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Das Buch für Alle
Heft 6
nach Tee, nötigte ihren Gast in den „Fauteuil" und fragte nach
kleinen Dingen aus dem gemeinsamen Beruf. Aber es wollte
keine Stimmung aufkommen. Elena konnte ihren Widerwillen
gegen die Fremde nur mühsam verhehlen, die mit Augen und
Ohren nach jedem Wort, jedem Blick spürte, und Maria allein
erlahmte daran, Konversation zu machen.
„Sie haben es noch gut," sagte die Russin. „Sie sagen, elende
Zimmerchen, Frau Baronin — ich habe nur eine Kammer, tat-
sächlich, eine Kammer. Und wie die Leute einen behandeln. Man
möchte manches Mal zur Hundepeitsche greifen. Wenn der Miet-
zins nicht am Ersten aus dem Tisch liegt, machen sie spitze Reden.
Sie sollten sich sagen, daß es eine Ehre für sie ist, unsereins im
Hause zu haben."
„Sie werden wohl selbst nichts zu leben haben. Obgleich ich
sagen muß, daß ich wie erlöst bin, seit wir wieder die Rentenmark
haben. Meine Schwester kann rechnen, Gott sei Dank. Ich wußte
nie, ob ich Millionen oder Billionen bezahlen müßte. Es war
grausig. Aber nehmen Sie doch noch ein wenig Gebäck. Wir haben
ja keinen Diener zum Aufwarten, und der kleine Trampel, den
unsere Wirtin ihren dienstbaren Geist nennt, der ist schlimmer
als nichts."
„Es ist mir ziemlich gleich, ob eine Mark oder eine Billion,"
sagte Nadja. „Wenn ich einen Entwurf verkaufe — das Geld ist
immer gleich wieder fort. Hätte man nicht Freunde, was sollte
man machen?"
„Sie haben noch Freunde? Da sind Sie zu beneiden. Wir zwei
sind fast ganz auf uns allein angewiesen."
„Oh, man kann immer Freunde haben, wenn man will. Denen
es eine Ehre ist, einer Dame aus vornehmem Stande zu helfen.
Man läßt sich ja nichts schenken. Es wird alles einmal wieder
bezahlt."
Elenas Augen glitten mit leichtem Spott über sie hin. Es gab
verschiedene Rückzahlungen.
Draußen vor der Tür hörte man eine Männerstimme. Der
kleine Trampel kam und meldete: „Herr Eodesheim fragt, ob er
den Damen seine Aufwartung machen dürste."
Maria stand so schnell auf, und ihr Gesicht trug so deutlich einen
Schein der Freude, daß Nadjas Spüraugen sich ganz schmal zu-
sammenzogen. War das schon ein Freund? Aber der Godesheim
— der hatte ja sel¬
ber nichts.
Heinz trat ein,
braungebrannt von
südlicher Sonne, frisch
und heiter. Küßte
Elena und Maria die
Hand, sah in das Ge¬
sicht des Gastes und
trat förmlich bestürzt
einen halben Schritt
zurück.
„Wir kennen uns,
Herr Godesheim. —
Oder erinnern Sie
sich nicht an die letzten
Bälle im Fasching?"
Eine sehr förmliche
Verneigung. „O ge¬
wiß, gnädiges Fräu¬
lein. Arbeiten Sie
noch bei Keinzel?"
„Nein, ich bin jetzt
mit Fräulein vonErd-
mannsdorf zusam¬
men bei Trübner.
Porzellanmalerei
und Glas. Und Sie?"
Godesheimwandte
sich an Elena. Er
wandte sich immer an sie, wenn seine Wünsche Maria galten. Und
wie gut sie ihn verstand! „Ich habe noch zu heute abend eine Loge
im Residenztheater bekommen. ,Der Widerspenstigen Zähmung^.
Es soll sehr gut besetzt und ausgestattet sein. Darf ich fragen, ob
mir die Damen die große Freude machen würden, die Loge zu
benützen?"
„Shakespeare?" sagte Elena und lächelte. „Spielt man ihn
noch? Ich glaube, ich habe als blutjunges Ding ihn auf dem
Burgtheater ein- oder zweimal über mich ergehen lassen müssen.
Wir gingen in Petersburg nur in Oper oder Ballett. Aber ich
glaube, er gehört zur Bildung. Und Marias Bildung ist in dieser
Hinsicht leider nicht vollendet."
„Ja, ja. Opfere dich nur für mich. Wie du selber froh bist, ein-
mal aus der Tür zu kommen! Wir gehen sehr gern, Herr Godes-
heim. Wann fängt es an?"
