Heft 2
Das Buch für Alle
Die Schönheit des Hochgebirgs: Abziehendes Wolkenmeer nach einein Gewitter
Nach einer künstlerischen Aufnahme von E. Meerkämper
Der Wendelsbauer ist sonst kein arger Trinker mehr. Aber wenn einmal
die Gelegenheii zu einem kostenlosen Rausch sich bietet, müßt' er kein rechter
Tiroler Kuhbauer sein, wenn er nicht geschwind zupackte.
Da ist der Wendels um Lichtmeß von einer Kindstauf aus dem Tale
aufwärts zu seiner Alm geschoben, 's ist schon an Mitternacht gewesen und
eine mondlose zuwidere Nacht. Auch der Föhn hat ein wenig geschnauft,
wie halt eben um die Jahreszeit, ehe er die große Frühlingsraserei anhebt.
Dem Wendels, der, vor sich hinbrummelnd, mit schweren Füßen langsam
vorangeschloffen ist, hat der halbe Wind aber schon genügt, zu schelten. Er
kann den verteufelten Föhn nun einmal nicht leiden. An das verblasene
Bergheu und den üblen Herbstschabernack denkt er aber nit mehr. Der Fall
ist erledigt. Nein, wenn er setzt auf den Föhn schilt, dann eben nur so, damit
er was hat, drauf zu schimpfen. Es läuft sich besser dabei in der Nacht.
Dann ist's ihm plötzlich eingefallen, den Weg abzukürzen. Der schlängelt
sich in vielen Windungen umständlich hinauf zur Alm und dem Wendelshof.
Es führt aber von der Talstraße vor dem abzweigenden Bergpfad noch ein
anderer Zugang zur Alm: die Lange Kehle, eine steile Schlucht, durch die
ein Wässerlein geht und eine alte Steinmur. Die Almbauern springen dort
herunter, wenn's einmal besonders schnell wegen eines Kranken oder einer
kreißenden Frau zu Arzt und Wehmutter gehen muß. Hinauf kommt man
auch schon durch die Schlucht; zur Sommerzeit einmal gewiß, wenn's
auch eines guten und schwindelfreien Kletterers bedarf.
Der Wendels ist die Lange Kehl unzählig oft abig'schloffen und aufi-
g'krarelt. Hä, denkt er, und der viele Schnaps gibt ihm Mut, tun mir glei
die Kehl aufigehn.
Zuerst tuet sich's Halbwegs. Ein bisserl Hal (gefroren) ist's freilich. Das
kommt vom Bachele und weil die Sonn' in die Schlucht nimmer eini kann.
Macht nir. Nachher fangt der Wendels auf allen vieren zu krauchen an.
Es wird steiler und glätter. Macht au' nir. Zeit hat man ja. Schließlich
kommt aber, nit gar weit mehr von der oberen Felsplatten noch ein ganz
steiles Stück, das der Wendels wohl kennt, auf das er aber in seinem Rausch
nit denkt hat. Hier ist alles gar vereist und will sich nirgends fassen lassen.
Den Wendels packt wieder der Zorn. „Jetzt amal!" schilt er. „Teifel, ver-
maledeiter, tust mi nimmer heben (halten)?" und fangt wütend und
immerfort schimpfend zu kraxeln an.
Auf einmal gibt's keinen Halt mehr. Schon fährt der alte trunkene Bauer
in einem Hui abwärts. Oder träumt er nur? Er kann das nit so genau sagen.
Er fühlt nur plötzlich, daß er in etwas hineinfährt, zufaßt und weich fällt,
daß er sich halten kann. Da bleibt er liegen, 's ist fast warm und lind drin.
Der Bauer macht sich keine großen Gedanken drüber und fangt geschwind
an zu schlafen. Auch guet.
Am anderen Tag fanden sie den Wendels in der Langen Kehl auf
halber Höh' in einem Haufen verwehten Heus. Das hatte sich an einem
Schlehenbusch im Winkel der Wand verfangen. Daneben ging es stracks
in die Tiefe ohne Rettung. Wehe dem, der hier von heroben gefahren kam
— etwan mit einem Rausch — und gar in einer frostigen Winternacht!
Aber der Wendels hatte mal nichts von alledem g'spürt. Er schlief noch,
als das Suchaufgebot der Bauern ihn fand. Es war sein Heu, im Herbst
vom Föhn verweht — von ihm selber mitsamt der Kraxe über die Platte
geschleudert. Die Kraxe gab ihm den ersten Halt. Das Heu bettete ihn warm,
daß er nicht Frostes starb. Und darob hat er Gott so hart im Herbst geflucht,
der Narr. Er kratzt sich Hinterm Grind, der alte verschlafene Sünder, und
grient: „Jetzt amal! A kuriose Geschichten das!" Aber die Bäuerin liegt
ihm an, Gott Abbitte zu tun und im Lenz eine Buß- und Bittfahrt nach
Gries zu tun, bis er ja und amen sagt.
Bis zum Frühjahr ist's noch lang hin. Bis dahin vergißt sich manches.
