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Heft Z

67

Das Buch für Alle

In den Dschungeln Turkestans
Von Heinz Oskar Schönhoff

ein! Nun ist's genug! Fast dreihundert Kilometer Sand und öde
Salzsteppe, Salzsteppe und Sand ... Sand in langen, flachen Fel-
dern, wie Velvetsamt gerippt durch endlos einförmige Linien, und Sand
in ruhelos aufeinanderfolgenden Dünen, bis hinein in den dunstigen,
unsichtigen Horizont.
Gewiß, vonKrasnowodsk an, am Kaspischen Meere, sitze ich in der Bahn
und rolle, rolle: hinein in die sagenhaft-uralten Länder Turkestans, wo
älteste Kultur ihre gewaltigen Grabstätten türmte, die nun der Sand zu-
deckt, der rastlos wehende, rieselnde, sickernde Wüstensand...
Gewiß, die Bahn ist da, sogar eine recht gute Bahn, und auch die Merwp
Oase mit ihren Hainen und Dörfern und saftigen Rieselfeldern. Doch die
hat unser Zug nachts durchfahren, und was sich tagsüber den ermüdeten
Blicken bot, war Salzsteppe und Sand, Sand, endloser grauer oder grau-
brauner Wüstensand, auf den die Spätsommersonne mit ihren dreißig
Grad im Schatten erbarmungslos niederbrennt. Wer will es mir da ver-
denken, wenn ich nun, als ich bei der Station Amu-Darja die breiten,
reißenden Wassermassen des Stromes gleichen Namens erblicke, den Ent-
schluß fasse, die Ausführung meines ursprünglichen Reiseplanes auf einige
spätere Wochen zu verschieben und vorerst, den Fluß abwärts fahrend,
die russische Festung Petro-Alexandrowsk aufzusuchen, um von da aus
das Khanat Chiwa kennenzulernen!

Eine solche Wassermasse nach fast dreihundert Kilometern Wüstenfahrt!
Und dazu die Gelegenheit, mit einem Ruderboot den Fluß, einen der
größten Ströme Zentralasiens, hinabzufahren und die kleinen und größeren
Forts längs dem Ufer anzulaufen. Ich sage zu und mache mich bereit!
ißt ihr, was der Amu-Darja ist? Kennt ihr ihn, der dort, hoch, hoch
droben in der weglosen Bergwildnis des Pamirs, des „Daches der
Welt", wie die Eingeborenen sagen, aus kleinen kristallklaren Bergflüssen
zusammenströmt, sich gurgelnd, brausend, schäumend zwischen himmelhoch
ragenden Felswänden hinabstürzt in nachtdunkle engste Schluchten, immer
breiter, immer tiefer zur Ebene? Und wenn ihr ihn auch dort kennen mögt,
hier, wo er in seinem kilometerbreiten Bette, gelblich, trüb von Steppen-
lehm und Wüstensand, in verbissenem Vorwärtsströmen seinen Zwei-
tausendkilometerweg zum salzigen Aralsee zu Ende zu bringen sucht — hier
hat er ein ganz anderes Gesicht und rafft mit zornigen Händen Schilf und
Röhricht, Strauch und Baumstamm aus den einstürzenden Uferwänden mit
sich fort, hinaus in die salzigen Wasser, denen er unaufhaltsam zuströmt.
Fünf Mann Besatzung hat unser Boot: Eingeborene aus den verschiede-
nen Ländern ringsherum, Tekkes, Tadschiks, Sarten. Tiefbraune Gesichter
mit dunklen Vollbärten unter den Mützen und weißen Turbanen, kräftige,
sehnige Körper in buntem, weitem Chalat, dem persischen Ehrenrock, über



Tiger auf dem Raubzug / Nach einer Radierung von Carl v. Dombrowski Vavariavenag m München
 
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