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Er fehlte mir natürlich sehr, ich fühlte mich geradezu verwaist, da ich keine
anderen Freunde besah. Trotzdem erweckte es kein Echo in mir, als nach
einiger Zeit sein erster Brief eintraf, mit einer glühenden Liebeserklärung
und der Werbung um meine Hand. Es sprach für seinen Charakter, daß
eine seiner ersten Handlungen als selbständiger reicher Mann die Werbung
um mich war, seine Liebe rührte mich, allein sie erweckte keine Gegenliebe
in mir. Ich hatte mich so ganz auf die ältere Freundin, Lehrmeisterin und
Beraterin eingestellt, dasz es mir ganz unsinnig vorkam, dieses nüchterne,
sachliche Verhältnis in ein Liebesverhältnis umzuwandeln.
In meiner Antwort legte ich ihm denn auch diese Gründe sehr ausführlich
auseinander und erklärte ihm, daß es für beide Teile das beste sei, bei dem
alten Freundschaftsverhältnis zu bleiben. Ich hoffte, daß er sich meinen
Argumenten nicht verschließen und daß sie in ihrer Sachlichkeit etwas ab-
kühlend auf seine Gefühle wirken
würden. Statt dessen übten sie
die entgegengesetzte Wirkung aus.
Mein Widerstand schien ihn umso
mehr aufzureizen, und es folgte
eine regelrechte schriftliche Belage-
rung seinerseits. Auf jedes Argu¬
ment, das ich einer Verehelichung
entgegensetzte, hatte er ein ganzes
Dutzend, die dafür sprachen, und
als ich zu guter Letzt immer wie¬
der den Altersunterschied hervor¬
hob, der sich besonders in späteren
Jahren unangenehm fühlbar ma¬
chen könnte, da schlug er schlie߬
lich als Vorsichtsmaßregel da¬
gegen die Scheidung vor, die
jederzeit auf Wunsch des einen
Teils, dem dann der andere seine
Zustimmung erteilen müßte, er¬
folgen könnte. Ich sträubte mich
mit Händen und Füßen, aber er
ließ nicht locker. Als seine Briefe
nichts nützten, reiste er mir in
meinen Ferienreisen nach, uni
mich persönlich zubekehren, schlie߬
lich gab ich, des langen Kampfes
müde, nach, die vorgeschlagene
Scheidungsverpflichtung schien
mir wirklich ein Ausweg aus die¬
sen Schwierigkeiten zu sein. So
gab ich denn schweren Herzens
meine ausgezeichnete Stellung
auf, und wir heirateten.
Rolf hatte ein reizendes Nest
für uns beide vorbereitet und um¬
gab mich mit soviel zarten Liebes¬
beweisen, daß nun auch mein
etwas sprödes Herz sich endlich
der Liebe öffnete. Ich gewann ihn
herzlich lieb, und als ich einem
süßen kleinen Wesen das Leben
schenkte, war unser Glück voll¬
kommen. Rolf wurde ein ebenso
zärtlicher Vater als Gatte und be¬
grüßte das zweite Baby mit eben¬
so stürmischer Freude wie das
erste. Dies gab mir eine große
Beruhigung, wenn mitunter ein leiser Schatten sich auf mein Glück zu
senken schien, beim Gedanken an die Scheidungsverpflichtung, die ich ein-
gegangen war. Ein Mann, dem seine Kinder über alles gingen, würde ihnen
doch nie die Mutter rauben wollen ...
Aus diesem Grunde freute ich mich, als das dritte Kind sich ankündigte,
trotzdem es für meine zarte Gesundheit und mein nicht ganz jugendliches
Alter von fünfunddreißig Jahren etwas anstrengend war, hintereinander
drei Kinder dem Gatten zu schenken. Ich war daher geradezu stolz auf meine
Leistung und noch nicht ganz wiederhergestellt, als Rolf sich eines Tages
an mein Bett setzte, einen Strauß herrlicher La-Fränce-Rosen darauflegte
und meine Hand in die seine nahm. Mit dankbarem Blick überließ ich sie
ihm und schloß die Augen, um das Glücksgefühl, das mich durchströmte, voll
und ganz auszukosten.
