Das Buch für Alle
H°fl 5
Der verratene Hühnerdieb
Nach einer Plastik von H.I. Pagels
Neue Pbotegraphische Gesellschaft A.-G., Berlin
„Ja, das ist kein bürgerliches Laster."
„Liebes Kind, seit der Revolution ist dies Laster in Berlin so
verbreitet wie in Monte Carlo. Man spielt sogar auf offener
Straße, bis ein Grüner kommt. Mit Kreidestrichen auf den Tritt-
steinen. Darum — Aber mein Mann duldet es nicht."
„Wer verkehrt denn bei euch?"
„Bisweilen auch ruinierte Großfürsten. Aber sie kommen selten
wieder. Dann auch allerhand kleinere Aristokraten, unter denen
sich manche ganz famos in die Verhältnisse gefunden haben. Dann
allerhand Leute der Kunst und Wissenschaft —"
„Du hast einen Salon?"
„Dies weniger. Dazu bin ich nicht schön genug, nicht geistreich
genug, nicht albern genug. Aber einmal in der Woche steht unser
Haus allen offen, die uns gefallen. Und uns gefallen sehr unter-
schiedliche Leute. Auch die hohe Finanz und Industrie läßt sich
sehen. Stinnes, Opel, Kollmann —"
„Kollmann?" fragte Maria, die den Sticheleien der beiden
Damen in stiller Heiterkeit zugehört hatte. „Ich lernte einen Herrn
Kollmann kennen, als ich hinunterfuhr nach Venedig." Und sie
berichtete.
„Und das sagst du jetzt erst? Und um den Mann habt ihr euch
weiter gar nicht gekümmert?"
„Wie sollten wir denn?"
„Liebes Kind, wenn uns jemand einen solchen Dienst erwiesen
hat, ich meine natürlich, ein Mann von solchem Einfluß — der
andere Jüngling war nebensächlich —, dann schreibt man ihm
bei Gelegenheit ein paar passende Zeilen. Bleibt in einer, wenn
auch noch so losen Verbindung mit ihm. Weiß zur gegebenen
Zeit wieder anzuknüpfen."
„Mir scheint, wir verstehen doch noch wenig davon, wie man
heutzutage leben muß."
„Das scheint mir auch. Aber gut, daß ich es weiß. Vielleicht —"
„Bitte, lassen Sie den Herrn nicht denken, ich wünschte etwas
von ihm."
„Ich bin nicht so ungeschickt, wie du zu denken scheinst. Das laß
nur meine Sorge sein. — Aber nun einmal im Ernst, wenn du
also in München dein Talent ausbilden willst, dazu würde ich dir
helfen. Ich werde mit meinem Manne reden."
„Er kennt uns ja gar nicht. Wie können wir ihm lästig fallen!"
„Tatata. Eine Prinzessin heiraten bringt Verpflichtungen mit
sich. Darüber war et sich vollkommen klar, und es freut ihn, wenn
er mir da einen Wunsch erfüllen kann. Nur — wie ich schon sagte —
aus dem Fenster wirft man das Geld nicht gern. Und nun muß
ich zurück zum Schiff. Ich will meinen Mann heute abend in
München treffen. Du könntest mich begleiten, Maria."
Als sie durch die waldigen Wege zum Schiff hinuntergingen,
sagte Ihre Hoheit Frau Schulze: „Ich habe nicht so sehr große
Eile. Wir können langsam gehen. Ich wollte dich nur einmal
alleine sprechen. Mit Elena ist vernünftig nicht zu reden. Ich
dachte, ihre Erfahrungen
in den letzten Jahren hät-
ten mehr Eindruck auf sie
gemacht. Aber sie ist, wie
sie immer war. Der alte
Fürst Woronzoff sagte es
mir schon vor dem Kriege
einmal, als sie erst zwei
Jahre in Petersburg war:
Eine entzückende Frau!
Entzückend schön und ent-
zückend leichtsinnig. Trotz
ihres Sergei, der sie stark
beherrschte, hatte sie im-
mer noch ein paar — hm
— Verehrer. Wollen an-
nehmen, daß sie ihr nicht
mehr waren."
Maria stieg das Blut in
das Gesicht. Sie schwieg.
