Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Das Buch für Alle

63


Der HoteldLrektor erzählt...

von Liebermann, Berlin

Bon Kriminalkommissar
a, aber was mir einmal vorgekommen ist!" setzte der liebenswürdige
Direktor des „Schweizer Hofs" die Unterhaltung mit Hotelgästen, dem
Rechtsanwalt Vaermann und dessen junger Frau, fort. „Ich war Sekretär
an einem großen deutschen Hotel. Nachmittags steigt bei uns die Prin-
zessin F. ab, und die Kammerfrau bringt mir einen Lederkasten mit den
Perlen ihrer Herrin. Ich schließe ihn in den Geldschrank, und kurz darauf
werde ich abgelöst.
Am nächsten Nachmittag holt die Kammerfrau den Kasten zurück. Nach
zwei Minuten steht sie todbleich wieder vor mir und streckt mir den offenen
Kasten entgegen. Sie hatte ihn im Zimmer der Prinzessin geöffnet, der
Kasten war leer! Die Perlenkette, ein sehr teures Stück, fehlte. Die Prin-
zessin, unser Direktor, die Polizei, alle Welt bedrängte mich: die Kette!
Wo ist die Kette?
Die Kammerfrau schwor, die Kette sei in dem Etui gewesen, als sie es
mir gab. Mein Kollege, der nach mir den Geldschrankschlüssel gehabt hatte,
beteuerte, er hätte den Kasten gar nicht berührt! Und ich hatte ihn über-
haupt nicht geöffnet, die Kette nicht einmal gesehen, geschweige denn ge-
nommen. Wo, um's Himmels willen, war die Kette geblieben?
Die Polizeibeamten sahen mich durchbohrend an. Aber davon kam sie
auch nicht wieder. Wir waren ratlos. Jeder sagte etwas, aber keiner wußte
etwas, so gescheit auch jeder gern gewesen wäre. Die Prinzessin reiste empört
ab. Bitte, stellen Sie sich einen Hotelsekretär in einer solchen Lage vor!
Wie aus dem Fegefeuer war ich erlöst, als am anderen Morgen ein
Telegramm der Prinzessin kam, die Kette sei da. Die Kammerfrau hatte
sie im Schloß vor der Reise beim Einpacken aus der Hand gelegt und nach-
her den leeren Kasten mitgenommen..."
„Da scheint ja schöne Ordnung zu herrschen bei Prinzens!" bemerkte
Frau Käthe höhnisch. „Bloß gut, daß ich nicht eine so fabelhaft wertvolle

Kette habe! Was da alles entstehen kann, wenn man solch ein Ding nicht
ordentlich wegschließt!"
„Aber wirklich, gnädige Frau," der Direktor war in seinem Fahrwasser,
„was davon alles für Arger kommen kann! Eine Dame beschuldigte einmal
eines meiner Zimmermädchen des Diebstahls. Sie hatte beim Packen ihrer
Koffer ihre Brillantenohrringe auf den Tisch gelegt, und nachher waren sie
weg. Sie hatte den Raum überhaupt nicht verlassen, und nur das Zimmer-
mädchen war für einen Augenblick hereingekommen, um Nähnadel und
Faden auf den Tisch zu legen. Nach Adam Riese konnte nur sie die Diebin
sein. Das Mädel war untröstlich. Und was stellte sich heraus? Während des
Einpackens hatte die Dame ein gestricktes Mäntelchen über den Tisch ge-
worfen. Als sie den Mantel vom Tisch wegzog, hatten sich die Ohrringe an
ihm eingehakt und waren so mit in den Koffer gekommen..."
„Siehst du, Käthe, siehst du!" ereiferte sich Rechtsanwalt Vaermann,
„da hast du ja wieder, was ich immer sage! Wie leicht können Unschuldige
in Verdacht kommen! Aber den Fall muß ich mir merken. Eignet sich sehr
gut zum Schulbeispiel bei einer Verteidigungsrede. Wissen Sie, Herr Di-
rektor, ich gebe Ihnen vollständig recht. Wie unüberlegt das Publikum mit
reinen Sachen umgeht! Davon kommen ja nur so viele Verwicklungen
und ungerechte Beschuldigungen. Und Sie hätten in den Hotels nicht halb
soviel Diebstähle, wenn sich das Publikum besser vorsehen wollte. Suchen
Sie mal einen Mann, der nicht im Hotel vor dem Schlafengehen Uhr und
Brieftasche neben sich auf den Nachttisch legt. Kann er sie nicht unter das
Kopfkissen stecken? Schleicht sich wirklich mal ein Dieb ein, so braucht der
sich nur zu bedienen. Ich hatte mal einen Hoteldieb zu verteidigen, der
wartete frühmorgens in seinem Hotelzimmer reisefertig immer nur auf
den Augenblick, in dem er im Flur die Tür eines Zimmers öffnen hörte.
Sowie der andere East im Baderaum verschwunden war, schoß er in dessen



„Reich' mir die Hand, mein Leben ..." / Nach einem Scherenschnitt von Gerti Abel
 
Annotationen