Wie im Traum hörte ich seine Worte, die von Liebe und Dankbarkeit
für alles Glück, das ich ihm geschenkt, überströmten; vor allem aber pries er
meine Klugheii, die alle Möglichkeiten vorausgesehen Hütte und die durch
die innere Freiheit, die sie uns gelassen, verhindert hätte, daß der eine sich
als Gefangener des anderen fühlte, sobald er auch äußerer Freiheit bedurfte.
Ich traute meinen Ohren nicht. Mit jäher Bewegung richtete ich mich
auf und blickte ihm zu Tode erschrocken in die Augen, die mich ganz harmlos
und zuversichtlich anblickten, als ob er mir die natürlichsten Dinge der Welt
mitteilte. Und mit ebenso ruhiger und zufrieden klingender Stimme setzte
er mir auseinander, daß der Augenblick, in dem er der äußeren Freiheit
bedürfe, gekommen sei. So unverbrüchlich seine Freundschaft für mich sei,
so unschätzbar ich ihm als Beraterin, so wertvoll ihm als Mutter seiner
Kinder sei und stets sein werde, seine Liebe hätte, wie ich so richtig voraus-
geahnt Hütte, auf die Dauer nicht standgehalten, er müsse seine Freiheit
wiederhaben, und da ich in kluger Voraussicht diesen Fall im voraus be-
rücksichtigthätte, so würdeich sicher
mit einer Scheidung ganz einver-
standen sein. Er würde selbstver-
ständlich alle Schuld auf sich neh-
men und damit auch die Verpflich-
tung, meinen und der Kinder
Unterhalt zu übernehmen. Ich
war einer Ohnmacht nahe, nahm
aber alle Kraft und allen Stolz
zusammen, um ihn den Sturm,
der in meinem Innern tobte, nicht
merken zu lassen. Ich war nur
nicht einen Augenblick im un-
klaren über die Tragweite des
Schrittes, den er von mir ver-
langte, mit einer Selbstverständ-
lichkeit und Gelassenheitverlangte,
als handelte es sich um einen
Tanzschritt. Ich wußte jetzt, wie
sehr ich ihn liebte und was es für
mich bedeutete, ihn aufzugeben.
Ich zweifelte keinen Augenblick
daran, daß es nur eine Liebelei
war, die er für Liebe hielt, die
ihm die Rücknahme seiner Freiheit
wünschenswert erscheinen ließ.
Ich verwünschte die Scheidungs-
verpflichtung, die ich eingegangen
war. Ich wußte, daß sie nicht zu
Recht bestand und daß ich meine
Zustimmung einfach verweigern
konnte, aber ich fühlte mich mo-
ralisch und verstandesmäßig ge-
zwungen, sie zu geben.
Im Fluge jagten die Gedanken
durch meinen Kopf, der Zu zer-
springen drohte. Aber mit über-
menschlicher Kraft zwang ich mich
zu einem Lächeln, reichte ihm die
Hand und sagte leichthin: »Leite
alles so in die Wege, wie du es
für richtig hältst.' Und also geschah
es. Wir wurden geschieden, nach-
dem er die Schuld auf sich ge-
nommen, die Kinder verblieben
mir. Ich zog mit ihnen in eine
andere Stadt, wo man uns nicht
kannte. Trotzdem dauerte es nicht
lange, daß die allgemeine Neugier sich uns auch hier zuwandte, denn es er-
schien natürlich etwas merkwürdig, daß eine geschiedene Frau in so trautem
Verhältnis mit ihrem geschiedenen Mann lebte. Er sorgt für alles, er be-
stimmt alles trotz der räumlichen und tatsächlichen Trennung. Er kommt
mit allen seinen Nöten zu mir. Die erste Liebe, die tatsächlich nur eine
Liebelei geblieben war, ist längst von anderen abgelcst, und ich soll ihm
auch darin raten, welche er heiraten soll. Ich bin nicht verheiratet und habe
doch einen Mann; ich bin keine Ehefrau mehr und lebe doch in größerer
Abhängigkeit als eine solche; meine Kinder genießen nicht den Segen der
väterlichen Erziehung und Fürsorge und sind seinen Bestimmungen doch
unterworfen. So rollt sich mein Leben in einer Kette von Widersprüchen
ab, deren größter der äußere Glanz und die innere tieftraurige Leere sind."
Fröstelnd erhob sich Frau von Blümer und wickelte das seidene Tuch
enger um den Körper. Schweigend drückte ich ihr die Hand und schritt in
die Nacht hinaus.
