Das Buch für Ulle
ä4
Teppich, unter den Möbeln, sah verstört auf die Baronin — der
Ring war ein sehr wertvolles Stück.
„Last nur," sagte Elena, und ihr Gesicht sah plötzlich müde
und leidend aus. „Es ist schon gut. Du wirst ihn nicht finden. Ich
weist schon. Der Baron wollte ihn zum Juwelier bringen. Die
Fassung hatte sich gelockert."
Ja, sie wusste schon. Er hatte ihn in der Hand gehalten, vor
zehn Minuten, als er flüchtig hereingekommen war und gesagt
hatte: „Mach' dich sehr reizend heute abend, Carissima. Es werden
viele Gäste kommen." Und nach einer kleinen Pause: „Ich habe
fünfzig Flaschen Sekt kommen lassen. Es wird keine Sache ohne
Stimmung."
Den Ring hatte ihr die Kaiserin geschenkt. Die stille Frau mit
den müden Augen, die die herrlichsten Brillanten, die schönsten
Töchter, den ergebensten Gemahl, den elendesten Sohn und das
traurigste Herz hatte. Sie hatte den Ring durch viele Not bewahrt
und nur für Augenblicke vom Finger gelassen.
Nun ja, ein Augenblick genügt.
Dröhnend hallte der Klopfer durch das Haus. Kamen schon
Gäste? Die Lieferanten hatten doch den anderen Eingang, unten
in das Kellergewölbe. Elena lauschte, stand auf, ging in das
Nebenzimmer und horchte von der Loggia herab. Es war schon
den ganzen Tag eine Unruhe in ihr gewesen, als sei etwas auf
dem Wege zu ihr, etwas, das die Gedanken nicht in Ruhe kreisen
liest. Aber ob es ein Gutes war oder ein Schlimmes, das wußte
sie nicht.
Da unten eine Stimme —
Großer Gott, das konnte doch nicht —
Nur wenige Worte, sie konnte sie kaum verstehen, aber der
Klang! Das war doch Wahnsinn. Woher sollte das Kind kommen?
Säst sicher in Wien bei der strengen Tante, wurde gehütet und
bewacht, wußte nichts von der Schwester —
Torheit! Torheit! — Seit neun Jahren hatte sie die Stimme
nicht mehr gehört. — Und während sie das dachte, lauschte sie mit
allen Fibern hinein in das Haus, ob es da heraufkäme, hörte
Geräusch, rief nach Giulietta, sagte mit ganz trockenem Munde:
„Sieh, wer da kommt!" und stand hinter der Tür, als könnte es
doch nicht anders sein.
„Ist die Baronin zu sprechen? Sagen Sie ihr, ihre Schwester
wäre gekommen."
„Maria! Grundgütiger Heilmrd, Maria!"
„Elena! Elena!"
Der Jubel in der Stimme! Die weichen Arme, die um ihren
Hals lagen, die zärtlichen Lippen, die sich auf ihre Wange preßten
— und dabei dieser grauenvolle Schrecken im Herzen.
„Woher kommst du, Maria? Wie ist dies möglich —" Ganz
heiser war ihre Stimme.
„Von Wien, gradeswegs von Wien. Zu dir, du mein Einziges,
du mein Liebes. Endlich, endlich. Ach, Elena, du bist ja ganz blaß.
Komme ich dir denn ungelegen?"
„Nein, nein, o nein." Was sollte sie nur anfangen? Das Kind
hier — Sie schob die Schwester ein wenig von sich und sah sie an.
Ein Kind hatte sie verlassen vor neun Jahren, ein junges Weib
stand vor ihr, trotz seiner blassen Haut blühend und gesund. Und
die Augen waren noch die gleichen mit dem warmen Leuchten,
mit der geraden Ehrlichkeit und Reinheit in ihrem Grunde.
Sie spürte den Schlamm unter den Füßen und schauerte zu-
sammen.
„Ich hab' dich zu sehr überrascht. Aber ich konnte ja nicht tele-
graphieren, ich wußte ja gar nicht deine Adresse. Erst hier habe ich
sie erfragen müssen. Von der
Polizei."
„Von der —"
„Darum brauchst du nicht zu
erschrecken. Stephan, der ist
uns treu gebliebenbis zuletzt -
ja, der riet es mir. Verbrachte
mich an die Bahn, der wußte
drum, daß ich zu dir wollte."
Sie waren eingetreten in das Schlafzimmer der Baronin.