Das Buch für Alle
Die Schönheit des Hochgebirgs: Abziehendes Wolkenmeer nach einein Gewitter
Nach einer künstlerischen Aufnahme von E. Meerkämper
Der Wendelsbauer ist sonst kein arger Trinker mehr. Aber wenn einmal
die Gelegenheii zu einem kostenlosen Rausch sich bietet, müßt' er kein rechter
Tiroler Kuhbauer sein, wenn er nicht geschwind zupackte.
Da ist der Wendels um Lichtmeß von einer Kindstauf aus dem Tale
aufwärts zu seiner Alm geschoben, 's ist schon an Mitternacht gewesen und
eine mondlose zuwidere Nacht. Auch der Föhn hat ein wenig geschnauft,
wie halt eben um die Jahreszeit, ehe er die große Frühlingsraserei anhebt.
Dem Wendels, der, vor sich hinbrummelnd, mit schweren Füßen langsam
vorangeschloffen ist, hat der halbe Wind aber schon genügt, zu schelten. Er
kann den verteufelten Föhn nun einmal nicht leiden. An das verblasene
Bergheu und den üblen Herbstschabernack denkt er aber nit mehr. Der Fall
ist erledigt. Nein, wenn er setzt auf den Föhn schilt, dann eben nur so, damit
er was hat, drauf zu schimpfen. Es läuft sich besser dabei in der Nacht.
Dann ist's ihm plötzlich eingefallen, den Weg abzukürzen. Der schlängelt
sich in vielen Windungen umständlich hinauf zur Alm und dem Wendelshof.
Es führt aber von der Talstraße vor dem abzweigenden Bergpfad noch ein
anderer Zugang zur Alm: die Lange Kehle, eine steile Schlucht, durch die
ein Wässerlein geht und eine alte Steinmur. Die Almbauern springen dort
herunter, wenn's einmal besonders schnell wegen eines Kranken oder einer
kreißenden Frau zu Arzt und Wehmutter gehen muß. Hinauf kommt man
auch schon durch die Schlucht; zur Sommerzeit einmal gewiß, wenn's
auch eines guten und schwindelfreien Kletterers bedarf.
Der Wendels ist die Lange Kehl unzählig oft abig'schloffen und aufi-
g'krarelt. Hä, denkt er, und der viele Schnaps gibt ihm Mut, tun mir glei
die Kehl aufigehn.
Zuerst tuet sich's Halbwegs. Ein bisserl Hal (gefroren) ist's freilich. Das
kommt vom Bachele und weil die Sonn' in die Schlucht nimmer eini kann.
Macht nir. Nachher fangt der Wendels auf allen vieren zu krauchen an.
Es wird steiler und glätter. Macht au' nir. Zeit hat man ja. Schließlich
kommt aber, nit gar weit mehr von der oberen Felsplatten noch ein ganz
steiles Stück, das der Wendels wohl kennt, auf das er aber in seinem Rausch
nit denkt hat. Hier ist alles gar vereist und will sich nirgends fassen lassen.
Den Wendels packt wieder der Zorn. „Jetzt amal!" schilt er. „Teifel, ver-
maledeiter, tust mi nimmer heben (halten)?" und fangt wütend und
immerfort schimpfend zu kraxeln an.
Auf einmal gibt's keinen Halt mehr. Schon fährt der alte trunkene Bauer
in einem Hui abwärts. Oder träumt er nur? Er kann das nit so genau sagen.
Er fühlt nur plötzlich, daß er in etwas hineinfährt, zufaßt und weich fällt,
daß er sich halten kann. Da bleibt er liegen, 's ist fast warm und lind drin.
Der Bauer macht sich keine großen Gedanken drüber und fangt geschwind
an zu schlafen. Auch guet.
Am anderen Tag fanden sie den Wendels in der Langen Kehl auf
halber Höh' in einem Haufen verwehten Heus. Das hatte sich an einem
Schlehenbusch im Winkel der Wand verfangen. Daneben ging es stracks
in die Tiefe ohne Rettung. Wehe dem, der hier von heroben gefahren kam
— etwan mit einem Rausch — und gar in einer frostigen Winternacht!
Aber der Wendels hatte mal nichts von alledem g'spürt. Er schlief noch,
als das Suchaufgebot der Bauern ihn fand. Es war sein Heu, im Herbst
vom Föhn verweht — von ihm selber mitsamt der Kraxe über die Platte
geschleudert. Die Kraxe gab ihm den ersten Halt. Das Heu bettete ihn warm,
daß er nicht Frostes starb. Und darob hat er Gott so hart im Herbst geflucht,
der Narr. Er kratzt sich Hinterm Grind, der alte verschlafene Sünder, und
grient: „Jetzt amal! A kuriose Geschichten das!" Aber die Bäuerin liegt
ihm an, Gott Abbitte zu tun und im Lenz eine Buß- und Bittfahrt nach
Gries zu tun, bis er ja und amen sagt.
Bis zum Frühjahr ist's noch lang hin. Bis dahin vergißt sich manches.