„Wenn du vorwärts willst, mein liebes Kind, mußt du dich
losmachen von ihr. Sie ist die Frau der früheren Zeit, sie ändert
sich nicht. Du kannst vielleicht eine neue Frau werden. Du hast
Willen im Gesicht und in den Fingern. Ich sehe es, wie du sie zur
Faust ballst, weil du mir auf meine Worte über deine Schwester
nicht so antworten willst, wie du möchtest."
„Ich trenne mich nicht von meiner Schwester."
„Sehr töricht, denn eines Tages wird sie sich von dir trennen.
Ihr seid im Gleiten, meine liebe Maria. Es gehört eine feste Hand
und ein fester Tritt dazu, Balance zu halten und wieder festen Fuß
zu fassen. Elena wird sie nie haben."
„Ich werde sie halten."
„Du traust dir viel zu. — Lassen wir das. Was habt ihr noch
an irdischem Besitz? Wir wollen in dieser letzten halben Stunde
doch offen reden. Aufdringlichkeit liegt mir fern, aber wenn euch
geholfen werden soll, muß ich klar sehen." Und als Maria ihr
reinen Wein eingeschenkt: „Ha, damit werdet ihr bald am Ende
sein, trotz eurer Bratklopspension. Ich werde dir schreiben, und
du wirst mir offen antworten. Zunächst bleibt nur hier draußen,
und wenn der Herbst kommt, gehst du nach München und versuchst,
ob du da etwas mit deinem Zeichnen erreichst. Aber einschränken
müßt ihr euch. Es sind zu viele, die mich beanspruchen."
„Wir beanspruchen nichts."
„Willst du dir durch das Leben helfen, mein Kind, dann ge-
wöhne dir vor allem die Empfindlichkeit ab. Prinzessinnen aus der
Erbse finden heute keinen Königssohn mehr. — Vielleicht" — sie
blieb stehen und bohrte mit dem Sonnenschirm im Sande —
„für Elena wäre eine Stelle als Repräsentantin in einem reichen
Hause — so als Hausdame, um es plebejisch auszudrücken —
Hm — Das ließe sich machen." Eine Pause. Ein kurzer Ruck.
„Nein, es geht doch nicht. Sie ist zu schön und zu leichtsinnig.
Wenn sie wenigstens Witwe wäre, oder geschieden. Aber so —
Immer den Sergei im Hintergrund, von dem man nie weiß, was
er anstellen wird —"
„Was hat er denn so Schlimmes angestellt, daß Sie so von ihm
sprechen, Hoheit?"
„Du kannst Tante sagen. Ich nenne dich ja auch nach alter
Weise noch du. — Was er angestellt hat? Davon weißt du nichts?
— Desto besser, ich werde deine Unschuld nicht trüben. Er ist
jedenfalls unmöglich in der alten aristokratischen Gesellschaft, auch
wenn man die Möglichkeiten sehr weit nimmt. — Da ist schon das
Schiff. Auf Wiedersehen, Maria. Wenn es nicht wäre, daß du so
an der Schwester hängst, ich würde dich ganz zu mir nehmen.
Überlegt es dir."
„Da ist nichts zu überlegen."
„Dann hilft es nichts. Aber um dich ist es schade. Es würden
sich für dich in unserem Hause immer Aussichten ergeben haben."
Ein letzter Händedruck, ein Handkuß Marias, der der Hoheit doch
sehr angenehm war — es hielten viele solche kleine Huldigung nicht
mehr für nötig —, dann
ging die Schiffsglocke zum
letztenmal, und Maria
wandte sich wieder der
Pension zu.
Elena lachte noch drei
Tage über die hilfreiche
Hoheit, deren Hilfe das
Portemonnaie des Herrn
Gemahls nicht zu sehr in
Anspruch nehmen dürfte.
„Du sollst sehen, Maria,
sie schickt uns tausend
Mark im Monat und
meint wunder was sie ge-
tanhat. Was sind tausend
Mark für Ihre Hoheit!"
Maria b ezw eifelte stark,
daß es tausend werden
würden. (Fortsetzung folgt)
Das gibt alle Neune!
