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Heft 5

Böthencourt, König der Kanarischen Inseln


Ungekrönte Könige / Von Friedrich Wencker

("Dxie Krone, das Symbol königlicher Herrschergewalt, hat zu allen Zeiten
einen geheimnisvollen Zauber und eine magische Anziehungskraft
auf die Phantasie der Menschen ausgeübt, und die Annalen der Welt-
geschichte sind reich an kühnen Abenteurern und geisteskranken Monomanen,
die sich entweder durch Waffengewalt und persönlichen Mut einen Thron
eroberten oder von einem Königtum im Luftreich des Traums phantasierten.
Bestanden ihre Reiche oft auch nur auf dem Papier oder in der Einbildung
eines verwirrten Gehirns und hat diese Eintagsherrlichkeit nur in den
seltensten Fällen ihre Begründer überlebt, so waren diese Könige von
eigenen Gnaden doch meist absonderliche Abenteurergestalten, die in den
Zwischenpausen der ernsten Haupt- und Staatsaktionen die Zuschauer
des großen Welttheaters belustigten.
Das unstete Seefahrer- und Erobererblut der Normannen und Wikinger
kreiste in den Adern des französischen Barons Jean de Böthencourt, der
zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts sich zum König der Kanarischen
Inseln ausrufen ließ. Er suchte die wilden Eingeborenen zum Christentum
zu bekehren und zu seßhaften Bauern zu erziehen; er baute Kirchen, Häfen
und Befestigungen und gab sich alle Mühe, französische Auswanderer in
seinem neuen Reiche anzusiedeln. Gleichwohl dauerte Vöthencourts
Königstraum nur drei Jahre; von 1402 bis 1405 weilte er auf den Kanaren,
dann verließ er sein Land und übergab die Herrschaft seinem Neffen Mariot
de Bethencourt, der sich bis 1447 behaupten konnte. Dann verkaufte er
seine Besitzungen und Ansprüche auf den wankenden Thron der Kanaren
an Portugal.
Dreihundert Jahre später versuchten zwei Abenteurer ihr Glück als
Könige von Korsika und Madagaskar. Theodor Freiherr von Neuhof,
1686 in Metz als Sohn eines westfälischen Edelmanns geboren, war ein
unsteter Glücksritter. Nach jahrelanger Irrfahrt durch ganz Europa wurde
er kaiserlicher Resident in Florenz. In dieser Stellung hatte er Gelegen-
heit, mit den Führern der aufständischen Korsen in Verbindung zu treten,
die sich damals gegen die Oberherrschaft Genuas erhoben hatten. Am
12. März 1736 landete Neuhof mit einer kleinen Schar verwegener Aben-
teurer im Hafen von Aleria. Die korsischen Aufständischen empfingen den
Abenteurer, der sich Theodorus vonBaf nannte und sich die phantastischen
Würden eines Grande von Spanien, Mylords von England, Herzogs von
Ste. Marie, Barons des Heiligen Römischen Reiches, Herzogs von Marte,
Fürsten des Nordens, Prinzen des Römischen Thrones und Ritters vom Gol-
denen Vlies zugelegt hatte, mit großer Ehrfurcht und begrüßten ihn als
Vizekönig. Am 14. April 1736 rief der korsische Adel den westfälischen Baron
zum König aus. Aber die Herrlichkeit der neugebackenen korsischen Majestät
dauerte nicht lang. Die Genuesen wandten sich an Frankreich um Hilfe,
französische Truppen landeten auf Korsika, und schon im November desselben
Jahres mußte König Theodor nach siebenmonatiger Regierung sein Reich
verlassen und sich aufs Festland begeben. Noch zweimal versuchte Neuhof
sich seines Thrones zu bemächtigen. Aber beide Male konnte er sich nicht
behaupten. Er flüchtete nach England, wo er auf Betreiben seiner Gläubiger
in Schuldhaft geriet. Der heroische Anfang seines Königstraumes nahm ein
tragikomisches Ende. Volle sieben Jahre saß der arme Exkönig von Korsika

