Das Buch für Alle 69
Wer die Heimat liebt wie du...
Zum hundertsten Todestag des berühmten alemannischen Dichters Johann Peter Hebel / Von Hermann Naillard
Wieder-
kehr seines
hundertsten
Todestags
keit abholden alemannischen Art. Pathetischer Schwung ist nicht ihre Stärke,
Steigerung ins Großartige nicht ihr Ehrgeiz. So liegt auch über Hebels
ganzem Leben und Wirken
der Schimmer herzgewinnender Schlicht-
heit und kindlich reinen, arglosen Frohsinns.
Sein Vater, zwar nur ein armer Weber und
lange Jahre in treuen Diensten bei dem
Major Jselin in Basel, aber doch ein präch-
tiger Mensch, für das Schöne und nützliches
Wissen erschlossen und ein schalkhaft frohes
Gemüt, vererbte ihm bei seinem frühen Tod
dies kerngesunde Wesen. Noch viel größer
war der zeitlebens nachwirkende Einfluß
seiner trefflichen, schlichtfrommen Mutter.
Auch sie stand als hochgeachtete, vertraute
Hausgehilfin im Dienst der Familie Jselin.
Selbst nach der Verheiratung nahm sie zeit-
weise ihren Dienst wieder auf, und so geschah
es, daß ihr Söhnlein Johann Peter im Jselin-
schen Haus in Basel am 10. Mai 1760 zur
Welt kam. Mit Dank und Anhänglichkeit
hat Hebel stets seiner Linderzeit in der
„Münsterschul" und der gutherzigen Schwei-
zer Familie gedacht. Seine eigentliche Hei-
mat, mit der er, „mehr Dorf- als Stadtkind",
wie er von sich selbst sagt, fest verwachsen
blieb, war Hausen, der Mutter Geburtsort,
und das Wiesental, in das ihn bis in die
letzten Tage immer wieder eine nie zur
Ruhe kommende Sehnsucht zog. Dieses
Heimweh hat in ihm, als er in der Residenz-
stadt Amt und Würden bekleidete, die dich-
terische Gabe zum Erblühen gebracht und
verschmolz mit dem Verlangen seines lautern
Wesens nach einer guten, reinen Welt, wie
sie sich inmitten übler Unvollkommenheit in
schlichten, edlen Herzen still entfaltet. Auf
dem Weg nach Hausen hat Hebel seine tod-
kranke Mutter als Büblein geleitet und
erlebt, wie ihre Augen erloschen, noch ehe
sie die Heimat wiedergesehen. Ersparnisse
Johann
Peter Hebel,
berühmter ale-
mannischer Dichter
or hundert Jahren, am 22. September 1826, schloß im badischen
Städtchen Schwetzingen ein Heimatdichter die Augen für immer,
dessen Heimatkunst noch heute lebendig ist: Johann Peter Hebel. Von ihm
hat wohl ein jeder von uns in der Linder¬
zeit durch das eine oder andere in die Lese-
bücheraufgenommene Gedicht unvergeßliche
Eindrücke erhalten. Wer erinnert sich nicht
zum Beispiel an das köstlich anschauliche
vom Sommerabend:
O lueg doch, wie isch d' Sunn so müed,
Lueg, wie sie d' Keimet abezieht!
O lueg, wie Strahl um Strahl verglimmt,
Und wie sie's Fazenetli nimmt...
Manche mögen freilich nur hochdeutsche
Übertragungen seiner Gedichte kennen. Wer
ihn indes recht verstehen will, der muß in
Dichters Lande gehen. Bei Basel wendet
sich der Rhein gen Norden. Dieser Land-
winkel, durch den die Wiese, das mun¬
tere, von Hebel wiederholt besungene
Flüßchen, dahineilt, bis sie sich dem Rhein,
,/s Gotthards große Bueb", in die Arme
wirft, das ist seine Heimat. Sie gehört zu
seinem Wesen, und keiner hat ihre Eigen-
art so treffend gekennzeichnet wie er.
Alemannisch sind nicht nur seine Gedichte,
die ihn berühmt gemachthaben, alemannisch
war er selbst. Was Hebel sein er Heimat ver-
dankt, hat Goethe in warmer Würdigung
des Dichters ausgesprochen: „Heiterkeit des
Himmels, Fruchtbarkeit der Erde, Mannig-
faltigkeit der Gegend, Lebendigkeit des
Wassers, Behaglichkeit der Menschen, Ge-
schwätzigkeit und Darstellungsgabe, neckische
Sprechweise, so viel steht ihm zu Gebot,
um das, was ihm sein Talent eingibt, aus-
zuführen." Er war eine glückliche, mit
schönen Gaben beschenkte Natur, so recht von
der geraden, aller wichtigtu end en Förmlich-
Wer die Heimat liebt wie du...