Maria löste den Trauerhut und atmete tief auf. „Ach, das erzähl'
ich dir alles. So nach und nach. Ja, du siehst mich so an, die Trauer,
das ist wegen Tante Jnnozentia. Sie ist vor fünf Tagen einge-
schlafen. Es war ihr zu gönnen. Und mich wollten sie zu den
Ursulinerinnen tun, mich, wo ich doch im Glauben meiner Mutter
getauft bin. — Da ging ich gestern heimlich auf und davon, heute
hätte ich es nicht mehr können."
„Vielleicht wäre es besser gewesen bei den Ursulinerinnen."
„Oh!" Erschrocken sah sie die Schwester an. „Ich kam doch
falsch. Sage es nur. Und ich hatte mich so gefreut. Immer dachte
ich, wenn es so schlimm war unterwegs: Elena, Elena. Bald bin
ich bei dir."
Leidenschaftlich schlang die Schwester die Arme um sie. „Du
kamst nicht falsch. Du bist wie ein heiliger Gruß aus jener Zeit,
wo noch alles klar war und gut und rein. O wenn du wüßtest,
was du bist, Maria!"
„Ein langes Mädchen, arm wie eine Kirchenmaus. Nicht ein
bißchen so schön wie die süße Schwester. Aber" — wie ein Be-
kenntnis kam es leise von den Lippen — „so viel Liebe bringe
ich dir mit, Elena. Ach, so unendlich viel Liebe."
Da brach die schöne blonde Frau in Weinen aus. In ein Wei-
nen, das sie rüttelte und schüttelte, preßte den Kopf an die Schul-
ter der schlanken größeren Schwester und konnte kein Wort über
die Lippen bringen. Und die Jüngere, die gekommen war, hier
eine Zuflucht zu suchen nach schweren Jahren der Not und Ein-
samkeit, strich ihr fast mütterlich über das seidenweiche Goldhaar
und redete gute weiche Worte. „Was haben sie mit dir gemacht,
Elen? Sind sie so schlecht mit dir gewesen? Du bist ja ganz zer-
brochen. Du bist ja ganz aus den Fugen gerissen. War Sergei
nicht lieb mit dir? — Ach, ich Hütte dir so gerne geschrieben, schon
lange. Im vergangenen Jahr sagte die alte Exzellenz Mierendorf,
weißt du nicht, wir sagten früher immer: Tante Jnnozentias
letzter Kavalier, — der sagte, und sie dachten, ich hörte es nicht:
Elena lebt mit ihrem Manne als Baron und Baronin Biron in
Venedig. Aber wie ich die Tante fragte nach deiner Adresse,
wollte sie sie nicht wissen. Nur gut gehen sollt' es dir. Elen, wenn
es dir so schlimm ging, was schriebst du nicht einmal?"
„Ich habe geschrieben. Zweimal habe ich geschrieben. Dann
kam ein Brief von der Tante —" Wieder das Aufweinen. „Ihr
wolltet nichts mehr wissen von mir, hat drin gestanden."
Maria zog sie mit sich zu einer Chaiselongue, hockte sich vor sie
auf die Erde, so hatte sie es gemacht, als sie noch ein Kind gewesen,
legte die verschlungenen Hände in den Schoß der Schwester und
sah zärtlich zu ihr auf.
„Nichts von dir wissen! — Ah, sie hat sich's leicht gemacht.
Weißt, sie war nie Sergeis Freundin. Er lag ihr nicht. Und sie
wußte schon nicht, womit sie unser bißchen Leben bestreiten sollte.
Wir haben nicht viel zu lachen gehabt, die Jahre her, Elen."
„Ach, Schäfchen, meinst du, ich?"
„Die dicke Florentine und der Stephan, das war unser ganzer
Hofstaat. Ich mußt' die Tant' frisieren, wenn sie ein bißchen adrett
aussehen sollte, und die Knöpfe mußt' ich mir selber annühen, und
wie einmal die Florentine krank lag, mußt' ich sogar am Herd
stehen. Es ist auch danach geworden. A Saufraß, sagte die Tante
Jnnozentia."
„Wir wären manchmal für einen Saufraß dankbar gewesen,"
murmelte Elena.
„Und wie ich hergefahren bin — dir will ich es sagen, wirst
nicht drüber reden — dritter Klasse bin ich gereist."
Ein hartes Auflachen. „Im
Viehwagen sind wir über die
russische Grenze gekommen
nach Rumänien. Es hat uns
mancher darum beneidet,
daß wir überhaupt heraus-
kamen."
„Du Armes, du Liebes."
