Heft Z
Taormina / Blick von den Ruinen des griechischen Theaters auf das Meer und den Strand Siziliens
HeLMLt/ Eine Geschichte von Hugo SalUS
Der deutschböhmische Dichter Hugo Salus feierte im Spätsommer 1926 seinen sechzigsten Geburtstag. Er ist von Beruf Frauenarzt und wohl auch
häufig zu Rate gezogener Seelenarzt. Ist es doch das Seelische, das seine Lyrik auszeichnet, der Reichtum eines Herzens von überwallender Inner-
lichkeit. Er hat einmal von sich gesagt, er sei eigentlich gar kein literarischer Mensch, vornehmlich „kein Sonderheitenhascher, sondern ein ein-
facher, schlichter Künder von Allgemeinempfindungen und Allgemeingedanken". „Mein ärztlicher Beruf bestärkt mich," so schreibt er, „täglich von
neuem in meiner schlichten Philosophie, daß die Vertiefung des Mitleids und Güte das Ziel sind, das des Menschen Leben erst lebenswert macht."
Von dieser Philosophie erfüllt ist jedes seiner warmherzigen und stlberreinen Gedichte, und seine Novellen könnten sämtlich den Titel seiner ersten
ie beiden jungen Menschen, Lora Bucci aus Taormina in Sizilien und
Klas Hinrichsen aus der Lüneburger Heide, waren vor einem Jahre
nach ihrer Ankunft in Amerika fast zu gleich er Zeit von dem stellenvermitteln-
den Agenten vom Schiffe weg in die Farm in Teras verdingt worden. Sie
arbeiteten hier mit anderen Mädchen und Burschen angestrengt und immer
wieder von den Aufsehern angespornt in den weiten Wiesen und Feldern, so
daß ihnen nicht viel Zeit blieb, ihren Träumen nachzuhängen, die sich ihr
Leben und ihren Gelderwerb in Amerika ganz anders ausgemalt hatten,
als sie nun die rauhe Wirklichkeit ihnen bot. Lora Bucci war ein schlankes
und auffallend schönes Mädchen mit dunklen, versonnenen Augen in dem
schmalen Kindergesicht, das schwarzes Haar umrahmte, und Klas Hinrichsen
ein großer, kräftiger Bursche, der drüben ein strammer Soldat gewesen
war und dessen runder, strohgelber Schädel sich mit fast hörbarem Ruck
noch stolzer aufrichtete, wenn ihn die Italienerin mit schmeichelnden Blicken
anschaute, schmeichelnd wohl deshalb, weil sie zu gleicher Zeit auf die Farm
gekommen waren und weil sie einander nicht in ihren Muttersprachen,
sondern nur in recht holprigem Englisch sagen konnten, wie gut sie ein-
ander gefielen.
Als sie ein paar Monate gearbeitet und sich in die neue Umgebung ein-
gefügt hatten, wußten sie es so einzurichten, daß sie sich während der
Rackerstunden manchmal ein paar Worte zuflüstern konnten und während
der Wintermonate einander näherkamen. Sie hatten manchen Sonntag von
früh bis abends zusammen verlebt, und die anderen Burschen und Mädchen
wußten ganz genau, daß der deutsche Bursche und die schöne Sizilianerin
ein Liebespaar waren.
Lora Bucci brauchte die Wärme, die Klasens Liebe ihr brachte, doppelt,
denn der Winter, der Frost und die Stürme ließen fast das Blut in ihren
Adern gerinnen, sie fürchtete immer wieder, die Kälte nicht zu überstehen,
und war Klas auch dafür von Herzen dankbar, daß er sie bei ihren Zusam-
menkünften hinter der Farm mit unter seinen Mantel nahm und die starken
Arme um sie schlang, um sie recht eng an sich zu pressen.
„Ich gehe nicht weg von dir," sagte sie mit Tränen in den Augen, „laß
mich bei dir, sonst muß ich erfrieren!"
»Ich laß dich nicht weg, du liebes, liebes Mädchen," sagte er und zog sie
fester an sich, „ich bin ja so glücklich, daß wir uns gefunden haben."
Dann kam der Frühling, und ihm folgte der ebenso arbeitsreiche Sommer,
so daß sie nur an Sonntagen Zeit fanden, einander ihre Sehnsucht zu
melden und sich darüber auszulassen, wieviel jedes schon erspart hatte und
wie viele Jahre sie noch arbeiten müßten, um dann vielleicht ein kleines
Haus und ein paar Felder zu erwerben und ihr eigenes Heim zu gründen.
„Du willst doch nicht hier unser Haus erbauen?" meinte sie. „Darüber
habe ich schon oft und oft nachgedacht, wo wir einmal leben wollen, wenn
wir soweit sein werden. Hier ist doch keine Heimat für uns!"
„Warum denn nicht?" antwortete er. „Überall auf der Erde ist eine
Heimat, wo arbeitsfrohe Menschen ihr Tagewerk verrichten; wenn wir
Glück haben und fleißig sind, können wir dann unser Haus erweitern und
neue Felder ankaufen, immer mehr Felder, bis wir auch soviel haben wie
unser Herr, der auch als Knecht begonnen hat. Aber dazu braucht es noch
viel Zeit, ehe wir daran denken können!
Am nächsten Sonntag goß es scheffelweise vom Himmel nieder. So
setzten sie sich in eine leere Scheune im Gutshofe und Zogen die Türe fest
zu, daß niemand sie störe. Sie hatte die ganze Woche immer wieder an seine
Worte denken müssen, daß sie ihr Leben lang hierbleiben sollten in dem
fremden Lande, unter fremden Menschen und in der fremden Sprache rings-
um, und in dieser traurigen Stimmung sagte sie mitten in ihr Gespräch
über ihre Arbeit in der kommenden Woche: „Sag', Klas, wie ist denn deine
Heimat drüben in Deutschland, aus der du hergekommen bist?"
Klas war nie ein Freund vieler Worte, er wußte eigentlich nicht, was
er Lora auf ihre seltsame Frage antworten solle, er suchte in seinem
Schädel hin und her wie in einem Lesebuch aus der Schule, ob er die richtige
Seite finden würde, darauf die Lüneburger Heide geschildert war, er war
fast ängstlich, ob er für die stille Schweigsamkeit des Häuschens in der weit-