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Das Buck für Alle

s blieb nicht bei dem einen Mal. Godesheim arbeitete wie wild,
um wenigstens zwei- oder dreimal im Monat die Damen
abends ausführen zu dürfen. Ob er in der übrigen Zeit krumm
liegen mutzte, war ihm sehr gleichgültig. Die letzten zehn Jahre
hatten ihn an Entbehrungen gewöhnt. Und Marias arbeitsmüdes
Gesicht aufleuchten zu sehen, wenn sie in einem feinen Lokal an
zierlich gedecktem Tisch satz, umschmeichelt von einer sützen Musik,
die nur so laut war, datz sie den Nerven schmeichelte wie ein
laues Bad, wenn gewandte Kellner, die an englische Lords er-
innerten, die Speisen reichten und überall Blumen dufteten und
elegante Menschen heiter zwischen den Tischreihen hingingen —
das war jedes Opfer wert.
Obgleich sie einander hier ferner waren als während des
Sommers in den Bergen, wo sie wie Kameraden miteinander
wanderten und kletterten. Oder war dies scheinbare Fernersein
ein heimliches sützes Nahekommen? Wurde sie jetzt nicht manches
Mal ein wenig rot, wenn er ihr die Hand küsste, den Mantel um
ihre Schultern legte, Nosen in ihr jämmerliches Zimmer trug.
Hatten ihre Augen nicht den aufstrahlenden Blick, den er so liebte,
wenn sie sich unerwartet begegneten? Und er wutzte dies uner-
wartete Begegnen so geschickt herbeizuführen. „Ein Jammer, datz
er nicht wenigstens Graf ist," meinte Elena bei einer solchen Ge-
legenheit. „In der heutigen Zeit würde man es nicht einmal mehr
als Mesalliance ansehen."
Maria antwortete nicht auf solche Neckereien. Sie machte sich
selbst kein Geheimnis mehr daraus, datz ihr Heinz Godesheim
sehr lieb geworden war, aber wohin sollte das führen? Einer so
arm wie der andere. Jeder mühsam gegen das Ertrinken im
Lebensstrudel ankämpfend. Er — ja er, der Mann, er würde
sich durchschlagen, aber er mutzte frei bleiben, eine Ehe wäre eine
Last gewesen, die ihn schwer nach unten zog. Eine Ehe? Dachte sie
daran, einen Bürgerlichen zu heiraten? Ach Gott, sie war ja so
klein geworden in den letzten Jahren. Und sie empfand es stark,
datz eine feste, schützende Hand mehr wert war als Name und
Rang.
Wo war Sergei? Was tat er für seine Frau? Bisweilen kam
ein Brief, der nur Redewendungen enthielt, hin und wieder be-
lebt von einigen boshaften Bemerkungen über die Gesellschaft,
in der er sich zurzeit bewegte. Er sei unter dem Namen Boris
Gortschakoff Vertrauensmann des Großfürsten Kyrill, hatte er
Elena mitgeteilt. Aber leider seien die Mittel, die ihm Zugingen,
um in der politischen Welt Frankreichs und Englands eine Rolle
zu spielen, nur wie ein Tropfen auf einem heißen Stein, so datz er
seiner Gemahlin nicht die nötigen Zuwendungen machen könne.
Es sei ihm darum eine große Beruhigung, datz Ihre Hoheit
Frau Schulze sich der verwandtschaftlichen Pflichten erinnert
habe und ein so klarer Kopf, ein so tüchtiger Mensch, eine so vor-
nehme Natur wie Maria ihr zur Seite stehe.
Elena lächelte selbst boshaft, als sie der Schwester diesen Lobes-
hymnus vorlas. „Er schmiert dir Honig um den Bart, Joujou.
Ich kenne meinen Gemahl. Ach Gott, was soll nur werden?
Wann wird er endlich so weit sein, daß er uns wieder eine ge-
sicherte Zukunft schaffen kann? Es wird Zeit, scheint mir."
„Er wird dir nie eine Zukunft bieten, Elena. Du weißt es auch
gut genug. Wir müssen uns allein durchhelfen. Und es wird schon
werden. Professor Trübner hat es übernommen, für einen Groß-
industriellen ein Service von seinen Schülern malen zu lassen,
zu dem er selbst die Entwürfe liefert. Das Handwerksmäßige
dürfen die am weitesten Vorgeschrittenen ausführen. Es ist eine
große Auszeichnung, datz ich mitmalen darf. Dadurch spare ich
in diesem Monat das Geld für den Unterricht und verdiene noch
ein ganz nettes Sümmchen. Du wirst dir deine geliebten Ziga-
retten nach Herzenslust leisten können." Sie küßte die Schwester
und lief in Wind und Wetter hinaus zur Malschule, müde, er-
kältet, aber fest entschlossen, jede Gelegenheit zu nützen, die nur
anständig war, um voranzukommen. Der Rücken schmerzte so
oft von dem langen Sitzen, die Augen brannten, alle Nerven
zitterten, aber sie spürte, sie kam vorwärts. Das Kunstgewerbe,
das so vielen Frauen Brot gab, würde auch ihr eine bescheidene

