Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Das Buch für Alle


Heft Z

Deutsche Heide / Nach einer künstlerischen Aufnahme von Anna Schlemm, Berlin


hin sich dehnenden Ebene mit ihren Bäumen und Sträuchern die richtigen
Worte zusammenfinden könne; er hatte noch nie daran gedacht, daß er
einmal seine geliebte Heide werde schildern müssen. Die Heide ist eben die
Heide, hätte er darauf geantwortet, wenn ihm eine solche Frage aufge-
taucht wäre, da ist doch weiter nichts zu sagen! Nun aber, da die Augen
Loras so neugierig auf seinem Munde ruhten, da gab er sich einen Ruck:
„Die Heide ist wunderschön!" meinte er. „Weit, weithin nur ebenes,
flaches Land mit einzelnen Eichen oder Kiefern darauf, Birken, Pappeln
und Weiden, und im Frühling ein ungeheurer bunter Teppich mit einzig-
schönen Wiesen, mit Dörfern dazwischen und alles im Sonnenschein, der
auf die weidenden Herden ebenso liebreich niederschaut wie auf die einzel-
stehenden Hütten mit ihren Ziehbrunnen. Du meine geliebte, inniggeliebte
deutsche Heide! Und in unserer Hütte der brave, strenge Vater, der uns
so liebhatte, wenn er es auch niemals zeigte; und die Mutter, oh, die liebste,
beste, gütigste, treueste Mutter, die es gibt, treu und gütig wie die Heide, die
zu der Heide gehört und aus ihr herausgewachsen und in sie hineinge-
wachsen ist."
Klas rang nach Atem, er hätte vielleicht noch weiter nach Worten gesucht,
da er von seiner Heimat und von der Heide sprechen mußte, jetzt aber, da er
von seiner Mutter sprach, flössen ihm die Worte ganz von selbst zu, doch
Lora war aufgesprungen, ihre Augen blitzten, ihr Mund war fast hart,
eine solche Eifersucht auf die Mutter Heide und Heidemutter erfüllte sie:
„Schweig!" rief sie. „Was erzählst du mir von deiner Mutter, wenn ich
dich bitte, mir deine Heimat zu schildern!"
Er starrte sie an, sie stand vor ihm, ließ ihn aber nicht zu Worte kommen.
„Ich will dir von meiner Heimat berichten!" sagte sie siegesbewußt.
„Aber du wirst mich ja gar nicht verstehen, wenn ich meine Heimat be-
schreibe, die schöner ist, als du dir im Traume denken kannst! .Also fiel?
dir vor: da ist das unendliche und doch ganz ruhige blaue Meer und
darüber der blaueste Himmel, oh, der Himmel, für den ich meine ganze
Seligkeit hergeben möchte, und in das Meer senkt sich der Fuß des hohen,
wundervollen Berges hinein, auf den in weißen Windungen die breite
Straße zu den Hellen Häusern meiner geliebten Heimat mit ihren Kirchen
und ihren Klöstern emporführt. Zu beiden Seiten der Straße liegen Fels-
blöcke, und dazwischen dehnen sich weithin Weingärten, in denen Zedern
und Palmen wachsen. Mer der Stadt aber ragen die Ruinen des alten
griechischen Theaters, kein Haus wie eure Theater, sondern ein weites,
herrliches, gegen den Himmel offenes Halbrund von übereinander empor-

