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Heft i


Eselkarawane in einem indianischen Dorfe in Amerika. Die Last für einen Esel beträgt sechzig bis
achtzig Kilogramm. Damit läuft der Esel, bei sehr bescheidener Nahrung, die er am Wege findet,
von morgens um vier bis abends um sechs, oft noch die halbe Nacht, wenn Mondschein ist. Seine
Mittagsruhe währt von elf bis zwei Uhr. (Phot. Hugo Brehme, Mexiko)

Am nächsten Tage ritt ich stolz auf
ihm zu meinem Felde hinaus, und auf
dem Heimwege belud ich ihn mit einer
schönen Last Kürbisse für meine Zie¬
gen. Der gute Esel wurde mir durch
seine Dienste nach wenigen Tagen
schon unentbehrlich. Dadurch, daß ich
auf das Feld hinaus reiten konnte,
war ich in der Lage, mehr zu arbeiten,
und weil mir das brave Tier solche
LastenvonFeldfrüchtenheimschleppen
konnte, bekamen die Ziegen besseres
Futter und gaben mehr Milch.
So ging eine Woche vorüber. Es
war an einem Sonntagnachmittag,
als ein Indianer vor meine Hütte
kam, mich begrüßte und um Feuer für
seine Zigarette bat. Dann sagte er mir,
daß es sehr heiß sei, daß er schwer zu
arbeiten habe, daß sein jüngstes Kind
augenblicklich an Husten leide und daß
seine beiden Kühe recht wenig Milch
gäben. Um mir das alles zu erzählen,
war er nicht gekommen.
Nach einer Weile deutete er zu mei¬
nem Esel hinüber, der an Maiskolben
kaute, und sagte: „Das wissen Sie
doch wohl, Seüor, daß dies da mein
Esel ist?"
„Ihr Esel?" fragte ich erstaunt.
„Das ist nicht Ihr Esel. Der Esel ge¬
hört niemand."
„Da sind Sie im Irrtum, Seüor.
Das ist mein Esel. Aber wenn Sie ihn
gern haben wollen, will ich Jhnenden
Burro verkaufen. Billig, kuruto,
fünf Pesos nur, hier in die Hand."
Das war allerdings billig, unter
zwölf Pesos bekommt man schwerlich
einen Esel, häufig kosten sie sogar fünf¬
undzwanzig bis dreißig Pesos. Ich
dachte, das beste ist, ich bezahle die fünf
Pesos, und dann bin ich rechtmäßiger
Besitzer des Esels und habe mit nie¬
mand etwas zu tun. Ich handelte noch einen Peso herunter, und dann zog
der Mann mit seinen, nein mit meinen, vier Pesos und mit den Versiche-
rungen, daß ich sein Haus und alles, was er habe, als mein betrachten
dürfe, wieder ab. — Es vergingen anderthalb Wochen, und als ich eines
Spätnachmittags mit meinem schwerbeladenen Esel vom Felde heim-
wanderte, begegnete ich dem Indianer Rocio auf dem Wege. Er sagte:
„lZnsnas turclss, 8süor, viel Arbeit, rnnolio krulmjo, vsrcluct?"
„Gewiß," antwortete ich und wollte weitergehen. Aber Rocio hielt mich
an und sagte: „Morgen brauche ich den Esel, ich habe Holzkohle draußen im
Busch und muß sie hereinschaffen."
„Welchen Esel meinen Sie denn, Rocio?"
„Den da." Dabei deutete er auf meinen Esel.
„Den können Sie morgen nicht haben," gab ich zur Antwort. „Den
brauche ich morgen selbst."
„Das ist mein Esel, und ich denke doch nicht von Ihnen, Seüor, daß Sie,
ein so vornehmer Mann, einem armen Indianer, der nicht zu lesen und
nicht zu schreiben weiß, den Esel stehlen wollen."
„Das ist aber mein Esel, Rocio. Den habe ich von Felipe für vier Pesos
gekauft."
„Von Felipe, Seüor? Da will ich Ihnen nur sagen, der Felipe ist ein
gemeiner Schurke, ein Lügner, ein Schwindler, ein Bandit, ein Mörder und
ein Hausanzünder. Der hat Sie betrogen und belogen. Der hat Ihnen den
Esel verkauft, und er hat doch ganz genau gewußt, daß dies mein Esel ist,
den ich selbst aufgezogen habe. Aber ich will Ihnen etwas sagen, Seüor,
ich bin ein ehrlicher und ein anständiger Mann, die Heilige Jungfrau soll
mich mit den Pocken schlagen, wenn es nicht wahr ist. Und ich will Ihnen
den Esel für sechs Pesos verkaufen. Er ist eigentlich mehr als zwanzig wert,
aber weil ich nicht ein solcher Schurke bin wie der Felipe, so will ich Ihnen
den Esel billig verkaufen für zehn Pesos."
„Sie haben doch soeben gesagt, für sechs Pesos."
„Habe ich gesagt sechs? Wenn ich sechs gesagt habe, dann sollen Sie den
Esel auch für sechs Pesos haben. Ich bin kein Betrüger."

Ich dachte aber doch, daß es vielleicht besser sei, erst einmal genau fest-
zustellen, ob Rocio nun wirklich der Besitzer sei, damit nicht vielleicht morgen
ein anderer Besitzer auftauche. Dazu aber ließ mir Rocio keine Zeit. Er
wollte sofort wissen, ob ich den Esel kaufe oder nicht. Wenn nicht, dann
würde er ihn hier an Ort und Stelle sofort abladen und mich auch noch
bei der Ortsbehörde wegen Viehdiebstahls anzeigen. Während wir uns
noch herumstritten, kam ein anderer Indianer vorbei, den ich ebenfalls
kannte.
Rocio fiel ihn sofort an und fragte: „Honakrs, Mensch, das ist doch mein
Esel hier? Ist das nicht mein rechtmäßiger Esel?"
„Freilich ist das dein Esel," sagte der Mann, „das kann ich gut be-
schwören."
Also da warenZeugen. Rocio war im Recht. Ich handelte, und als es an-
fing, dunkel zu werden, waren wir auf drei Pesos und fünfzig Centavos
herunter. Er begleitete mich zu meinem Wohnbereich, wo er das Geld in
Empfang nahm und dann mit seinem Zeugen abwanderte, immerwährend
beteuernd und lamentierend, daß ich ihn schmählich bei dem Kauf über
das Ohr gehauen hätte, der Esel sei zehnmal mehr wert, aber gegen die
schlauen Weißen könne sich so ein armer unwissender Indianer nicht
verteidigen.
Es vergingen wieder mehrere Tage, und als ich an einem Sonntagnach-
mittag an dem Rathause meines Dorfes, das gleichzeitig als Gefängnis
und Wohnung des Bürgermeisters dient, vorüberkam, saß der Bürger-
meister, gleichfalls ein Indianer, vor dem Haupteingang des Amtsgebäudes.
Er rief mich an und bat mich, einen Augenblick näher zu treten.
Er bot mir einen wackligen Korbstuhl an und erzählte mir einige Sachen
aus seiner Familie. Dann als ich endlich gehen wollte, sagte er: „Wie ist
das eigentlich mit dem Esel?"
„Mit welchem Esel?" fragte ich.
„Mit dem Gemeindeesel, den Sie da in Ihrem Hofe haben und den
Sie reiten und arbeiten lassen."
„Das ist mein Esel. Den habe ich gekauft," sagte ich nun protestierend.
 
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