He st 5
Das Buch für Alle
Der Schmelzofen / Erzählung von Georg Strähler
ohn Stipping hatte mit dem Leben abgeschlossen. Von Ellen ver-
schmäht zu sein, von der liebreizenden, vermögenden Ellen Pipps,
noch dazu verschmäht zugunsten des albernen, näselnden, meckernden Edgar
Knipps, dessen Beine so dünn waren, daß John sich nicht getraut hätte,
zwei Dutzend Oblaten auf diesen Beinen zu holen — das schlug dem Fatz
den Boden aus.
Also sich das Leben nehmen; aber wie?
Schon seit fünf Tagen war er mit dem Gedanken beschäftigt, auf welche
Weise er am schmerzlosesten, unauffälligsten, dabei anständigsten und sicher-
sten die unerträgliche Last des Lebens abwerfen könnte, als ihm in der
Morgenzeitung wie zufällig in unscheinbaren Lettern folgende merkwürdige
Anzeige in die Hände fiel:
Auskunft für Lebensmüde
diskret, sicher, zuverlässig
bei William Smith, Wallstreet 45
Hof rechts. Sprechst. 10—2 Uhr
Was war das? Auskunft für Lebensmüde? Eine Gelegenheit also, wo
man sich mit sachkundiger Hilfe, vielleicht in trautem Bunde mit gleich-
gestimmten Seelen der schweren Daseinsfesseln entledigen konnte — das
war wie ein Lichtblick, das war der Weg, den ihm eine höhere Fügung
vorzeichnete.
Er begab sich also, nicht ohne sich für alle Fälle vorsorglich einige Fünf-
pfundnoten beigesteckt zu ha¬
ben, nach dem angegebenen
Orte.
Das Haus Wallstreet 45
machte einen freundlichen,
anheimelnden Eindruck, auch
der Hof war mit peinlicher
Sauberkeit in Ordnung ge¬
halten, und eine blendend-
weitz eingerahmte Glastür
zeigte auf einem Porzellan¬
schildchen den Namen: Wil¬
liam Smith.
John klopfte, eine sanfte,
vertrauen erweckendeStimme
antwortete ihm, bald darauf
öffnete sich die Tür, und er
befand sich einem ehrwürdi¬
gen, weißhaarigen Herrn
gegenüber, dessen Blicke teil¬
nehmend und forschend auf
ihn gerichtet waren.
„Ihr Inserat in der Mor-
ning Post" — „Ah, bitte
näher zu treten" —mitdiesen
flüsternd gesprochenen Wor¬
ten wandte sich der alte Herr
um und ging ihm, leise auf¬
tretend, als ob es sich darum
handle, einen Kranken zu
schonen, in ein hinteres Zim¬
mer voran, wo er ihn auf
einem behaglichen Lederses¬
sel zum Sitzen nötigte.
„Sie kommen wegen mei¬
nes Inserats," hob nach förm¬
lich er Vorstellung dieselbe
weiche, wohlklingende Stim¬
me wieder an, „und ich bin
bereit, Ihnen für Ihre —
Absicht? — meine wirksamste
und dabei zarteste Unter¬
stützung anzubieten."
„Worin könnte diese Un¬
terstützung bestehen?"
„ D arüb er w erd en Sie b ald
volle und —> erlösende Klar¬
heithaben. Vorerst ab errichte
ich an Sie eine Frage; nicht
die Frage, welcher Kummer Sie zu Ihrem Entschlüsse getrieben hat; Ihr
schwermütiger Eesichtsausdruck sagte mir im ersten Augenblick, datz —
drückender Liebeskummer Ihnen das Dasein zur Last macht — gewiß eine
jener Unbegreiflichkeiten, die uns das dunkle Rätsel der Frauenseele immer
wieder auferlegt."
„Allerdings" — mehr vermochte John im Augenblick nicht zu sagen.
„Nein, etwas anderes wollte ich Sie fragen. Welche Todesart hatten
Sie sich als die geeignetste und Ihnen genehmste ausgedacht?"
„Welche Todesart? Zunächst dachte ich ans Erschießen."
„Das Erschießen? Sie wissen nicht, daß gerade dieser Todesweg häufig
fehlschlägt, daß schreckliche Verstümmelungen, Lähmung, Siechtum —
Aber lassen Sie mich das Entsetzliche nicht noch weiter ausmalen!"
„Dann — käme vielleicht das Ertränken in Betracht."
„Das Ertränken? Nun bitte ich Sie vollends. Haben Sie schon einmal
eine Wasserleiche gesehen?" Hier schüttelte sich der alte Herr vor Abscheu.
