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Im Silberschein des Mondes / Nach einem Gemälde von Prof. Ernst Liebermann


Die Scheidungsverpslichtung / Skizze von Eliza Ichenhäuser

^^>ir saßen beim Mondschein auf einer Terrasse einander gegenüber,
(^4^die goldblonde Frau von Blümer und ich, und genossen schweigend
den Zauber des weiten, mit Glanz übergossenen Tales, der silberschim-
mernden Berge und der wogenden Kulissen einer alten Burg. Mit
tiefen Zügen atmeten wir die balsamische Luft und die wohlige Atmo-
sphäre der Ruhe und des Friedens ein, die der Großstädter als so ganz
besonders wohltuend empfindet.
Wir waren glücklich, nicht genötigt zu sein,eine oberflächlicheUnterhaltung
zu führen. Trotzdem wir uns erst hier kennengelernt hatten, waren wir
einander geistig und seelisch so nahe getreten, daß wir uns auch ohne Worte
verstanden und niemals eine Stimmung durch sie verdarben.
Heute jedoch schien Frau Irene mitteilungsbedürftig zu sein, denn ganz
plötzlich sagte sie: „Wissen Sie, warum ich Sie liebgewonnen?", und als
ich sie fragend anblickte: „Weil Sie zu den ganz seltenen Menschen ge-
hören, die einen nicht gleich nach Nam> und Art fragen, vor denen man
nicht möglichst während der ersten fünf Minuten der Bekanntschaft schon
seine ganze Lebens- und Familiengeschichte auspacken muß. Sie glauben
nicht, wie taktlos die meisten in dieser Beziehung sind. Ich kann ein Lied-
chen davon singen, wie sehr ich schon darunter gelitten habe. Aber Ihnen
gegenüber habe ich das Bedürfnis, mich über mein trauriges Geschick aus-
zusprechen. So hören Sie.
Als unschöne Tochter eines mittellosen Universitätsprofessors mußte ich

mich rechtzeitig nach einem Beruf umsehen. Besondere Talente hatte ich
nicht, die häuslichen Berufe befriedigten mich nicht, so versuchte ich es denn
im kaufmännischen Leben. Da ich nicht unintelligent bin, sehr fleißig und
strebsam war, brachte ich es im Laufe der Jahre bis zur Stellung einer
Prokuristin in einem guten Betriebe. Die Tätigkeit war zwar anstrengend,
bot mir jedoch viel Befriedigung und eine gute Bezahlung. Ich fühlte mich
also recht glücklich, und dies umso mehr, als auch ein Schuß Romantik
meinem auf Pflichten eingestellten Dasein nicht fehlte.
Ein jüngerer Kollege, dem ich als Beraterin diente, weihte mir dafür
eine schwärmerische Verehrung, die ich mir umso lieber gefallen ließ, als
ich sie bei unserem Altersunterschied — er war fünf Jahre jünger als ich —
für gänzlich harmlos hielt. Ich machte mich sogar ein wenig über ihn lustig,
empfand es aber doch in meiner Einsamkeit — ich übte meine Tätigkeit in
der Großstadt, fern von meinem Elternhause aus — angenehm, einen
Menschen um mich zu haben, auf dessen Freundschaft und Anhänglichkeit
ich mich verlassen konnte. In der Woche hatte ich meine Arbeit, und der
Sonntag, der für alleinstehende Mädchen so traurig sein kann, war im
Sommer durch Ausflüge und Spaziergänge, im Winter durch Museums-,
Konzert- und Theaterbesuche, die wir gemeinschaftlich unternahmen, gut
ausgefüllt. Da platzte wie eine Bombe in dieses fast beschaulich zu nennende
Leben die Nachricht vom Tode seines Vaters. Er mußte nun nach Hause,
die Leitung des väterlichen Betriebes übernehmen.
 
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