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Das Buch für Alle


Heft 4

„Latz Maria aus dem Spiel."
„Sehr töricht. Ich denke, du kommst noch zur Einsicht." Er
stand auf, zündete sich eine Zigarette an, trat auf den Balkon
hinaus und sah in die Weite. Maria erblickte ihn vom Strand aus,
wie er so groß und schlank gegen die Hausmauer lehnte, der
schmale Kopf wie Helle Bronze im jungen Licht. Und die dunklen
Augen hinter den langen seidenen Wimpern, immer ein wenig
versteckt, als lohne es nicht, diese elende Welt mit vollem Blick in
sich aufzunehmen, suchten ihr Gesicht. So weit sie von ihm ent-
fernt war, sie spürte den Blick. Was will er von mir? dachte sie.
Es ist, als wenn er mit den Augen die Menschen heranzieht und
zwingt, seinen Willen zu tun. Aber was will er von mir?
n diesem Abend, als Maria nicht schlafen konnte, wollte sie
noch einmal in das Nebenzimmer zur Schwester gehen und
fand die Tür verriegelt. Warum das? Wünschte Elena ihren Ein-
tritt nicht mehr? Sie klopfte und rief leise, es kam keine Antwort.
Die mutzte tief schlafen.
Also stören wir sie nicht mehr.
Aber in dem kleinen, wochenlang nicht gelüfteten Zimmer war
die Luft zum Ersticken. Maria ging hinaus auf die Loggia und
wanderte langsam über die ausgetretenen Steine bis zur Ecke.
Dort konnte man schräg hinübersehen zum Großen Kanal, dorther
kam vielleicht ein kühleres Lüftchen.
Sie hörte Stimmen und bemerkte, daß in dem Speisezimmer
— es stieß an das ihre, aber die Tür war versetzt — hinter zuge-
zogenen Vorhängen Licht war. Also hatte Sergei Besuch. Und
nun — aus den drei letzten Fenstern, die zum großen Saal ge-
hörten, der durch die ganze Tiefe des Hauses ging, ganz in der
fernsten Ecke, sah sie ebenfalls Lichtschein dringen. Ohne Absicht

blickte sie hinein in den Raum, wo zwischen zwei Vorhängen ein
handbreiter Spalt klaffte. Sah in der Mitte des Saales, den sie
nie betreten — „es ist da nichts zu holen als Moder und Spinn-
weben," hatte Sergei gesagt —, einen langen, ziemlich breiten
Tisch und rings um den Tisch gereiht eine Anzahl Männer und
Frauen beim Glücksspiel. Hatte sie auch nie an solcher Tafel ge-
sessen, so war sie sich doch sofort klar, was das bedeutete.
Oben am Tischende hielt der Schwager die Bank. Straff aus-
gerichtet, mit dem kühlen Gesicht, das immer am unbeweglichsten
erschien, wenn er innerlich auf das äußerste angespannt war, saß
er und zog von dem vor ihm liegenden Kartenspiel die Blätter ab.
Es waren mehr Männer als Frauen, etwa sieben Männer und
vier Frauen, und wenn die Männer immer noch „Herren" ge-
nannt werden konnten, die Frauen waren keine Damen. Oder
doch nur sogenannte.
Und zwischen dieser gemischten Gesellschaft saß Elena. Nicht
am Tisch, sondern in der Hinteren Saalecke, lehnte auf einem
Ecksofa und hatte rechts Fredi Hochheim und links einen sehr
östlich aussehenden Herrn, einen von jenen, deren dicke Hände und
kurzen Finger sie in Rumänien verabscheuen gelernt hatte.
Sie war in Helle Seide gekleidet und trug ein Diadem, das
Maria bisher nicht bei ihr gesehen hatte. Die Steine sandten lange
Strahlen durch den Raum, doch von den Spielern am Tisch
blickte niemand in die Ecke hinüber.
Zwei Diener, wohl gemietete Leute — Maria kannte sie nicht —,
gingen um den Tisch und boten Champagner an, hin und wieder
griff einer nach einem Glas und stürzte den Wein hastig hinunter.
Daß doch Sergei das Spielen nicht lassen kann! Und mit solcher
Gesellschaft, dachte Maria und ging in das eigene Zimmer zurück.
Und daß er Elena zwingt, zwischen diesen Leuten zu sitzen! Und sie—



O wonnevolle Jugendzeit! / Nach einer künstlerischen Aufnahme von Wörsching
 
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