(Fortsetzung solgt)
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Teppich, unter den Möbeln, sah verstört auf die Baronin — der
Ring war ein sehr wertvolles Stück.
„Last nur," sagte Elena, und ihr Gesicht sah plötzlich müde
und leidend aus. „Es ist schon gut. Du wirst ihn nicht finden. Ich
weist schon. Der Baron wollte ihn zum Juwelier bringen. Die
Fassung hatte sich gelockert."
Ja, sie wusste schon. Er hatte ihn in der Hand gehalten, vor
zehn Minuten, als er flüchtig hereingekommen war und gesagt
hatte: „Mach' dich sehr reizend heute abend, Carissima. Es werden
viele Gäste kommen." Und nach einer kleinen Pause: „Ich habe
fünfzig Flaschen Sekt kommen lassen. Es wird keine Sache ohne
Stimmung."
Den Ring hatte ihr die Kaiserin geschenkt. Die stille Frau mit
den müden Augen, die die herrlichsten Brillanten, die schönsten
Töchter, den ergebensten Gemahl, den elendesten Sohn und das
traurigste Herz hatte. Sie hatte den Ring durch viele Not bewahrt
und nur für Augenblicke vom Finger gelassen.
Nun ja, ein Augenblick genügt.
Dröhnend hallte der Klopfer durch das Haus. Kamen schon
Gäste? Die Lieferanten hatten doch den anderen Eingang, unten
in das Kellergewölbe. Elena lauschte, stand auf, ging in das
Nebenzimmer und horchte von der Loggia herab. Es war schon
den ganzen Tag eine Unruhe in ihr gewesen, als sei etwas auf
dem Wege zu ihr, etwas, das die Gedanken nicht in Ruhe kreisen
liest. Aber ob es ein Gutes war oder ein Schlimmes, das wußte
sie nicht.
Da unten eine Stimme —
Großer Gott, das konnte doch nicht —
Nur wenige Worte, sie konnte sie kaum verstehen, aber der
Klang! Das war doch Wahnsinn. Woher sollte das Kind kommen?
Säst sicher in Wien bei der strengen Tante, wurde gehütet und
bewacht, wußte nichts von der Schwester —
Torheit! Torheit! — Seit neun Jahren hatte sie die Stimme
nicht mehr gehört. — Und während sie das dachte, lauschte sie mit
allen Fibern hinein in das Haus, ob es da heraufkäme, hörte
Geräusch, rief nach Giulietta, sagte mit ganz trockenem Munde:
„Sieh, wer da kommt!" und stand hinter der Tür, als könnte es
doch nicht anders sein.
„Ist die Baronin zu sprechen? Sagen Sie ihr, ihre Schwester
wäre gekommen."
„Maria! Grundgütiger Heilmrd, Maria!"
„Elena! Elena!"
Der Jubel in der Stimme! Die weichen Arme, die um ihren
Hals lagen, die zärtlichen Lippen, die sich auf ihre Wange preßten
— und dabei dieser grauenvolle Schrecken im Herzen.
„Woher kommst du, Maria? Wie ist dies möglich —" Ganz
heiser war ihre Stimme.
„Von Wien, gradeswegs von Wien. Zu dir, du mein Einziges,
du mein Liebes. Endlich, endlich. Ach, Elena, du bist ja ganz blaß.
Komme ich dir denn ungelegen?"
„Nein, nein, o nein." Was sollte sie nur anfangen? Das Kind
hier — Sie schob die Schwester ein wenig von sich und sah sie an.
Ein Kind hatte sie verlassen vor neun Jahren, ein junges Weib
stand vor ihr, trotz seiner blassen Haut blühend und gesund. Und
die Augen waren noch die gleichen mit dem warmen Leuchten,
mit der geraden Ehrlichkeit und Reinheit in ihrem Grunde.
Sie spürte den Schlamm unter den Füßen und schauerte zu-
sammen.
„Ich hab' dich zu sehr überrascht. Aber ich konnte ja nicht tele-
graphieren, ich wußte ja gar nicht deine Adresse. Erst hier habe ich
sie erfragen müssen. Von der
Polizei."
„Von der —"
„Darum brauchst du nicht zu
erschrecken. Stephan, der ist
uns treu gebliebenbis zuletzt -
ja, der riet es mir. Verbrachte
mich an die Bahn, der wußte
drum, daß ich zu dir wollte."
Sie waren eingetreten in das Schlafzimmer der Baronin.