Nach einem
Scherenschnitt von Stefan RostLs
H°fl 5
Der verratene Hühnerdieb
Nach einer Plastik von H.I. Pagels
Neue Pbotegraphische Gesellschaft A.-G., Berlin
„Ja, das ist kein bürgerliches Laster."
„Liebes Kind, seit der Revolution ist dies Laster in Berlin so
verbreitet wie in Monte Carlo. Man spielt sogar auf offener
Straße, bis ein Grüner kommt. Mit Kreidestrichen auf den Tritt-
steinen. Darum — Aber mein Mann duldet es nicht."
„Wer verkehrt denn bei euch?"
„Bisweilen auch ruinierte Großfürsten. Aber sie kommen selten
wieder. Dann auch allerhand kleinere Aristokraten, unter denen
sich manche ganz famos in die Verhältnisse gefunden haben. Dann
allerhand Leute der Kunst und Wissenschaft —"
„Du hast einen Salon?"
„Dies weniger. Dazu bin ich nicht schön genug, nicht geistreich
genug, nicht albern genug. Aber einmal in der Woche steht unser
Haus allen offen, die uns gefallen. Und uns gefallen sehr unter-
schiedliche Leute. Auch die hohe Finanz und Industrie läßt sich
sehen. Stinnes, Opel, Kollmann —"
„Kollmann?" fragte Maria, die den Sticheleien der beiden
Damen in stiller Heiterkeit zugehört hatte. „Ich lernte einen Herrn
Kollmann kennen, als ich hinunterfuhr nach Venedig." Und sie
berichtete.
„Und das sagst du jetzt erst? Und um den Mann habt ihr euch
weiter gar nicht gekümmert?"
„Wie sollten wir denn?"
„Liebes Kind, wenn uns jemand einen solchen Dienst erwiesen
hat, ich meine natürlich, ein Mann von solchem Einfluß — der
andere Jüngling war nebensächlich —, dann schreibt man ihm
bei Gelegenheit ein paar passende Zeilen. Bleibt in einer, wenn
auch noch so losen Verbindung mit ihm. Weiß zur gegebenen
Zeit wieder anzuknüpfen."
„Mir scheint, wir verstehen doch noch wenig davon, wie man
heutzutage leben muß."
„Das scheint mir auch. Aber gut, daß ich es weiß. Vielleicht —"
„Bitte, lassen Sie den Herrn nicht denken, ich wünschte etwas
von ihm."
„Ich bin nicht so ungeschickt, wie du zu denken scheinst. Das laß
nur meine Sorge sein. — Aber nun einmal im Ernst, wenn du
also in München dein Talent ausbilden willst, dazu würde ich dir
helfen. Ich werde mit meinem Manne reden."
„Er kennt uns ja gar nicht. Wie können wir ihm lästig fallen!"
„Tatata. Eine Prinzessin heiraten bringt Verpflichtungen mit
sich. Darüber war et sich vollkommen klar, und es freut ihn, wenn
er mir da einen Wunsch erfüllen kann. Nur — wie ich schon sagte —
aus dem Fenster wirft man das Geld nicht gern. Und nun muß
ich zurück zum Schiff. Ich will meinen Mann heute abend in
München treffen. Du könntest mich begleiten, Maria."
Als sie durch die waldigen Wege zum Schiff hinuntergingen,
sagte Ihre Hoheit Frau Schulze: „Ich habe nicht so sehr große
Eile. Wir können langsam gehen. Ich wollte dich nur einmal
alleine sprechen. Mit Elena ist vernünftig nicht zu reden. Ich
dachte, ihre Erfahrungen
in den letzten Jahren hät-
ten mehr Eindruck auf sie
gemacht. Aber sie ist, wie
sie immer war. Der alte
Fürst Woronzoff sagte es
mir schon vor dem Kriege
einmal, als sie erst zwei
Jahre in Petersburg war:
Eine entzückende Frau!
Entzückend schön und ent-
zückend leichtsinnig. Trotz
ihres Sergei, der sie stark
beherrschte, hatte sie im-
mer noch ein paar — hm
— Verehrer. Wollen an-
nehmen, daß sie ihr nicht
mehr waren."
Maria stieg das Blut in
das Gesicht. Sie schwieg.
