Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heft Z

Das B u ch

Aber mit ihrem Reichtum schwand auch ihr Ansehen; verarmt, von ihren
Anhängern verlassen starb die Königin von Tadmor im Jahre 1839 als
alte kranke Frau in den halbverfallenen Ruinen ihres Palastes in Dschihun.
Ganz nach dem Muster Napoleons gebärdete sich ein amerikanischer
Abenteurer, der sich stolz Norton I., Kaiser der Vereinigten Staaten und
Protektor von Mexiko nannte. Der schlaue Yankee hatte San Franzisko,
die Goldgräberstadt, zu seiner Residenz erwählt, und von hier aus beherrschte
er durch seine pompösen Proklamationen fast fünfundzwanzig Jahre lang
die öffentliche Meinung der Vereinigten Staaten. Jedermann in San Fran-
zisko kannte den „Emperor", der sich gewöhnlich in der phantastischen Uni-
form eines mexikanischen Generals mit mächtigem Federhut sehen ließ.
Er war beliebt und geachtet und erfreute sich des Vorrechtes, daß er alle
Eisenbahn- und Schiffahrtslinien kostenlos benützen und in allen Hotels
auf Rechnung des Wirtes speisen konnte. Damit war der Ehrgeiz des
amerikanischen Napoleon befriedigt. Als er im Januar 1880 starb, folgten
mehr als zehntausend Menschen dem Leichenbegängnis dieses gewiß glück-
lichsten aller Monarchen.
Der aus ältestem französischem Adel stammende Graf Raousset-Boulbon
trug sich mit dem Gedanken, die mexikanische Provinz Sonora zu erobern
und sich dort mit Hilfe der Indianer ein selbständiges Reich zu errichten;
er starb 1853 unter den Kugeln der Mexikaner, die den Grafen als Hoch-
verräter zum Tode verurteilten. Sein Landsmann Baron Charles de
Thierry nannte sich König von Neuseeland und Nukahiva, bis es den Eng-
ländern einfiel, daß sie den eingeborenen Häuptlingen ihre Selbständigkeit
verbürgt hätten und daß sie daher verpflichtet wären, den Eindringling zu
vertreiben und Neuseeland selbst zu beschlagnahmen.
Der Fanatiker einer fixen Königsidee war der Franzose Antoine Orslie
Tounens, der Sohn eines ehrsamen Metzgermeisters aus der Dordogne,
der sich zum König von Araukanien und Patagonien berufen fühlte. Er war
von Hause Advokat, bis es ihm plötzlich einfiel, seine Akten und Pandekten
mit der Flitterkrone eines fernen Indian erreich es zu vertauschen. Am
17. November 1861 ließ er sich von den araukanischen Häuptlingen zum
König ausrufen. Orelie I., wie er sich stolz nannte, wollte das unwirtliche
Land an der Südspitze Amerikas zu einem mächtigen blühenden Reich
machen. Aber zweimal wurde er von den Chilenen geschlagen und aus dem

Marie I., König der Sedangs


für Ulle HZ

Lady Escher Stanhope, Königin von Palmyra


Lande verjagt. In Paris trat er selbstbewußt als König von Araukanien
auf, verkaufte Schatzscheine und Orden, womit er kümmerlich seinen Unter-
halt bestritt, bis er endlich die Mittel zusammenbrachte, um einen dritten
Versuch zur Wiedergewinnung seines Thrones zu unternehmen. Als auch
dieser Staatsstreich mißlang, schrieb Orslie l. eine öffentliche Anleihe zur
Ausbeutung der Schätze seines Königreiches aus, was ihn jedoch in unlieb-
same Berührung mit den Gerichten brachte. Die phantastische Indianer-
majestät beschloß ihr verfehltes Leben im Jahre 1878 in einem Land-
städtchen der Grafschaft Perigord.
Von ebenso kurzer Dauer war die Königsherrlichkeit des ehemaligen
Fremdenlegionärs Mayrena, der sich als Herrscher über den Stamm der
Sedangs im fernen Annam König Marie I. nannte. Als der famose
„König" sich in Europa befand, wo er Geldleute zur Auffrischung seiner
wenig königlichen Finanzen suchte, erschienen französische Beamte in
seinem Reich, sammelten die von Mayrena verteilten Fahnen und Hoheits-
zeichen von den Eingeborenen ein und gaben ihnen dafür französische
Trikoloren — ohne einen Schuß wurde so das Königreich der Sedangs
von Frankreich gewonnen. Inzwischen hatte Mayrena in Holland einen
Geldgeber gefunden, der ihm gegen das Pfand seiner kostbaren Königs-
krone zweihunderttausend Franken zur Verfügung stellte. Mit dieser
Summe begab sich König Marie nach Indien, um sein Königreich zurück-
zuerobern oder sich doch ein neues zu gründen. Aber er kam nur bis Singa-
pur; dort verjubelte die feuchtfröhliche Majestät das mitgebrachte Geld'
und starb bald darauf am Biß einer Giftschlange. Als der Gläubiger in
Holland nach dem Tode Mayrenas die sorgsam verschlossene Kiste mit der
juwelengeschmückten Königskrone der Sedangs öffnen ließ, fand er darin zu
seiner Enttäuschung nur einen Haufen Hobelspäne und Papierschnitzel.
Groß ist die Zahl der Könige und Fürsten, die sich irgend eine mehr oder
minder „herrenlose" Insel als Sih ihrer operettenhaften Herrscherrolle
auswählten. Da haben wir, um gleich in Europa anzufangen, den biederen
Seebären Philipp Pinel, der sich in der Rolle eines Königs der Kanalinsel
Ecrshou gefiel und hauptsächlich von den Trinkgeldern lebte, die englische
und französische Touristen dem wetterharten Einsiedler spendeten. —
James Harden-Hickey war im Jahre 1854 in San Franzisko als Sohn

b. 1327
 
Annotationen