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Die Ernährung hilfsbedürftiger Tiere
Naturwissenschaftliche Plauderei von Dr. Johannes Bergner

egegnet schon die Ernährung unsererKranken oftmals Schwierigkeiten,
so ist dies noch ungleich mehr der Fall bei den Tieren, die vielfach jeder
Hilfeleistung Widerstand entgegensetzen. Auch die Aufzucht von Neugebore-
nen, deren Mutter zu früh für die hilflosen Jungen starb, erfordert viel
Geduld und Pflege. Mitunter glückt es zwar, eine Dogge als Amme den
jungen Löwen, Panthern oder Tigern Zuzuführen, sonst mutz man diese
mit der Milchflasche grotzziehen. In anderen Fällen wieder, wenn aus-
ländische Gäste des Tierreiches infolge unbefriedigender Lebensverhält-
nisse in einen Hungerstreik eintreten, hilft sanfte Gewalt. Die beliebten
Riesenreptile unserer Tiergärten, die fast neun Meter messende Python-
schlange oder die etwas kleinere Anakonda können freilich monatelang
fasten, besonders wenn sie einen guten Happen, wie eine ganze Ziege,
der man vorsichtshalber die Hörner absägt, sich einverleibte. Selbst solche
Beute ist aber bald verdaut, und bei hartnäckiger Nahrungsverweigerung
müßte auch diese Hungerkünstlerin zugrunde gehen. Deshalb rückt eines
Tages ein Aufgebot von sechs bis acht Mann an, die sie ohne weiteres er-
greifen und das muskelstarke Tier mit Aufbietung aller Kräfte möglichst
gestreckt halten. Geschäftige andere Wärter sperren der Schlange dann den
Rachen auf und schieben, just wie man eine Gans stopft, tote Kaninchen,
Hühner oder Tauben hinein, die sie wohl oder übel herabwürgt. Kurzum,
es wird nichts unversucht gelassen, die Tiere lebensfähig zu erhalten. Und
wie im Großen ist es auch im Kleinen. Wie freut sich der Naturfreund, wenn
es ihm glückt, ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen durch Brotkrumen,

die er mit Milch befeuchtet, und gekochtem Eigelb, oder auch, je nach der
Art des Pfleglings, mit feingehacktem Fleisch, das er mit einem Federkiel
in das geöffnete Schnäbelchen streicht, soweit heranzuziehen, daß er dem
kleinen Gast bald seine Freiheit wiedergeben kann. Auch der Terrarienlieb-
haber in der Stadt hat manchmal seine liebe Not, die Frösche, Salamander
und Eidechsen, die nur lebende Beute annehmen, in Zeiten zu ernähren,
in denen es an Fliegen und Gewürm mangelt. Deshalb versucht er es mit
List, indem er einen kleinen Streifen weich geklopften Fleisches an ein
Zwirnfädchen drückt, so daß es daran kleben bleibt, und den so bereiteten
„Wurm" vor den hungrigen Terrarieninsassen hin und her bewegt. Durch
den zappelnden Bissen gereizt, schnappen sie bald danach und gewöhnen
sich so an die Zwischenkost, bis wieder bessere Zeiten kommen. Ja, es ge-
lingt sogar, den Schmetterling, der vorzeitig im warmen Zimmer seiner
Puppe entschlüpfte, am Leben zu erhalten, indem man ein Tröpfchen Honig
oder etwas Zucker in der hohlen Hand mit Wasser auflöst, dann den mit auf-
geklappten Flügeln rastenden Falter sanft ergreift und mittels einer feinen
Nadel seinen spiralig gewundenen Rüssel aufrollt, um dessen Ende in den
Zucker einzutauchen. Hat er einmal davon geleckt, so streckt er bald von selbst
sein Saugorgan heraus, wenn er die Nahrung wittert, sind doch die Fühler
gleichzeitig das feinste Riechorgan, das wir aus der gesamten Tierwelt
kennen. Wie eigene Erfahrung mit einem Weißling lehrte, läßt sich auf diese
Weise der anmutige Frühlingsbote wochenlang am Leben erhalten und
gewissermaßen zähmen. Im allgemeinen wächst die Schwierigkeit der
 
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