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Das Buch für Alle

Heft z

vollen heraus und darf nichts sagen. Laß ihn. Sergei wird schon
eines Tages hier sein. Bis dahin haben wir Ferien." Trotz der
Herrschaft, die ihr Mann über sie ausübte, konnte sie ihn zuzeiten
recht gut entbehren. Und Maria war solch entzückender Ersatz.
Als sie in das Hotel zurückkamen, lag auf dem Tisch im Salon
— Elena hatte drei Zimmer und eine kleine Zofe genommen —
die Wochenrechnung. Die dritte seit ihrem Kommen.
„Sieh mal nach, wieviel das macht, Maria. Ich kann mich
nicht zurechtfinden mit diesen Billionen und Milliarden. Rechne
es doch einmal um in Lire."
Maria setzte sich gehorsam vor das Papier. Sie hatte es schon
gelernt, die täglichen Kurse zu lesen, und war froh, daß sie italieni-
sches Geld in Händen hatten und so dem rasenden Sturz der
Mark mit einiger Sicherheit begegnen konnten.
„Zweihundertdreiundzwanzig Lire, Elena."
„Was sagst du? Zweihundertdreiundzwanzig? Ist das nicht
schrecklich viel? Wir leben doch wie die Nönnchen." Sie kramte
in ihrer Geldtasche. „Maria — o Gott — Maria, ich glaube, man
hat mich bestohlen."
„Bestohlen? Wann denn?"
„Ich weiß nicht. Es ist mit einemmal so wenig geworden. Und
wir geben doch nichts aus."
„Ach ja, Elena, du hast allerlei ausgegeben. Das graue Tuch-
kostüm und der silberne Rosenkranz, und die Goldkäferschuhe und
das seidene Theaterkleid. Und die drei Tage in Bayreuth zur
Ausführung des Parzival — Es ist schon allerlei gewesen."
„Wenn man das nicht einmal haben soll. Wo du bei der Tante
Jnnozentia so gefangengesessen hast — Ich muß dir doch ein
kleines bißchen Freude schaffen."
„Meine Freude ist, bei dir zu sein. Nun gib mir mal die Tasche
endlich ganz in die Hände. Das geht so nicht weiter. Wenn ich
dich wirtschaften lasse, sind wir bald am Ende. Und auf Sergei
baue ich nicht so sehr."
„Da, nimm sie. Ich bin froh, wenn ich von der ganzen Sorge
nichts mehr hören muß. Sergei wird schon kommen und uns bei-
stehen. Jetzt sind es schon drei Wochen. Maria — komm mal her
an das Fenster. Schau, da ist wieder der große Blonde, der uns
in der Theatinerstraße immer nachgeht, er schaut herüber zum
Hotel. Ob er weiß, wo wir wohnen?"
„Wird er wohl herausgebracht haben."

„Was wird er sein? Auf einen Grasen kann man ihn immer-
hin schätzen."
Maria trat neben die Schwester hinter die leichten Vorhänge.
Plötzlich wurden ihr die Augen groß, und ihr Herz schlug ein paar-
mal ganz schnell. Hinter dem Blonden ging ein anderer, ein
Dunkler, Schlanker, einer der die Schultern ein wenig nach vorn
sinken ließ und nicht einmal herüberschaute. „Siehst du den
andern, Elena? Den Dunklen? Das ist mein Ritter von der
Wiener Reise. Noch nicht einmal sind wir ihm begegnet. München
ist doch nicht so klein."
„Schau, schau. Der kann mir gefallen. Hat was vom Aristo-
kraten an sich. So selbstsicher, so: Was kümmert mich die ganze
elendige Welt! Ob man ihm einmal schreiben sollte? So als
diensttuender Kammerherr wäre er vielleicht nicht schlecht zu
brauchen."
„Ich schreib' ihm nicht," sagte Maria kurz. „Und nun laß mich
einmal ruhig rechnen." Ihre Stirn krauste sich, sie war in schwere
(krempel versunken. Als sie mit denen fertig, stand sie entschlossen
auf. „So geht es nicht weiter. Wenn wir hierbleiben, sind wir in
kurzer Zeit zu Ende. Wir müssen uns das Leben billiger ein-
richten, Elen."
„Noch billiger? Soll ich wieder Vorleserin werden? Oder Kell-
nerin in einem Lass? Oder Modell? Die Theres" — das war
das neueZöfchen—, „die sagt,für schöneModelle geben die Künst-
ler ein sündhaftes Geld aus."
„Du wärst imstande zu solchem Unfug —" Wieder das Krausen
der Stirn. „Hätt' man nur einen Menschen, der einem raten
könnte. Aber so fremd, wie wir hier sind —"
„Also schreib an deinen Reisefreund."
Maria antwortete nicht. Doch am anderen Morgen, als Elena
wieder von ganz notwendigen Einkäufen beim Juwelier und der
Modistin begann, setzte sie sich hin und schrieb ein Briefchen:
„Sehr geehrter Herr Godesheim! Schneller, als wir wohl beide
gedacht, bin ich in die Lage gekommen, Sie um einen Rat zu
bitten. Wollen Sie heute mit mir und meiner Schwester, der
Baronin Biron, im Bayrischen Hof eine Tasse Tee trinken,
werden wir uns freuen, Sie zu empfangen. Ihre sehr ergebene
Maria Erdmannsdorf."
Das war freundlich, ohne zu vertraulich zu sein. Sie schickte es
durch einen Dienstmann an die Adresse, die sie noch glücklich in
ihrer Manteltasche gefunden hatte.
Und dreimal am Tage ertappte sie sich
auf einem erwartungsvollen Glücks-
gefühl, das sie für einen Augenblick gar
nicht verstand, bis sie spürte, sie freute
sich auf dies Wiedersehen.
Elena blinzelte sie einmal mit den
Goldaugen an und sagte listig: „So
hübsch bist du heute. SoetwasWeiches
ist in deinem Gesicht. Und wie die
Haare leuchten! Hast du Feuer unter
dem Dachel, Kind?"
„Ja, ein Sorgenfeuer, von meiner
leichtsinnigen Schwester entzündet.
Du wirst einmal sehr verständig sein
beim Tee, Elen. Mich ruhig mit —
mit dem jungen Herrn reden lassen
und ihn nicht gleich an deine Kette
legen. Das kannst du später, wenn ich
weiß, was ich von ihm wissen will."
„Oh, ich werde mich benehmen wie
ein Nönnchen. JnderBüßerkutte. Und
die Augen auf die Fußspitzen gesenkt."
So empfing sie Heinz Godesheim
wirklich in einem grauen Florkleide,
einen leichten bläulichen Schal um den
Hals gelegt, sehr anmutig, sehr zu-
rückhaltend. Und lachte doch im stillen,
wie seine Künstleraugen aufflammten



Annäherungsversuche / Nach einem Gemälde von A. Weczerzick
Pallas-Mrlag A.-G., Berlin SW 11
 
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