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seh' und die riesigen Fleischstücke. Und nichts, was ein bißchen
appetitlich und anreizend hergerichtet ist. Daß die Münchner so
schlecht kochen."
„Die Münchner werden dir schon alles Appetitliche und An-
reizende vorsetzen, wenn du in die vornehmen Lokale gehst. Wir
müssen froh sein, daß wir für eine Mark satt werden können."
„Satt! Ich lege gar keinen Wert auf Sattigkeit. Aber schmecken
soll es mir. Und bring' doch — nein, du kannst es nicht tragen,
laß es herschicken — ein bißchen Sekt. Ich habe solch Verlangen
nach einem Prickeln. Und wenn es" — ein schwerer Seufzer —
„auch deutscher ist."
Maria antwortete nicht. Sie drückte die Lippen zusammen und
griff nach der Hutnadel. Sie ging nicht von der Schwester, nein,
sie nicht. Aber Elenas Leben ein bißchen hell und heiter zu ge-
stalten, das war in den gegenwärtigen Verhältnissen unmöglich.
Sie, Maria, wußte selber, wie bitter diese tausend Entbehrungen
waren. Hunger — ja, er ist schlimm. Und Kälte — ja, Kälte ist noch
schlimmer. Aber man kann es ertragen. Doch diese Umgebung in
den gemieteten Zimmern — diese Polsterstühle, die aussahen,
als sei aller Schmutz von Jahrzehnten in ihre Bezüge verrieben
worden, diese Lappen vor den Betten, die Teppiche vorstellen
sollten und die einen Schauer des Ekels hervorriefen, wenn man
sie versehentlich einmal mit dem nackten Fuß berührte. — Diese
groben Tassen, die Messer mit den wackelnden Griffen, die Tee-
löffel aus einem unnennbaren grauen Metall, die man nicht an
den Mund führen mochte, so ungewaschen sahen sie aus. —
Dreimal waren sie schon umgezogen in den ersten sechs Wochen.
Besser wurde es nicht. Sechshundert Mark durften sie verbrauchen
im Monat. Wenn die Miete dieser elenden zwei Löcher schon
hundertzehn Mark fraß, was blieb zum Leben? Und für den
teuren Unterricht? Und für die vielen kleinen Dinge, die ihnen so
selbstverständlich waren und die sie sich — Stück für Stück —
langsam versagen mußten.
„Damit könnt ihr reichlich auskommen," hatte Ihre Hoheit
Frau Schulze geschrieben. „Ich habe mich erkundigt, was die
studierenden jungen Leute im Durchschnitt brauchen. Ihr müßt
Euch daran gewöhnen, Euer Leben nach bürgerlichen Begriffen
einzurichten."
Und sie meinten doch, schon so entsetzlich bescheiden zu sein.
Nicht einmal die kleine Zofe durfte Elena sich halten. Wenn sie
ihr Haar gut frisiert haben wollte, mußte Maria Zofendienste tun.
Wenn sie an der Kleidung die vielen Kleinigkeiten zurechtgemacht
haben wollte, die zu einer Dame gehören, so saß Maria und stichelte
bei dem trüben Licht einer elenden, verbrauchten elektrischen
Birne. Wenn sie durchaus abends in das Theater gehen mußte,
so lebte Maria tagelang von Butterbrot und versagte sich das
Mittagessen. Und doch — es wollte nicht reichen.
Und kein Ende war zu sehen.
Der Lehrer, dessen Unterricht Heinz Godesheim vermittelt
hatte, machte der Schülerin leidlich günstige Aussichten, wenn
nämlich erstens großer Fleiß vorhanden sei, zweitens die Mög-
lichkeit, drei Jahre an die Ausbildung als Kunstgewerblerin zu
wenden, drittens das Talent kein Blender wäre. Denn es gab
Schüler genug, die sich erst ganz hoffnungslos anließen und die
doch nie etwas Rechtes wurden.
Immerhin — man könnte es versuchen.