„Wenn du vorwärts willst, mein liebes Kind, mußt du dich
losmachen von ihr. Sie ist die Frau der früheren Zeit, sie ändert
sich nicht. Du kannst vielleicht eine neue Frau werden. Du hast
Willen im Gesicht und in den Fingern. Ich sehe es, wie du sie zur
Faust ballst, weil du mir auf meine Worte über deine Schwester
nicht so antworten willst, wie du möchtest."
„Ich trenne mich nicht von meiner Schwester."
„Sehr töricht, denn eines Tages wird sie sich von dir trennen.
Ihr seid im Gleiten, meine liebe Maria. Es gehört eine feste Hand
und ein fester Tritt dazu, Balance zu halten und wieder festen Fuß
zu fassen. Elena wird sie nie haben."
„Ich werde sie halten."
„Du traust dir viel zu. — Lassen wir das. Was habt ihr noch
an irdischem Besitz? Wir wollen in dieser letzten halben Stunde
doch offen reden. Aufdringlichkeit liegt mir fern, aber wenn euch
geholfen werden soll, muß ich klar sehen." Und als Maria ihr
reinen Wein eingeschenkt: „Ha, damit werdet ihr bald am Ende
sein, trotz eurer Bratklopspension. Ich werde dir schreiben, und
du wirst mir offen antworten. Zunächst bleibt nur hier draußen,
und wenn der Herbst kommt, gehst du nach München und versuchst,
ob du da etwas mit deinem Zeichnen erreichst. Aber einschränken
müßt ihr euch. Es sind zu viele, die mich beanspruchen."
„Wir beanspruchen nichts."
„Willst du dir durch das Leben helfen, mein Kind, dann ge-
wöhne dir vor allem die Empfindlichkeit ab. Prinzessinnen aus der
Erbse finden heute keinen Königssohn mehr. — Vielleicht" — sie
blieb stehen und bohrte mit dem Sonnenschirm im Sande —
„für Elena wäre eine Stelle als Repräsentantin in einem reichen
Hause — so als Hausdame, um es plebejisch auszudrücken —
Hm — Das ließe sich machen." Eine Pause. Ein kurzer Ruck.
„Nein, es geht doch nicht. Sie ist zu schön und zu leichtsinnig.
Wenn sie wenigstens Witwe wäre, oder geschieden. Aber so —
Immer den Sergei im Hintergrund, von dem man nie weiß, was
er anstellen wird —"
„Was hat er denn so Schlimmes angestellt, daß Sie so von ihm
sprechen, Hoheit?"
„Du kannst Tante sagen. Ich nenne dich ja auch nach alter
Weise noch du. — Was er angestellt hat? Davon weißt du nichts?
— Desto besser, ich werde deine Unschuld nicht trüben. Er ist
jedenfalls unmöglich in der alten aristokratischen Gesellschaft, auch
wenn man die Möglichkeiten sehr weit nimmt. — Da ist schon das
Schiff. Auf Wiedersehen, Maria. Wenn es nicht wäre, daß du so
an der Schwester hängst, ich würde dich ganz zu mir nehmen.
Überlegt es dir."
„Da ist nichts zu überlegen."
„Dann hilft es nichts. Aber um dich ist es schade. Es würden
sich für dich in unserem Hause immer Aussichten ergeben haben."
Ein letzter Händedruck, ein Handkuß Marias, der der Hoheit doch
sehr angenehm war — es hielten viele solche kleine Huldigung nicht
mehr für nötig —, dann
ging die Schiffsglocke zum
letztenmal, und Maria
wandte sich wieder der
Pension zu.
Elena lachte noch drei
Tage über die hilfreiche
Hoheit, deren Hilfe das
Portemonnaie des Herrn
Gemahls nicht zu sehr in
Anspruch nehmen dürfte.
„Du sollst sehen, Maria,
sie schickt uns tausend
Mark im Monat und
meint wunder was sie ge-
tanhat. Was sind tausend
Mark für Ihre Hoheit!"
Maria b ezw eifelte stark,
daß es tausend werden
würden. (Fortsetzung folgt)
Das gibt alle Neune!
Nach einem
Scherenschnitt von Stefan RostLs