wachsend en Sitzreihen, und
dahinter als Abschluß eine
Mauer mit Säulen und
Nischen, eine Ruine, die
so schön kein Baumeister
Herstellen könnte. Hinter
dem Felsen aber steigen
im Hintergrund die Berge
in den Himmel, und auf
einem der Berge, hoch,
hoch oben liegt das Dorf
Mola, weiß und niedlich
wie ein Spielzeug, wäh-
rend unten im Tale zu
beiden Seiten des Stra-
ßenbeginnes der Strand
zwei wunderschöne Buch-
ten bildet, auf die vom
Theater hinabzuschauen
das größte Glück für die
Augen bedeutet. Ich habe,
wie ich noch zu Hause war,
selbst nicht gewußt, wie
schön mein geliebtes Ta-
ormina ist, das habe ich
erst hier verstehen gelernt.
Im Hintergründe ragt
aber noch über all die
Berge und Felsen, die
gegen ihn nur wie Hügel
aussehen, der erhabene
Ätna empor, um dessen
HauptimmerweißeWölk-
chen schweben und aus
dessen Krater der Rauch
emporsteigt, und am
Abend ist ergänz rotvom
Feuer." Lora warf in glü¬
hender Sehnsucht die Arme empor: „Das ist meine Heimat!" rief sie jubelnd.
„DasisteineHeimat!" Siewarbegeistert inderErinnerungan Taormina, aber
sie war doch so sehr Weib, daß sie nicht unterdrücken konnte zu sagen: „Glaubst
du noch, du Narr, daß du eine Heimat hast? Du hast nie eine Heimat gehabt,
deine Heide ist gegen meine strahlende Heimat ein dumpfes Kellerloch gegen
einen Palast! Ich habe eine Heimat, die liebe ich mehr als alles in der Welt!"
Da sprang aber auch Klas auf: „Schweig!" sagte er empört. „Sprich keine
solchen Lästerungen! Ich habe meine Heimat, und ich liebe sie nicht weniger,
als du deine Heimat liebst, es gibt nichts Schöneres auf der Welt als die
Wunder der Heide. Meine geliebte, inniggeliebte Heide, ich liebe dich!"
Und auch er breitete die Arme weit, weit aus, als könnte er seine Heimat
ans Herz drücken: „Ich liebe dich. Wenn ich einmal so weit sein werde, daß
ich wieder zurückfahre über das Wasser, dann kehre ich in meine Heimat
zurück, und kein Mensch wird mich daran hindern!"
Da kochte alle Wut über den Starrkopf Klas in dem Becher der Seele
Loras über.
„Pfui Teufel, du bockbeiniger, neidischer Dickschädel!" schrie sie. „Fahr
doch, wohin du willst, ich fahre nach Taormina zurück, und dort werde ich
glücklich werden!" Sie riß die Türe auf, sie konnte nicht länger bei Klas
bleiben, der nicht einmal verstand, wie schön Taormina sein müsse, bei
diesem Klas, der die Ode seines Heidedorfes für eine Heimat hielt. ,Malo-
clskto Doäosoo!" schrie sie zurück und wollte noch ähnliche Zärtlichkeiten in
ihrer Muttersprache hervorsprudeln, wie der Ätna seine Lava empor-
schleudert. Da hatte aber draußen der Regen aufgehört, am Himmel stand
hell und gütig der Mond, er goß einen breiten Streifen seines weißen
Lichtes durch den Spalt der Türe, er legte ihn mild und wohlwollend um
die Schulter Klasens, der das Wunder gar nicht glauben wollte, daß diese
Welle klaren Scheines vom Monde komme, er schaute Lora an, die wohl
ebenso unter der Macht dieses flimmernden Mondlichtes stand wie er, denn
sie hatte sich umgekehrt und schaute ihn wie um Verzeihung bittend zärtlich
an. Da sagte Klas wie als Schluß einer Gedankenreihe: „Der Mond ist der
gleiche Mond, der über der Heide flimmert und über Taormina leuchtet.
Er wird einmal auch über unserer eigenen, neuen Heimat scheinen!"
Da warf sich Lora an Klasens Brust, sie sprachen kein Wort mehr über
ihre verlassene Heimat, ein heißer Kuß schloß ihnen die Lippen. Friede,
Friede des Glücks und der Liebe erfüllte sie, die sich eben noch feindlich
gegenübergestanden waren, und das machte der Mond über der Heide, der
Mond von Taormina, der Mond über den Prärien von Nordamerika.
 
Annotationen