexiko

n dem Jndianerdorfe, in dem ich lebte, lief alles Getier, Rinder, Ziegen,
Schweine, Hühner und unzählbare Hunde, frei herum. Irgend einem
Tier einen Stall zu bauen, hielt man für überflüssige Arbeit. Die Tiere
fühlten sich auch alle viel wohler ohne Stall.
Unter diesem Getier befanden sich auch viele Esel, denn jede Indianer-
familie hatte wenigstens zwei Esel. Der Esel ist in Zentralamerika wich-
tiger als eine guteKuh. Das sah ich selbst bald ein, und ich beschloß, mir einen
Esel anzuschaffen, auf dem ich zu meinem Felde reiten konnte und der mir
half, Holz und Feldfrüchte Heimzuschaffen.
Jeder Indianer kennt sein Vieh ganz genau, auch wenn es keine Brand-
marke trägt. Unter den herumlaufenden Eseln bemerkte ich nach einiger
Zeit einen, der sicher keinen Besitzer hatte. Er wurde nie geritten, nie be-
laden, und wenn er sich in der Nähe einer Hütte sehen ließ, trieben ihn die
Jungen fort oder hetzten die Hunde auf ihn. Man konnte es leicht verstehen,
warum niemand von den Indianern
sein Besitzer sein wollte. Denn er
war sehr häßlich. Das rechte Ohr
stand wagrecht heraus, und das linke
Ohr hing schlaff herunter, weil es
offenbar in des Esels weit zurück¬
liegender Jugend bei irgend einer
Gelegenheit gebrochen worden war.
An dem einen Hinterbein hatte er
eine dicke verhärtete Geschwulst, die
von dem Biß einer Giftschlange oder
dem Stich eines Skorpions her¬
rühren mochte.
Diese Unabhängigkeit und das Va¬
gabund enleb en machten d en Esel, d er
männlichen Geschlechts war, zum
Herrscher über alle andern Esel, und
er verfügte über die weiblichen Esel
des Dorfes selbstherrlich. Natürlich
immer zu seinen eigenen Gunsten.
Er kämpfte jeden Nebenbuhler rück¬
sichtslos nieder, und bei diesen
Kämpfen machte er nicht nur von
seinen Hufen, sondern auch von
seinen Zähnen einen rücksichtslosen
Gebrauch.
Einmal wurde er von zwei In¬
dian erbursch en mit Holz beladen,

das der Esel der beiden Burschen abgeworfen hatte, weil er glaubte, die Last
sei zu schwer für ihn. Der häßliche Esel aber nahm die Last auf, als sei sie
Spielerei. Als er bei der Hütte der Burschen abgeladen war, wollte er nicht
mehr fort von der Hütte. Seine Sehnsucht war, einen Herrn zu haben und
eine Hütte, wo er das Recht hatte, im Schatten zu stehen, ohne daß ihn
jemand mit Steinen forttrieb. Die Jungen aber trieben ihn fort, nachdem
er seine Gelegenheitsarbeit getan hatte, weil sie nicht die Besitzer eines so
grundhäßlichen Esels sein wollten.
Ich hatte den ganzen Vorgang mit angesehen, und ich wußte auch, daß
niemand im Dorfe den Esel haben wollte und niemand sich als seinen Be-
sitzer erklärte. Nun ging ich in die Hütte und fand den Vater der beiden
Burschen auf dem Boden hocken, eine Mango mit den Zähnen abschälend.
„He, Boleo," fragte ich, „wem gehört denn eigentlich der Hängeohresel?"
„Der gehört niemand, Serwr. Niemand im ganzen Dorfe. Der ist mal
hier zugelaufen oder auch von einer
durchziehenden Karawane zurück-
gelassen worden. Was weiß ich. Der
gehört niemand. Auch mir nicht."
„Dann könnte ich doch eigentlich
den Esel haben. Ich brauche not-
wendig einen, und niemand hat
einen volljährigen Esel zu verkau-
fen," sagte ich nun.
„Natürlich," antwortete Boleo,
„wir sind alle froh, wenn der Esel
jemanden kriegt. Aber er ist sehr
häßlich. Ich möchte ihn nicht anfas-
sen, so häßlich ist er."
„Da mache ich mir nichts draus.
Er ist stark und läßt sich gut reiten,"
erwiderte ich.
Dann ging ich heim, holte mir
eine Leine, fing mir den Esel ein
und brachte ihn zu meiner Behau-
sung. Darauf lief ich zum Kaufladen,
kaufte fünf Kilo Mais und gab
meinem neuen Arbeitsgefährten
ein paar Hände voll Mais zu essen.
Er nahm den Mais — wohl den
ersten seit langer Zeit—freudig und
dankbar entgegen und fühlte sich von
dem Augenblick an bei mir zuHause.


Junger mexikanischer Esel, der mit verbundenen Augen beladen wird,
weil er sonst Widerstand leisten und durch brennen würde
 
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