„Und, sehen Sie, ähnliche Gründe sprechen gegen ein Dutzend anderer
Todesarten, vor denen ich Sie bewahren will."
„Sie würden mir die Aussicht auf eine befriedigendere, raschere Lösung
eröffnen können?"
„Ganz gewiß," sagte Mr. Smith. „Zu den Gründen gegen die üblichen
Arten der Selbstentleibung füge ich hinzu, daß das peinliche Aufsehen, die
Schädigung des Rufes der Familie ohne Zweifel Dinge sind, die auch für
Sie in hohem Maße bestimmend sein dürften. Hm?"
„Sehr wohl. Und Sie sind
imstande, Sie wollen mir
einenAusw eg bieten, der alle
diese Schwierigkeiten um-
geht?"
„Das will ich! So wahr
ich lebe!" rief jetzt der men-
schenfreundliche Herr begei-
stert aus und legte diskret
seine Hand auf die Stelle,
wo John ein Herz voll Treue
und Güte vermuten mußte;
„und ich bin bereit, Ihnen
meine Vorschläge unter der
Bedingung mitzuteilen" —
hier sank die Stimme zu
einem schelmischen Flüstern
herab — „daß Sie bereit sind,
einige geschäftliche Formali-
täten —"
„Wie beliebt?" rief John
und griff in raschem Ver-
ständnis der Lage nach seiner
Brieftasche. „Würden diese
fünf Pfund als Anzahlung
genügen?"
„Als Anzahlung durchaus.
Ich würde natürlich gern
meinem Nächsten aus reiner
Menschenliebe ohne jeglichen
Entgeltmeine Dienste leihen;
aber die Unkosten, die ich
habe; das Risiko, das ich ein-
gehe; die auszuzahlenden
Schweigegelder —"
„Ich verstehe. Würden Sie
mich dann freundlichst endlich
aufklären?" sagte John, der
vor Ungeduld auf seinem
Sessel zitterte.
„ S ehr w ohl. D er W eg, d en
ich Ihnen eröffne, um ein
fast schmerzloses, unauffäl-
liges, plötzliches Verschwin-
den zu ermöglichen, ohne
lästiges Aufsehen, ohne eine
Spur, wohin der Lebens-
müde verschwunden ist, ist
folgend er.Z ehn Meilen nörd-
Jm Glutofen eines Stahlwerkes
5. 1927
Das Buch für Alle
Der Schmelzofen / Erzählung von Georg Strähler
ohn Stipping hatte mit dem Leben abgeschlossen. Von Ellen ver-
schmäht zu sein, von der liebreizenden, vermögenden Ellen Pipps,
noch dazu verschmäht zugunsten des albernen, näselnden, meckernden Edgar
Knipps, dessen Beine so dünn waren, daß John sich nicht getraut hätte,
zwei Dutzend Oblaten auf diesen Beinen zu holen — das schlug dem Fatz
den Boden aus.
Also sich das Leben nehmen; aber wie?
Schon seit fünf Tagen war er mit dem Gedanken beschäftigt, auf welche
Weise er am schmerzlosesten, unauffälligsten, dabei anständigsten und sicher-
sten die unerträgliche Last des Lebens abwerfen könnte, als ihm in der
Morgenzeitung wie zufällig in unscheinbaren Lettern folgende merkwürdige
Anzeige in die Hände fiel:
Auskunft für Lebensmüde
diskret, sicher, zuverlässig
bei William Smith, Wallstreet 45
Hof rechts. Sprechst. 10—2 Uhr
Was war das? Auskunft für Lebensmüde? Eine Gelegenheit also, wo
man sich mit sachkundiger Hilfe, vielleicht in trautem Bunde mit gleich-
gestimmten Seelen der schweren Daseinsfesseln entledigen konnte — das
war wie ein Lichtblick, das war der Weg, den ihm eine höhere Fügung
vorzeichnete.
Er begab sich also, nicht ohne sich für alle Fälle vorsorglich einige Fünf-
pfundnoten beigesteckt zu ha¬
ben, nach dem angegebenen
Orte.
Das Haus Wallstreet 45
machte einen freundlichen,
anheimelnden Eindruck, auch
der Hof war mit peinlicher
Sauberkeit in Ordnung ge¬
halten, und eine blendend-
weitz eingerahmte Glastür
zeigte auf einem Porzellan¬
schildchen den Namen: Wil¬
liam Smith.
John klopfte, eine sanfte,
vertrauen erweckendeStimme
antwortete ihm, bald darauf
öffnete sich die Tür, und er
befand sich einem ehrwürdi¬
gen, weißhaarigen Herrn
gegenüber, dessen Blicke teil¬
nehmend und forschend auf
ihn gerichtet waren.