So saß die schlanke Aristokratin zwischen den vielen jungen
Menschen, die aus allen Ecken und Winkeln des Reiches herge-
weht waren, sich den Bissen Brot für ihr Leben zu erringen. Und
sie fand keinen Anschluß. Heimlich trafen sie musternde Blicke,
doch sich ihr zu nähern versuchte nur eine einzige, eine Russin,
die aber bei der jungen Österreicherin keine Gegenliebe fand.
Man munkelte, die Nadja Kutusoff sei so etwas wie eine
Fürstin. Wenigstens hatte sie einmal erzählt, sie habe ihre Jugend
meist an der Riviera verlebt mit der leidenden Mutter und der
Gesellschafterin und der Erzieherin und „dem ganzen Train".
Worunter man sich eine zahllose Dienerschaft vorstellen konnte.
„Sie sind eine Komtesse Erdmannsdorf?" fragte sie Maria
einmal auf dem Heimweg, als sie sich ohne weiteres ange-
schlossen hatte. „Nein? Nur von Erdmannsdorf? — So. — Nun
ja. — Es ist besser, man erzählt nicht, was man früher gewesen ist.
Haben Sie auch Wanzen in Ihren Zimmern? Nicht? So seien
Sie froh. Ich habe sie schon zum viertenmal. Diese Buden —
o wie mir ekelt! Und diese Wirtinnen! — Es ist schlimm. Sie
ziehen einem das Fell über das Ohr — sagt man nicht so? Ich
bin zwei Jahre in München. Ich weiß Bescheid. Wenn nicht im
Sommer die Ausflüge wären in die Berge, und die Bälle im
Fasching —"
„Da gehen Sie hin?"
Ein Achselzucken. „Sie werden auch noch gehen. Man hat
nichts anderes. Oder sind Sie noch reich? Können Sie die Theater
besuchen und die guten Konzerte? Ich kann es nicht mehr. Man
sinkt so langsam. Immer ein bißchen tiefer. Erst noch Kino, Loge.
Nun sitz' ich auf dem ersten Platz, wo die Soldaten sitzen und die
Studenten und die Kellnerinnen. Die Luft ist schlimm. Aber eine
Cousine ist Kellnerin in Hamburg. Da ist es noch schlimmer."
„Dann bleibe ich lieber ganz zu Hause," sagte Maria.
„Sie halten es nicht aus. Wir brauchen Menschen. Können wir
nicht mehr über ihnen stehen, wollen wir zwischen ihnen stehen.
Leben Sie auch ganz allein?"
„Zusammen mit meiner Schwester."
„Ist das nun besser oder schlimmer? Wenn man ganz allein ist,
kann man wenigstens jeden Tag Schluß machen, wenn es einem
zu widerlich wird. Das hält mich immer über Wasser, daß ich nur
so lange mitmachen muß, wie ich selber will. Und dann kommt
mitunter eine Stunde —" Die grüngrauen Augen unter kurz-
geschnittenem schwarzem Haar glimmerten auf, Maria fand dies
Glimmern abstoßend. So hatte Giulietta blicken können, wenn ein
Mann in ihrer Nähe war.
Trotzdem empfand sie Mitleid mit der an-
dern. „Wenn es Ihnen einmal zu einsam ist,
besuchen Sie uns. Hohenzollernstraße84. Am
Sonntagnachmittag treffen Sie uns immer."
„Das hättest du nicht machen sollen," sagte
Elena, als sie davon erfuhr. „Kutusoff? Alter-
hoher Adel — und ganz heruntergekommen,
wie es scheint — Man kann sich begegnen
auf Hofbällen — Wie alt ist sie denn?"
„Vielleicht achtundzwanzig. Sie hat ein
Mopsgesicht, aber kluge Augen."
Elena zuckte die Achseln. „Also warten wir
es ab. Wann kommt dein Freund Godesheim
endlich wieder?"
„Er sagte, dieses Mal würden es fünf Wo-
chen werden. Aber die müssen bald um sein."
„WenigrücksichtsvollvondemjungenHerrn,
so oft abwesend zu sein. Wo er weiß, daß wir
ihn oft brauchen."