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Heft Z

Das Buch für Alle

59



er

K

Eine Humoreske / Ä





orbinian Heuberger war ein Mann, der mit seinem beschränkten See-
lenleben in den Ereignissen des vorigen Jahrhunderts, wie ein alter
Karren im Lehm, stecken blieb...
Jetzt noch beschäftigte er sich in seinen Vorstellungen mit dem siebziger
Kriege, und das Fahrrad hielt er für eine neuzeitliche Errungenschaft — so
morgenjung, als hätte er sie erst gestern zum erstenmal erschaut. Alles Neue,
das nach der Einführung der Gasbeleuchtung in sein verkalktes Blickfeld
trat, sah er mißtrauisch und mit schiefgestellten Augäpfeln an. Das Auto-
mobil war ihm immer noch eine
Erfindung des Teufels, die für
ihn nichts hatte als Gestank und
Staub und der er in heili¬
gem Zorn die Bezeichnung
„Bluatsbenzinkistel" nachschrie.
In der elektrischen Straßenbahn
fuhr er nur, wenn ihn selbst¬
mörderische Gedanken beweg¬
ten, und noch nie hatte er sich
dem Lift imWarenhaus anver¬
traut, in den heute sogar die
besorgtesten Mütter ihre Kinder
einen Nachmittag lang zum
Auf- und Abfahren stecken, da¬
mit sie sich im Damencafs un¬
gestörter über ihr mißverstan¬
denes Frauenschicksal ausschür¬
fen können.
Dieser Korbinian Heuberger
nun, der nebenbei Besitzer eines
dreistöckigen Hauses war, hätte
bis zu seinem seligen Ende im
wellenlosesten Seelenfrieden
dahinleben können, wenn nicht
die Allerweltserfindung des
Rundfunks seine bayrische Ruhe
so jäh gestört hätte...
Überall, allüberall sprach und
stritt man über diese neue Er¬
rungenschaft — und auch an
Korbinians Stammtisch wurde
darüber eingehend debattiert.
Herr Heuberger leugnete die
Möglichkeit einer solchen Ver¬
wirklichung glatt ab: „Ohne
Draht, hab'n Sie gesagt, könnt'
man da aus der Ferne a Musi
hören wiederholte er
immer wieder und schüttelte
sein bemoostes Haupt.
„Schaug'n S', Herr Heu-
berger, da fliegen halt Funken durch die Luft, die wo dann bei ..."
„So, Funken fliegen da umananda, Funken derfa da grad so mir nir
dir nir durch die Luft fliag'n...? Dös gibt nacha a saubere G'schicht', wenn
die über meine drei Häuserstöck' herfliag'n und wenn die Feuer fanga...!
Und i wär' net versichert!... Dös fehlt mir grad noch — und a Zwoa-
pfenning im Magen...!"
„No — Funken san's grad a net. Es sind sogenannte Wellen, die da bei..."
„Aha...! No besser...! Daß ma nachher a Überschwemmung kriegen,
daß in mei'm Krautkeller 's Wasser mit dem Sacktüachel 'rausg'schöpft
werden müasset...!"
„Na, na... Passen S' auf!... Die ganze Sache is so ungefährlich —
als ob SieEahna anHals waschen täten, harmlos, fein und prima effeff...!
Horchen S' halt amal selber, nacha werden Sie's schon sehg'n...!"
„So — und da hört man also, wia im Amerika drinnen die Affen auf
die Bäum' herumhupfen und Kokosnuß aufbeißen...?"
„Natürli hörn Sie dös!"
„Und wia die Indianer singen, wenn s' vom Feuerwasser stocknarrisch
b'suffa sand...?"

„Freili, alles dös hörn S'!"
„Und wia die Papageivögel dischkrieren, wenn sie sich untereinander
feine und saftige Witz erzähl'n...?"
„Alles dös hörn S' und noch viel mehr! Zum Beispiel eine Musi — viel
schöner noch als wie auf einer Veteranenbeerdigung oder wie aus einem
Grammophon oder wie im Hoftheater, weil ma' nämlich dabei sei Bier
trinken kann, dös dann nochmal so guat schmeckt..."
„So?..." Herr Korbinian Heuberger wachte jetzt auf. „So — ja, dös
wär' schon ein gewisser Vorzug,
denn auf Kunst krieg' i regel-
mäßig an Saudurscht...!"
„Beim Rundfunk, da hast
alles beieinander: schöne Musi,
an Durscht und das Bier! Zum
Horchen kannst gleichzeitig sau-
fen— und wenn's aus is, dann
hast du alleweil noch an schöna
Rausch, der anochwaswertis!"
Und so lange sprach der ganze
Stammtisch auf den Korbinian
Heuberger ein, so lange trom-
melten sie ihm alle Vorzüge des
Rundfunks in die Ohren, bis er
sich, überwältigt, entschloß, sich
auch einen solchen Apparat ein-
richten zu lassen: mit einer An-
tenne am Hausdach und einem
Lautsprechtrichter.
So saß er nun eines Abends
zum erstenmal vor dem neu-
modischen Wunder, um die
ersten Rundfunktöne in sein
Ohrhineinspielen zu lassen. Vor-
sichtigerweise setzte er erst bei
der vierten Maß den Apparat
in Tätigkeit, um die ersten
Wellen in der nötigen Stim-
mung empfangen zu können.
Da-! Jetzt hörte er
auch schon den Rundfunk Ge-
räusche machen! Aber die ersten
Wellen hörten sich an, als ob sie
aus einem Hasenstall oder von
einer Zigarrenkiste herkämen,
die soeben mit der Beißzange
aufgezwickt wird. Aber jetzt...!
Menschliche Worte...!
„Krrrr... rrrr... kr ... rrrr
... Herr Geheim er Medizinalrat
Professor Doktor Katzelhofer
spricht über den-Alkoholismus ...!"
Korbinian Heuberger sah etwas enttäuscht und um sich von dieser Ent-
täuschung zu erholen, in seinen Maßkrug. Er hatte Musik erwartet.
Aus dem Rundfunktrichter begann es nun: „Viele Menschen sterben mei-
stens an Wirkungen, deren Ursachen oft harmlos erscheinen und noch viel
zuwenig in ihrer Gefahr bekannt sind ..."
„Net schlecht," nickte Korbinian dem Trichter zu, „red' nur weiter..."
„Heimtückische Gifte werden täglich in großen Mengen..."
„Freili — wenn oaner an Bratharing frißt, auf dem scho die Schwam-
merl wachsen — oder mit oaner Kreuzotter z'sammen a Schlafstell'n
hat...!" bemerkte Korbinian wieder.
Aus dem Trichter sprach es weiter: „... das schlimmste und heimtückischste
aller Gifte aber ist der Alkohol, der Schnaps, der Wein — und das Bier..."
„Hoppla! Was hab'n Sie g'sagt?" schrie jetzt Korbinian in den Trichter
hinein. „Sagen S' dös noch amal," wobei er allen Ernstes glaubte, daß
sich der Herr Medizinalrat auf seine Aufforderung hin wiederholen würde.
Er hatte in ihm einen höchst persönlichen und heiligen Punkt wund gemacht,
und deshalb wäre es nur recht und billig gewesen, wenn der Vortragende



„Himmisakra...! Leisi...! Leisi... umananda..." fluchte jetzt der Korbinian und
schüttete die frisch gefüllte achte Maß in wildem Schwung in den Rundfunktrichter...
 
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