„Erst um acht, gnädiges Fräulein. Darf ich mir erlauben, die
Damen abzuholen? Vielen, vielen Dank. Ich will nicht länger
stören. Auf Wiedersehen, Frau Baronin, auf Wiedersehen, gnä-
diges Fräulein—" Eine ganz kurze, knappe Verneigung gegen
die Fremde, schon war er wieder gegangen. In Nadjas grünlichen
Augen funkelte Haß, als sie ihm nachsah. Sie hatte darauf ge-
rechnet, auch zum Abendessen aufgefordert zu werden, nun mußte
sie gehen. Es war Zeit, daß sich die Schwestern umkleideten. Ein
liebenswürdiges Anerbieten, dabei behilflich zu sein, wurde ebenso
liebenswürdig abgelehnt. Sie mußte gehen.
„Was der kleine Godesheim nur gegen deine Freundin haben
mochte?" fragte Elena, als sie bei dem kläglichen Licht ihrer
einzigen elektrischen Birne im Schlafzimmer Toilette machten.
„Er schnitt sie mit wundervoller Sicherheit. Manchmal macht er
mir direkt Spaß."
„Erstens ist sie nicht meine Freundin, und zweitens fand ich es
recht ungemütlich, denn er wird schon einen schwerwiegenden
Grund haben. Ich werde sie jedenfalls nicht zum Wiederkommen
auffordern."
„Ich hab> immer drüber nachgedacht, zu welchen von den
Kutusoffs sie gehören kann. Weißt du gar nichts Näheres über
ihr Leben?"
„Der Vater wurde in Moskau erschossen. Die Mutter, mit der
sie ander Riviera lebte, starb vor einigen Jahren an Schwindsucht."
„Ah — nun weiß
ich. Die famose Ge-
schichte! Er hatte
falsch gespielt. Kommt
ja öfter vor, aber er
wurde dabei ertappt.
Abschied. Heirat mit
einer Halbweltdame
— man kannte ihn
nicht mehr. Natürlich
lebten sie dann im
Auslande. Sie muß
mich an der Riviera
gesehen haben. Wir
waren ja oft genug
in Cannes oder in
Mentone, wenn Ser-
gei nicht länger ohne
Monako existieren
konnte. — So, die ist
das? — Ja, du wirst
bessertun, siedirfern-
Zuhalten, Maria. Na-
türlich weiß sie ganz
genau, wer ich bin,
und kann sich danach
auch deinen richtigen
Namenheraussuchen.
— Mein Gott, töfft
da schon das Auto
Gaben des Herbstes / 9 lach einem Gemälde von Huber
Das Buch für Alle
Heft 6
nach Tee, nötigte ihren Gast in den „Fauteuil" und fragte nach
kleinen Dingen aus dem gemeinsamen Beruf. Aber es wollte
keine Stimmung aufkommen. Elena konnte ihren Widerwillen
gegen die Fremde nur mühsam verhehlen, die mit Augen und
Ohren nach jedem Wort, jedem Blick spürte, und Maria allein
erlahmte daran, Konversation zu machen.
„Sie haben es noch gut," sagte die Russin. „Sie sagen, elende
Zimmerchen, Frau Baronin — ich habe nur eine Kammer, tat-
sächlich, eine Kammer. Und wie die Leute einen behandeln. Man
möchte manches Mal zur Hundepeitsche greifen. Wenn der Miet-
zins nicht am Ersten aus dem Tisch liegt, machen sie spitze Reden.
Sie sollten sich sagen, daß es eine Ehre für sie ist, unsereins im
Hause zu haben."
„Sie werden wohl selbst nichts zu leben haben. Obgleich ich
sagen muß, daß ich wie erlöst bin, seit wir wieder die Rentenmark
haben. Meine Schwester kann rechnen, Gott sei Dank. Ich wußte
nie, ob ich Millionen oder Billionen bezahlen müßte. Es war
grausig. Aber nehmen Sie doch noch ein wenig Gebäck. Wir haben
ja keinen Diener zum Aufwarten, und der kleine Trampel, den
unsere Wirtin ihren dienstbaren Geist nennt, der ist schlimmer
als nichts."
„Es ist mir ziemlich gleich, ob eine Mark oder eine Billion,"
sagte Nadja. „Wenn ich einen Entwurf verkaufe — das Geld ist
immer gleich wieder fort. Hätte man nicht Freunde, was sollte
man machen?"
„Sie haben noch Freunde? Da sind Sie zu beneiden. Wir zwei
sind fast ganz auf uns allein angewiesen."
„Oh, man kann immer Freunde haben, wenn man will. Denen
es eine Ehre ist, einer Dame aus vornehmem Stande zu helfen.
Man läßt sich ja nichts schenken. Es wird alles einmal wieder
bezahlt."
Elenas Augen glitten mit leichtem Spott über sie hin. Es gab
verschiedene Rückzahlungen.