Sicherheit geben. Wenn sie nur nicht müde wurde, wenn sie nur
nie vergaß, datz die Tage vorbei waren, wo man noch darauf
hoffte, daß eine hebende Woge ohne eigenes Zutun das Leben
wieder zu alten Höhen emportragen würde. An einem Don-
nerstag im Januar satz sie im großen Saal zwischen den andern
malenden und zeichnenden Schülern. Die ganze Luft roch nach
dem scharfen Nelkenöl, das sie für die Porzellanfarben benützten,
roch nach dem Dunst der vielen Menschen, nach Farben und
Lacken und Kohlendunst. Der eiserne Ofen in der Ecke sprühte
Glut aus, draußen fror es Pickelsteine.
„Morgen gekst ich zum Löwenbräu," sagte Nadja Kutusoff.
„Das wird ein Unfug werden. Tausend Eintrittskarten sind schon
verkauft, dreitausend kommen noch."
Eine blonde Bremerin, zurückhaltend und kühl, sagte über die
Schulter: „Löwenbräu? Dahin geht man nicht."
„Soll nur fortbleiben. Ich — ich werde gehen."
„Mit dem Riedinger?" fragte eine andere.
Die Kutusoff zuckte die Achseln. „Vielleicht — vielleicht nicht.
Es sind noch mehr Herren, die es als Ehre ansehen, mich dahin
begleiten zu dürfen."
„Der Riedinger?" fragte ein junger, blonder Mensch, „ist das
nicht der Buffo vom Operettentheater? Der Große, Dicke? Der
immer singt? Auch auf der Straße und in der Elektrischen? Ein
putziges Huhn."
„Und wohin gehen Sie, Fräulein von Erdmannsdorf?" wandte
sich Nadja plötzlich an Maria? Man sieht Sie nirgends. Oder
gehen Sie nur in das Preising-Palais und ähnliche Gegenden,
die für uns andern verlorenes Paradies sind?"
„Oh," meinte Maria zögernd, „es ist Sitte, im Fasching ein-
mal dabeizusein, nicht wahr? Man hat ja schon hier soviel davon
gesprochen. Ich würde es ja auch gern einmal ansehen, aber wir
haben keine Gesellschaft, der wir uns anschlietzen könnten."
„Ansehen," rief der Blonde, „so aus der Loge, von oben herab,
wie Fürstin?" Sie nannten sie alle so, und so peinlich es ihr war,
weil sie immer fürchtete, es sei mehr dahinter als ein Scherz, sie
mutzte es sich gefallen lassen. „Ja, das wäre für Euer allergnädigste
Gnaden das Richtigste. Aber für den Münchner Fasching das
Schlimmste. Der will nicht angesehen, der will mitgemacht sein.
Sonnabend in acht Tagen ist das Eauklerfest, dahin kann jeder
gehen, da kommt die beste Gesellschaft, da müssen Sie auch
kommen."
Maria beugte sich tiefer über den Teller, den sie grundierte, und
antwortete nicht. Es mochte scheinen, datz ihre Arbeit sie ganz in
Anspruch nahm. Sollte sie gehen? Seit drei Tagen wartete Heinz
Godesheim an jedem Mittag auf sie, begleitete sie zum Essen,
und jedesmal fragte er: „Haben Sie es sich überlegt? Wollen Sie
nicht auch einmal ganz schrecklich jung und vergnügt sein? Soll
ich einmal Ihre Frau Schwester fragen? Die Frau Baronin sagt
sicher gleich ja."
Da hatte er recht. Elena war so heißhungrig nach ein bißchen
Unterhaltung, nach Menschen, nach Plaudern, Lachen, Tanzen
— der war es schon ganz gleich, wie gut die Gesellschaft war, in
der sie sich ihre Freude suchte. Es war doch immer tief unter
ihrem einstigen Niveau, da brauchte man kaum noch einen Unter-
schied zu machen.
Als er an diesem Tag wieder fragte, sagte sie zu. Hastig, als
hätte sie Angst, noch im letzten Augenblick verneinen zu können.
„Also, wenn Sie die Verantwortung übernehmen — Und wenn
Sie uns raten wollen — Wie kommt man denn dahin?
„Durch Eintrittskarten, die ich Ihnen verschaffen kann. Kostüm?
Ja, das mutz schon sein, aber es kann ganz einfach sein. Kleine
Gesichtsmaske — weiter nichts. Oh, ich danke Ihnen so sehr, datz
Sie mir die Freude machen wollen." Und sie sahen sich an wie
zwei frohe Kinder.
„Dafür sollen Sie nun auch eine Belohnung haben." Er griff
in die Tasche und holte eine Rolle hervor, aus der illustrierte
Blätter hervorschauten. „Wollen Sie das daheim einmal ansehen?
Auf Wiedersehen, gnädiges Fräulein. Mir heute einmal wirklich
gnädig." (Fortsetzung folgt)
 
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