Sonnentag im Schwarzwald / Nach einem Gemälde von Hans Thoma
Er fehlte mir natürlich sehr, ich fühlte mich geradezu verwaist, da ich keine
anderen Freunde besah. Trotzdem erweckte es kein Echo in mir, als nach
einiger Zeit sein erster Brief eintraf, mit einer glühenden Liebeserklärung
und der Werbung um meine Hand. Es sprach für seinen Charakter, daß
eine seiner ersten Handlungen als selbständiger reicher Mann die Werbung
um mich war, seine Liebe rührte mich, allein sie erweckte keine Gegenliebe
in mir. Ich hatte mich so ganz auf die ältere Freundin, Lehrmeisterin und
Beraterin eingestellt, dasz es mir ganz unsinnig vorkam, dieses nüchterne,
sachliche Verhältnis in ein Liebesverhältnis umzuwandeln.
In meiner Antwort legte ich ihm denn auch diese Gründe sehr ausführlich
auseinander und erklärte ihm, daß es für beide Teile das beste sei, bei dem
alten Freundschaftsverhältnis zu bleiben. Ich hoffte, daß er sich meinen
Argumenten nicht verschließen und daß sie in ihrer Sachlichkeit etwas ab-
kühlend auf seine Gefühle wirken
würden. Statt dessen übten sie
die entgegengesetzte Wirkung aus.
Mein Widerstand schien ihn umso
mehr aufzureizen, und es folgte
eine regelrechte schriftliche Belage-
rung seinerseits. Auf jedes Argu¬
ment, das ich einer Verehelichung
entgegensetzte, hatte er ein ganzes
Dutzend, die dafür sprachen, und
als ich zu guter Letzt immer wie¬
der den Altersunterschied hervor¬
hob, der sich besonders in späteren
Jahren unangenehm fühlbar ma¬
chen könnte, da schlug er schlie߬
lich als Vorsichtsmaßregel da¬
gegen die Scheidung vor, die
jederzeit auf Wunsch des einen
Teils, dem dann der andere seine
Zustimmung erteilen müßte, er¬
folgen könnte. Ich sträubte mich
mit Händen und Füßen, aber er
ließ nicht locker. Als seine Briefe
nichts nützten, reiste er mir in
meinen Ferienreisen nach, uni
mich persönlich zubekehren, schlie߬
lich gab ich, des langen Kampfes
müde, nach, die vorgeschlagene
Scheidungsverpflichtung schien
mir wirklich ein Ausweg aus die¬
sen Schwierigkeiten zu sein. So
gab ich denn schweren Herzens
meine ausgezeichnete Stellung
auf, und wir heirateten.
Rolf hatte ein reizendes Nest
für uns beide vorbereitet und um¬
gab mich mit soviel zarten Liebes¬
beweisen, daß nun auch mein
etwas sprödes Herz sich endlich
der Liebe öffnete. Ich gewann ihn
herzlich lieb, und als ich einem
süßen kleinen Wesen das Leben
schenkte, war unser Glück voll¬
kommen. Rolf wurde ein ebenso
zärtlicher Vater als Gatte und be¬
grüßte das zweite Baby mit eben¬
so stürmischer Freude wie das
erste. Dies gab mir eine große
Beruhigung, wenn mitunter ein leiser Schatten sich auf mein Glück zu
senken schien, beim Gedanken an die Scheidungsverpflichtung, die ich ein-
gegangen war. Ein Mann, dem seine Kinder über alles gingen, würde ihnen
doch nie die Mutter rauben wollen ...
Aus diesem Grunde freute ich mich, als das dritte Kind sich ankündigte,
trotzdem es für meine zarte Gesundheit und mein nicht ganz jugendliches
Alter von fünfunddreißig Jahren etwas anstrengend war, hintereinander
drei Kinder dem Gatten zu schenken. Ich war daher geradezu stolz auf meine
Leistung und noch nicht ganz wiederhergestellt, als Rolf sich eines Tages
an mein Bett setzte, einen Strauß herrlicher La-Fränce-Rosen darauflegte
und meine Hand in die seine nahm. Mit dankbarem Blick überließ ich sie
ihm und schloß die Augen, um das Glücksgefühl, das mich durchströmte, voll
und ganz auszukosten.
