Das Buch für Alle
Aus den Erinnerungen des Grafen Pfeil: . Plötzlich wache ich von einem jähen Schreck auf und bin sofort ganz munter. Da sehe ich ... eine Gestalt,
die... leise, leise, unhörbar über den Fußboden schiebt... An dem Tisch in der Mitte stützt sie sich auf, immer den Kopf nach mir zu gewendet, schiebt so an
meinem Bett vorbei und verschwindet in der Fensternische."
glänzend vor Ihnen. Er hat mich nie verlassen. Ich sehe ihn bei allen großen
Gelegenheiten. Er befiehlt mir, vorwärts zu gehen, und ist für mich ein
beständiges Zeichen des Glücks."
Man mag einwenden: Ja, Napoleon war eben Mystiker! Gewiß war
er das. Aber eben infolge seiner Erlebnisse! Und so geht es jedermann in
gleicher Lage. Der Skeptiker begeht den Denkfehler, Ursache und Wirkung
zu verwechseln: nicht weil man Mystiker oder Okkultist ist, hat man über-
sinnliche Erlebnisse, sondern dazu wird man auf Grund solcher Erfahrungen.
Auch Blücher, Napoleons späterer Besieger, besaß okkulte Fähigkeiten.
Wie General von Eisenhart in seinen Denkwürdigkeiten zu erzählen weiß,
hat ihm der Marschall Vorwärts, der damals noch — von 1807 bis 1809 —
als unbekannter verabschiedeter Offizier, in Treptow ungeduldig der Frei-
heitskriege harrend, in Hinterpommern sich aufhielt, wiederholt das fol-
gende versichert: Ein Offizier, der längst schon tot war, sei ihm erschienen
und habe ihm mit dem Finger gedroht. Ferner habe sein jüngstverstorbenes
Töchterchen die Ärmchen nach ihm ausgestreckt.
Auch Feldmarschall von Steinmetz, der Sieger von Spichern, stand, wie
Fontane in seinem Buche „Der deutsche Krieg von 1866" auf Grund per-
sönlicher Nachrichten mitteilt, jahrzehntelang mit seiner verstorbenen
Tochter in direktem Verkehr.
Hier möge auch das Erlebnis des Grafen Pfeil, nachmaligen preußischen
Generals, das er in seinen Lebenserinnerungen „Zwischen den Kriegen"
(Schweidnitz 1912) wiedergibt, seine Stelle finden. Zur Besichtigung der
berühmten Adelsberger Grotte hatte er dort seine Reise unterbrochen
und als einziger Gast ein Zimmer im Gasthofe bezogen: „Es war ein
langer, schmaler Raum; das Bett in der der Tür entgegengesetzt liegenden
rechten Ecke; neben ihm ein tief in die dicke Wand eingelassenes Fenster,
das, wenn im Zimmer Licht brannte, durch einen dicken Vorhang völlig
verhängt war. Da mich die Besichtigung der Grotten ermüdet hatte und
ich am folgenden Morgen schon um drei Uhr die Reise fortsetzen wollte,
legte ich mich bald nach acht Uhr abends schlafen, ohne, was ich besonders
bemerke, nur einen Tropfen irgend eines geistigen Getränkes zu mir ge-
nommen zu haben. Sofort schlief ich ein.
Plötzlich wache ich von einem jähen Schreck auf und bin sofort ganz
munter. Da sehe ich, trotz der Finsternis, eine Gestalt, die, als käme sie
von der Tür, leise, leise, unhörbar über den Fußboden schiebt. In ihren
Umrissen erschien sie mir groß, stark, etwa wie ein Mönch. An dem Tisch
in der Mitte stützt sie sich auf, immer den Kopf nach mir zu gewendet,
schiebt so an meinem Bett vorbei und verschwindet in der Fensternische.
Ohne Zweifel ein Dieb! Ich fasse nach dem Dolch auf dem Nachttisch, stürze
in die Fensternische, die nunmehr durch Lichtschimmer von der Straße aus
erleuchtet ist und — finde sie leer. Wie taumelnd vor Schreck gelange ich
an mein Bett zurück, mache Licht in der Überzeugung, es müsse nach Mitter-
nacht und die Geisterstunde sein. Aber es war noch nicht zehn Uhr."
In der Hoffnung, in der Wirtsstube noch Gäste anzutreffen, zieht sich
Graf Pfeil an. Die Wirtin veranlaßt ihn, sich ins Fremdenbuch einzutragen.
„Hausdorf, Kreis Neurode, Grafschaft Glatz." Da sagt sie: „Das ist doch
aber sonderbar! Gerade heute vor einem Jahre starb bei uns ein Herr
von Winckel aus Glatz. In den Grotten hatte ihn der Schlag gerührt. Ich
sehe ihn noch vor mir. Ein großer, starker Herr; er wohnte in Ihrem
Zimmer."
Übrigens hatte der bekannte Afrikaforscher Karl Peters, wie er in seinem
Werke „Die Gründung von Deutsch-Ostafrika" erzählt (E. A. Schwetschke
L Sohn, Berlin), eine ganz ähnliche Gespenstererscheinung, die einzige
seines Lebens, mit seinem verstorbenen Onkel. Auch Stanley weiß in
seiner Autobiographie (München 1911) ein verwandtes Erlebnis mit seiner
sterbenden Tante zu berichten. Beide großen Afrikaner waren damals
noch junge Männer und hatten ihre Laufbahn in den Tropen noch nicht
begonnen, beide, mir persönlich bekannt, waren Urtypen des Willens-
menschen. Der Einwand ausschweifender Phantastik oder des Tropen-
kollers wäre lächerlich.
Nur Unwissenheit kann die Tatsache leugnen, daß wir in gewissen Augen-
blicken, besonders solchen einer seelischen Hochspannung, die Grenzen
unserer Körperlichkeit zu überschreiten vermögen.
Hoffentlich tragen diese Zeilen dazu bei, jenen den Bekennermut zu ver-
leihen, die selbst Übersinnliches erlebten, ohne Scheu vor der Menge, deren
primitive und robuste Konstitution ihr die höhere Welt versperrt. Sie be-
finden sich nicht in schlechter Gesellschaft!
4. 1927