Maria löste den Trauerhut und atmete tief auf. „Ach, das erzähl'
ich dir alles. So nach und nach. Ja, du siehst mich so an, die Trauer,
das ist wegen Tante Jnnozentia. Sie ist vor fünf Tagen einge-
schlafen. Es war ihr zu gönnen. Und mich wollten sie zu den
Ursulinerinnen tun, mich, wo ich doch im Glauben meiner Mutter
getauft bin. — Da ging ich gestern heimlich auf und davon, heute
hätte ich es nicht mehr können."
„Vielleicht wäre es besser gewesen bei den Ursulinerinnen."
„Oh!" Erschrocken sah sie die Schwester an. „Ich kam doch
falsch. Sage es nur. Und ich hatte mich so gefreut. Immer dachte
ich, wenn es so schlimm war unterwegs: Elena, Elena. Bald bin
ich bei dir."
Leidenschaftlich schlang die Schwester die Arme um sie. „Du
kamst nicht falsch. Du bist wie ein heiliger Gruß aus jener Zeit,
wo noch alles klar war und gut und rein. O wenn du wüßtest,
was du bist, Maria!"
„Ein langes Mädchen, arm wie eine Kirchenmaus. Nicht ein
bißchen so schön wie die süße Schwester. Aber" — wie ein Be-
kenntnis kam es leise von den Lippen — „so viel Liebe bringe
ich dir mit, Elena. Ach, so unendlich viel Liebe."
Da brach die schöne blonde Frau in Weinen aus. In ein Wei-
nen, das sie rüttelte und schüttelte, preßte den Kopf an die Schul-
ter der schlanken größeren Schwester und konnte kein Wort über
die Lippen bringen. Und die Jüngere, die gekommen war, hier
eine Zuflucht zu suchen nach schweren Jahren der Not und Ein-
samkeit, strich ihr fast mütterlich über das seidenweiche Goldhaar
und redete gute weiche Worte. „Was haben sie mit dir gemacht,
Elen? Sind sie so schlecht mit dir gewesen? Du bist ja ganz zer-
brochen. Du bist ja ganz aus den Fugen gerissen. War Sergei
nicht lieb mit dir? — Ach, ich Hütte dir so gerne geschrieben, schon
lange. Im vergangenen Jahr sagte die alte Exzellenz Mierendorf,
weißt du nicht, wir sagten früher immer: Tante Jnnozentias
letzter Kavalier, — der sagte, und sie dachten, ich hörte es nicht:
Elena lebt mit ihrem Manne als Baron und Baronin Biron in
Venedig. Aber wie ich die Tante fragte nach deiner Adresse,
wollte sie sie nicht wissen. Nur gut gehen sollt' es dir. Elen, wenn
es dir so schlimm ging, was schriebst du nicht einmal?"
„Ich habe geschrieben. Zweimal habe ich geschrieben. Dann
kam ein Brief von der Tante —" Wieder das Aufweinen. „Ihr
wolltet nichts mehr wissen von mir, hat drin gestanden."
Maria zog sie mit sich zu einer Chaiselongue, hockte sich vor sie
auf die Erde, so hatte sie es gemacht, als sie noch ein Kind gewesen,
legte die verschlungenen Hände in den Schoß der Schwester und
sah zärtlich zu ihr auf.
„Nichts von dir wissen! — Ah, sie hat sich's leicht gemacht.
Weißt, sie war nie Sergeis Freundin. Er lag ihr nicht. Und sie
wußte schon nicht, womit sie unser bißchen Leben bestreiten sollte.
Wir haben nicht viel zu lachen gehabt, die Jahre her, Elen."
„Ach, Schäfchen, meinst du, ich?"
„Die dicke Florentine und der Stephan, das war unser ganzer
Hofstaat. Ich mußt' die Tant' frisieren, wenn sie ein bißchen adrett
aussehen sollte, und die Knöpfe mußt' ich mir selber annühen, und
wie einmal die Florentine krank lag, mußt' ich sogar am Herd
stehen. Es ist auch danach geworden. A Saufraß, sagte die Tante
Jnnozentia."
„Wir wären manchmal für einen Saufraß dankbar gewesen,"
murmelte Elena.
„Und wie ich hergefahren bin — dir will ich es sagen, wirst
nicht drüber reden — dritter Klasse bin ich gereist."
Ein hartes Auflachen. „Im
Viehwagen sind wir über die
russische Grenze gekommen
nach Rumänien. Es hat uns
mancher darum beneidet,
daß wir überhaupt heraus-
kamen."
„Du Armes, du Liebes."
(Fortsetzung solgt)