Wie im Traum hörte ich seine Worte, die von Liebe und Dankbarkeit
für alles Glück, das ich ihm geschenkt, überströmten; vor allem aber pries er
meine Klugheii, die alle Möglichkeiten vorausgesehen Hütte und die durch
die innere Freiheit, die sie uns gelassen, verhindert hätte, daß der eine sich
als Gefangener des anderen fühlte, sobald er auch äußerer Freiheit bedurfte.
Ich traute meinen Ohren nicht. Mit jäher Bewegung richtete ich mich
auf und blickte ihm zu Tode erschrocken in die Augen, die mich ganz harmlos
und zuversichtlich anblickten, als ob er mir die natürlichsten Dinge der Welt
mitteilte. Und mit ebenso ruhiger und zufrieden klingender Stimme setzte
er mir auseinander, daß der Augenblick, in dem er der äußeren Freiheit
bedürfe, gekommen sei. So unverbrüchlich seine Freundschaft für mich sei,
so unschätzbar ich ihm als Beraterin, so wertvoll ihm als Mutter seiner
Kinder sei und stets sein werde, seine Liebe hätte, wie ich so richtig voraus-
geahnt Hütte, auf die Dauer nicht standgehalten, er müsse seine Freiheit
wiederhaben, und da ich in kluger Voraussicht diesen Fall im voraus be-
rücksichtigthätte, so würdeich sicher
mit einer Scheidung ganz einver-
standen sein. Er würde selbstver-
ständlich alle Schuld auf sich neh-
men und damit auch die Verpflich-
tung, meinen und der Kinder
Unterhalt zu übernehmen. Ich
war einer Ohnmacht nahe, nahm
aber alle Kraft und allen Stolz
zusammen, um ihn den Sturm,
der in meinem Innern tobte, nicht
merken zu lassen. Ich war nur
nicht einen Augenblick im un-
klaren über die Tragweite des
Schrittes, den er von mir ver-
langte, mit einer Selbstverständ-
lichkeit und Gelassenheitverlangte,
als handelte es sich um einen
Tanzschritt. Ich wußte jetzt, wie
sehr ich ihn liebte und was es für
mich bedeutete, ihn aufzugeben.
Ich zweifelte keinen Augenblick
daran, daß es nur eine Liebelei
war, die er für Liebe hielt, die
ihm die Rücknahme seiner Freiheit
wünschenswert erscheinen ließ.
Ich verwünschte die Scheidungs-
verpflichtung, die ich eingegangen
war. Ich wußte, daß sie nicht zu
Recht bestand und daß ich meine
Zustimmung einfach verweigern
konnte, aber ich fühlte mich mo-
ralisch und verstandesmäßig ge-
zwungen, sie zu geben.
Im Fluge jagten die Gedanken
durch meinen Kopf, der Zu zer-
springen drohte. Aber mit über-
menschlicher Kraft zwang ich mich
zu einem Lächeln, reichte ihm die
Hand und sagte leichthin: »Leite
alles so in die Wege, wie du es
für richtig hältst.' Und also geschah
es. Wir wurden geschieden, nach-
dem er die Schuld auf sich ge-
nommen, die Kinder verblieben
mir. Ich zog mit ihnen in eine
andere Stadt, wo man uns nicht
kannte. Trotzdem dauerte es nicht
lange, daß die allgemeine Neugier sich uns auch hier zuwandte, denn es er-
schien natürlich etwas merkwürdig, daß eine geschiedene Frau in so trautem
Verhältnis mit ihrem geschiedenen Mann lebte. Er sorgt für alles, er be-
stimmt alles trotz der räumlichen und tatsächlichen Trennung. Er kommt
mit allen seinen Nöten zu mir. Die erste Liebe, die tatsächlich nur eine
Liebelei geblieben war, ist längst von anderen abgelcst, und ich soll ihm
auch darin raten, welche er heiraten soll. Ich bin nicht verheiratet und habe
doch einen Mann; ich bin keine Ehefrau mehr und lebe doch in größerer
Abhängigkeit als eine solche; meine Kinder genießen nicht den Segen der
väterlichen Erziehung und Fürsorge und sind seinen Bestimmungen doch
unterworfen. So rollt sich mein Leben in einer Kette von Widersprüchen
ab, deren größter der äußere Glanz und die innere tieftraurige Leere sind."
Fröstelnd erhob sich Frau von Blümer und wickelte das seidene Tuch
enger um den Körper. Schweigend drückte ich ihr die Hand und schritt in
die Nacht hinaus.
Sonnentag im Schwarzwald / Nach einem Gemälde von Hans Thoma