im Schuldgefängnis, bis der Minister Walpole die Forderung der Gläubiger
bezahlte. Freilich sollte sich Neuhof der endlich wiedergewonnenen Freiheit
nicht lange erfreuen: noch im gleichen Jahre 1756 ist der König von Korsika
als halberblindeter Greis in Armut und Vergessenheit gestorben.
Nicht minder abenteuerlich war das Leben des Grafen Moritz August
von Benjowsky, des Königs von Madagaskar. Er wurde im Jahre 1741 in
Verbova in Ungarn geboren, nahm frühzeitig Militärdienste und beteiligte
sich an den Kämpfen der polnischen Konföderierten gegen Rußland. Er
geriet in russische Gefangenschaft und wurde wegen einer Verschwörung
gegen die Regierung im Jahre 1769 zu lebenslänglicher Verbannung nach
Kamtschatka verurteilt. In der Festung Volcherjezk wird er interniert.
Aber bald hat er fünfzig Leidensgefährten gewonnen, mit deren Hilfe er
sich der Festung und des Gouverneurs Nilow bemächtigt. Im Hafen lag
ein Segelschiff, die Verschwörer besteigen es und plündern zunächst als
echte Seeräuber die Küsten von Kamtschatka. Dann segeln sie nach den
Kurilen, beladen ihr Fahrzeug mit wertvollen Handelswaren, die sie vor-
teilhaft in Japan verkaufen. Von dort aus fahren sie über Formosa nach
Macao, wo Benjowsky am 22. September 1722 landet. Ein Jahr später
erscheint Benjowsky in Paris, wo der stattliche Mann in der phantastischen
polnischen Oberstenuniform bald der Held des Tages und der gefeierte Gast
der Salons ist. Er schlägt der Regierung die Gründung einer französischen
Kolonie in Formosa oder Madagaskar vor; der Marineminister interessiert
sich für die Pläne des Abenteurers und rüstet eine Expedition aus, und
Benjowsky begibt sich nach Madagaskar. Die eingeborenen Häuptlinge
werden von ihm reich beschenkt und vor allem mit Branntwein bewirtet;
schließlich erklären sie ihn begeistert zum König der ganzen Insel und zum
Erben des letzten eingeborenen Königs Ramini. Ohne Zweifel hatte
Benjowsky die Absicht, das reiche Land zu kolonisieren, das ihm gewisser-
maßen in den Schoß gefallen war. Er wollte sein Reich unter den Schutz
einer europäischen Großmacht stellen und Handelsverträge mit auswärtigen
Staaten abschließen. Aber weder in Paris noch in Wien und London, wohin
er sich wandte, fand er Gehör. Im Jahre 1786 erscheint er wieder auf der
Insel, befestigt die Stadt Antongil und sucht den französischen Einfluß zu
verdrängen. Dies führte zu einem Konflikt zwischen Benjowsky und den
französischen Kaufleuten, die an der Küste von Madagaskar große Fakto-
reien besaßen. Eine Abteilung Soldaten wird ans Land gesetzt, um die
Rechte der Franzosen zu schützen. Benjowsky greift mit seinen eingeborenen
Truppen die Franzosen an. Im Handgemenge zerschmettert eine Flinten-
kugel dem Abenteurer das Haupt — so starb unerschrocken, wie er gelebt, als
echter Kondottiere der König von Madagaskar.
Auch eine exzentrische Frau fehlt nicht in dieser Reihe der ungekrönten
Könige. Romantischer Mystizismus bewog die schöne und geistvolle Lady
Esther Stanhope, die Nichte des großen englischen Staatsmannes Pitt,
ihrer nüchternen nordischen Heimat den Rücken zu kehren und sich in Syrien
niederzulassen. In der Nähe der Ruinen der alten Königsstadt Palmyra
erbaute sie sich einen märchenhaften Palast. Die eingeborenen Beduinen-
stämme huldigten ihr und nannten sie Königin von Tadmor (Palmyra).
Fünfundzwanzig Jahre dauerte die Königsherrlichkeit der neuen Zenobia.
 
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