Draußen vor der Tür hörte man eine Männerstimme. Der
kleine Trampel kam und meldete: „Herr Eodesheim fragt, ob er
den Damen seine Aufwartung machen dürste."
Maria stand so schnell auf, und ihr Gesicht trug so deutlich einen
Schein der Freude, daß Nadjas Spüraugen sich ganz schmal zu-
sammenzogen. War das schon ein Freund? Aber der Godesheim
— der hatte ja sel¬
ber nichts.
Heinz trat ein,
braungebrannt von
südlicher Sonne, frisch
und heiter. Küßte
Elena und Maria die
Hand, sah in das Ge¬
sicht des Gastes und
trat förmlich bestürzt
einen halben Schritt
zurück.
„Wir kennen uns,
Herr Godesheim. —
Oder erinnern Sie
sich nicht an die letzten
Bälle im Fasching?"
Eine sehr förmliche
Verneigung. „O ge¬
wiß, gnädiges Fräu¬
lein. Arbeiten Sie
noch bei Keinzel?"
„Nein, ich bin jetzt
mit Fräulein vonErd-
mannsdorf zusam¬
men bei Trübner.
Porzellanmalerei
und Glas. Und Sie?"
Godesheimwandte
sich an Elena. Er
wandte sich immer an sie, wenn seine Wünsche Maria galten. Und
wie gut sie ihn verstand! „Ich habe noch zu heute abend eine Loge
im Residenztheater bekommen. ,Der Widerspenstigen Zähmung^.
Es soll sehr gut besetzt und ausgestattet sein. Darf ich fragen, ob
mir die Damen die große Freude machen würden, die Loge zu
benützen?"
„Shakespeare?" sagte Elena und lächelte. „Spielt man ihn
noch? Ich glaube, ich habe als blutjunges Ding ihn auf dem
Burgtheater ein- oder zweimal über mich ergehen lassen müssen.
Wir gingen in Petersburg nur in Oper oder Ballett. Aber ich
glaube, er gehört zur Bildung. Und Marias Bildung ist in dieser
Hinsicht leider nicht vollendet."
„Ja, ja. Opfere dich nur für mich. Wie du selber froh bist, ein-
mal aus der Tür zu kommen! Wir gehen sehr gern, Herr Godes-
heim. Wann fängt es an?"
„Erst um acht, gnädiges Fräulein. Darf ich mir erlauben, die
Damen abzuholen? Vielen, vielen Dank. Ich will nicht länger
stören. Auf Wiedersehen, Frau Baronin, auf Wiedersehen, gnä-
diges Fräulein—" Eine ganz kurze, knappe Verneigung gegen
die Fremde, schon war er wieder gegangen. In Nadjas grünlichen
Augen funkelte Haß, als sie ihm nachsah. Sie hatte darauf ge-
rechnet, auch zum Abendessen aufgefordert zu werden, nun mußte
sie gehen. Es war Zeit, daß sich die Schwestern umkleideten. Ein
liebenswürdiges Anerbieten, dabei behilflich zu sein, wurde ebenso
liebenswürdig abgelehnt. Sie mußte gehen.
„Was der kleine Godesheim nur gegen deine Freundin haben
mochte?" fragte Elena, als sie bei dem kläglichen Licht ihrer
einzigen elektrischen Birne im Schlafzimmer Toilette machten.
„Er schnitt sie mit wundervoller Sicherheit. Manchmal macht er
mir direkt Spaß."
„Erstens ist sie nicht meine Freundin, und zweitens fand ich es
recht ungemütlich, denn er wird schon einen schwerwiegenden
Grund haben. Ich werde sie jedenfalls nicht zum Wiederkommen
auffordern."
„Ich hab> immer drüber nachgedacht, zu welchen von den
Kutusoffs sie gehören kann. Weißt du gar nichts Näheres über
ihr Leben?"
„Der Vater wurde in Moskau erschossen. Die Mutter, mit der
sie ander Riviera lebte, starb vor einigen Jahren an Schwindsucht."
„Ah — nun weiß
ich. Die famose Ge-
schichte! Er hatte
falsch gespielt. Kommt
ja öfter vor, aber er
wurde dabei ertappt.
Abschied. Heirat mit
einer Halbweltdame
— man kannte ihn
nicht mehr. Natürlich
lebten sie dann im
Auslande. Sie muß
mich an der Riviera
gesehen haben. Wir
waren ja oft genug
in Cannes oder in
Mentone, wenn Ser-
gei nicht länger ohne
Monako existieren
konnte. — So, die ist
das? — Ja, du wirst
bessertun, siedirfern-
Zuhalten, Maria. Na-
türlich weiß sie ganz
genau, wer ich bin,
und kann sich danach
auch deinen richtigen
Namenheraussuchen.
— Mein Gott, töfft
da schon das Auto
Gaben des Herbstes / 9 lach einem Gemälde von Huber