„Ihr Inserat in der Mor-
ning Post" — „Ah, bitte
näher zu treten" —mitdiesen
flüsternd gesprochenen Wor¬
ten wandte sich der alte Herr
um und ging ihm, leise auf¬
tretend, als ob es sich darum
handle, einen Kranken zu
schonen, in ein hinteres Zim¬
mer voran, wo er ihn auf
einem behaglichen Lederses¬
sel zum Sitzen nötigte.
„Sie kommen wegen mei¬
nes Inserats," hob nach förm¬
lich er Vorstellung dieselbe
weiche, wohlklingende Stim¬
me wieder an, „und ich bin
bereit, Ihnen für Ihre —
Absicht? — meine wirksamste
und dabei zarteste Unter¬
stützung anzubieten."
„Worin könnte diese Un¬
terstützung bestehen?"
„ D arüb er w erd en Sie b ald
volle und —> erlösende Klar¬
heithaben. Vorerst ab errichte
ich an Sie eine Frage; nicht
die Frage, welcher Kummer Sie zu Ihrem Entschlüsse getrieben hat; Ihr
schwermütiger Eesichtsausdruck sagte mir im ersten Augenblick, datz —
drückender Liebeskummer Ihnen das Dasein zur Last macht — gewiß eine
jener Unbegreiflichkeiten, die uns das dunkle Rätsel der Frauenseele immer
wieder auferlegt."
„Allerdings" — mehr vermochte John im Augenblick nicht zu sagen.
„Nein, etwas anderes wollte ich Sie fragen. Welche Todesart hatten
Sie sich als die geeignetste und Ihnen genehmste ausgedacht?"
„Welche Todesart? Zunächst dachte ich ans Erschießen."
„Das Erschießen? Sie wissen nicht, daß gerade dieser Todesweg häufig
fehlschlägt, daß schreckliche Verstümmelungen, Lähmung, Siechtum —
Aber lassen Sie mich das Entsetzliche nicht noch weiter ausmalen!"
„Dann — käme vielleicht das Ertränken in Betracht."
„Das Ertränken? Nun bitte ich Sie vollends. Haben Sie schon einmal
eine Wasserleiche gesehen?" Hier schüttelte sich der alte Herr vor Abscheu.
„Und, sehen Sie, ähnliche Gründe sprechen gegen ein Dutzend anderer
Todesarten, vor denen ich Sie bewahren will."
„Sie würden mir die Aussicht auf eine befriedigendere, raschere Lösung
eröffnen können?"
„Ganz gewiß," sagte Mr. Smith. „Zu den Gründen gegen die üblichen
Arten der Selbstentleibung füge ich hinzu, daß das peinliche Aufsehen, die
Schädigung des Rufes der Familie ohne Zweifel Dinge sind, die auch für
Sie in hohem Maße bestimmend sein dürften. Hm?"
„Sehr wohl. Und Sie sind
imstande, Sie wollen mir
einenAusw eg bieten, der alle
diese Schwierigkeiten um-
geht?"
„Das will ich! So wahr
ich lebe!" rief jetzt der men-
schenfreundliche Herr begei-
stert aus und legte diskret
seine Hand auf die Stelle,
wo John ein Herz voll Treue
und Güte vermuten mußte;
„und ich bin bereit, Ihnen
meine Vorschläge unter der
Bedingung mitzuteilen" —
hier sank die Stimme zu
einem schelmischen Flüstern
herab — „daß Sie bereit sind,
einige geschäftliche Formali-
täten —"
„Wie beliebt?" rief John
und griff in raschem Ver-
ständnis der Lage nach seiner
Brieftasche. „Würden diese
fünf Pfund als Anzahlung
genügen?"
„Als Anzahlung durchaus.
Ich würde natürlich gern
meinem Nächsten aus reiner
Menschenliebe ohne jeglichen
Entgeltmeine Dienste leihen;
aber die Unkosten, die ich
habe; das Risiko, das ich ein-
gehe; die auszuzahlenden
Schweigegelder —"
„Ich verstehe. Würden Sie
mich dann freundlichst endlich
aufklären?" sagte John, der
vor Ungeduld auf seinem
Sessel zitterte.
„ S ehr w ohl. D er W eg, d en
ich Ihnen eröffne, um ein
fast schmerzloses, unauffäl-
liges, plötzliches Verschwin-
den zu ermöglichen, ohne
lästiges Aufsehen, ohne eine
Spur, wohin der Lebens-
müde verschwunden ist, ist
folgend er.Z ehn Meilen nörd-
Jm Glutofen eines Stahlwerkes
5. 1927