Zum hundertsten Todestag des berühmten alemannischen Dichters Johann Peter Hebel / Von Hermann Naillard
Wieder-
kehr seines
hundertsten
Todestags
keit abholden alemannischen Art. Pathetischer Schwung ist nicht ihre Stärke,
Steigerung ins Großartige nicht ihr Ehrgeiz. So liegt auch über Hebels
ganzem Leben und Wirken
der Schimmer herzgewinnender Schlicht-
heit und kindlich reinen, arglosen Frohsinns.
Sein Vater, zwar nur ein armer Weber und
lange Jahre in treuen Diensten bei dem
Major Jselin in Basel, aber doch ein präch-
tiger Mensch, für das Schöne und nützliches
Wissen erschlossen und ein schalkhaft frohes
Gemüt, vererbte ihm bei seinem frühen Tod
dies kerngesunde Wesen. Noch viel größer
war der zeitlebens nachwirkende Einfluß
seiner trefflichen, schlichtfrommen Mutter.
Auch sie stand als hochgeachtete, vertraute
Hausgehilfin im Dienst der Familie Jselin.
Selbst nach der Verheiratung nahm sie zeit-
weise ihren Dienst wieder auf, und so geschah
es, daß ihr Söhnlein Johann Peter im Jselin-
schen Haus in Basel am 10. Mai 1760 zur
Welt kam. Mit Dank und Anhänglichkeit
hat Hebel stets seiner Linderzeit in der
„Münsterschul" und der gutherzigen Schwei-
zer Familie gedacht. Seine eigentliche Hei-
mat, mit der er, „mehr Dorf- als Stadtkind",
wie er von sich selbst sagt, fest verwachsen
blieb, war Hausen, der Mutter Geburtsort,
und das Wiesental, in das ihn bis in die
letzten Tage immer wieder eine nie zur
Ruhe kommende Sehnsucht zog. Dieses
Heimweh hat in ihm, als er in der Residenz-
stadt Amt und Würden bekleidete, die dich-
terische Gabe zum Erblühen gebracht und
verschmolz mit dem Verlangen seines lautern
Wesens nach einer guten, reinen Welt, wie
sie sich inmitten übler Unvollkommenheit in
schlichten, edlen Herzen still entfaltet. Auf
dem Weg nach Hausen hat Hebel seine tod-
kranke Mutter als Büblein geleitet und
erlebt, wie ihre Augen erloschen, noch ehe
sie die Heimat wiedergesehen. Ersparnisse
Johann
Peter Hebel,
berühmter ale-
mannischer Dichter
or hundert Jahren, am 22. September 1826, schloß im badischen
Städtchen Schwetzingen ein Heimatdichter die Augen für immer,
dessen Heimatkunst noch heute lebendig ist: Johann Peter Hebel. Von ihm
hat wohl ein jeder von uns in der Linder¬
zeit durch das eine oder andere in die Lese-
bücheraufgenommene Gedicht unvergeßliche
Eindrücke erhalten. Wer erinnert sich nicht
zum Beispiel an das köstlich anschauliche
vom Sommerabend:
O lueg doch, wie isch d' Sunn so müed,
Lueg, wie sie d' Keimet abezieht!
O lueg, wie Strahl um Strahl verglimmt,
Und wie sie's Fazenetli nimmt...
Manche mögen freilich nur hochdeutsche
Übertragungen seiner Gedichte kennen. Wer
ihn indes recht verstehen will, der muß in
Dichters Lande gehen. Bei Basel wendet
sich der Rhein gen Norden. Dieser Land-
winkel, durch den die Wiese, das mun¬
tere, von Hebel wiederholt besungene
Flüßchen, dahineilt, bis sie sich dem Rhein,
,/s Gotthards große Bueb", in die Arme
wirft, das ist seine Heimat. Sie gehört zu
seinem Wesen, und keiner hat ihre Eigen-
art so treffend gekennzeichnet wie er.
Alemannisch sind nicht nur seine Gedichte,
die ihn berühmt gemachthaben, alemannisch
war er selbst. Was Hebel sein er Heimat ver-
dankt, hat Goethe in warmer Würdigung
des Dichters ausgesprochen: „Heiterkeit des
Himmels, Fruchtbarkeit der Erde, Mannig-
faltigkeit der Gegend, Lebendigkeit des
Wassers, Behaglichkeit der Menschen, Ge-
schwätzigkeit und Darstellungsgabe, neckische
Sprechweise, so viel steht ihm zu Gebot,
um das, was ihm sein Talent eingibt, aus-
zuführen." Er war eine glückliche, mit
schönen Gaben beschenkte Natur, so recht von
der geraden, aller wichtigtu end en Förmlich-