Heft 6
Das B u ch f ü r A l l e
Ein ADinirrnLihIenfirrgzerrg
Vrirr ^Errrrnz L5 L Nb Wremer:
uf den deutschen Flugseranstaltungen trat iin Herbst dieses Jahres
ein ganz eigenartiges Flugzeug auf, der Autogiro, wie es von seinem
Erbauer, dem spanischen Ingenieur Don Juan de la Cierva, genannt wird.
Es ist der erste erfolgreiche Apparat „schwerer als die Luft", der nicht nach
dem Prinzip des Drachenfliegers gebaut ist. Die heute den nach genanntem
Prinzip gebauten Flugzeugen noch anhaftenden Nachteile der notwendigen
großen Anlauf- und Landegeschwindigkeit veranlaßten in den letzten Jahren
zahlreiche Versuche im Bau
von sogenannten Hubschrau¬
bern, das sind Flugzeuge, bei
denen der Auftrieb durch
motorisch angetriebene Luft¬
schrauben mit senkrechter
Achse erzielt wird, und die
daher ohne Anlauf unmittel¬
bar vom Boden aufsteigen
und in der Luft stehen blei¬
ben können. Greifbare Er¬
folge wurden jedoch in dieser
Richtung bis jetzt noch nicht
erzielt.
Äußerlich sieht nun der
Autogiro wie ein solcher Hub¬
schrauber aus, seinem Wesen
nach ist er jedoch dem Dra¬
chenflieger näher verwandt.
Die große, an Stelle der
Tragfläch en üb er d em Rumpf
angebrachte vierflügelige
Luftschraube wird nämlich
nicht durch den Motor ange¬
trieben, sondern durch den
Fahrtwind, sie stellt also
eigentlich keine Hub schraube,
sondern eine Art Windmühle
dar. Rumpf, Fahrgestell und
Motoranlage mit normaler
Zugschraube unterscheiden
sich nicht von denen eines ge¬
wöhnlichen Flugzeugs; eben¬
so sind die Steuerorgane,
bestehend aus Höhen-, Sei¬
ten- und Quersteuerung, in
üblicher Weise ausgebildet.
Die Querruder befinden sich
jedoch, da der Autogiro keine
feststehenden Flügel hat, am
Ende von besonderen stäh¬
lernen Holmen.
Die Wirkung des Appara¬
tes ist folgende: Unmittelbar
vor dem Start wird der
„Windmühle" eine Anfangs¬
drehgeschwindigkeit erteilt.
Dann erfolgt der Start in
ähnlicher Weise wie bei einem gewöhnlichen Drachenflieger, indem durch
die Zugschraube eine gewisse Vorwärtsgeschwindigkeit erzielt wird. Durch
den Fahrtwind wird die „Windmühle" ständig in Drehung erhalten, da
der jeweils mit seiner Stirnseite gegen die Flugrichtung stehende Flügel
weniger Widerstand verursacht als der von der Rückseite angeblasene (siehe
die Abbildung). Der Auftrieb entsteht nun dadurch, daß die ziemlich schnell
sich drehenden Flügel ähnlich einer Hubschraube wirken, dabei aber, statt
direkt angetrieben zu werden, ihre Energie dem Fahrtwind entnehmen, der
durch die übliche Zugschraube erzeugt wird. Man kann sich die Flügel der
„Windmühle" auch als vier Eindeckerflügel vorstellen, die sehr enge Kreise
beschreiben.
Der Vorteil der ganzen Bauart liegt vor allem in der Möglichkeit einer
Landung mit sehr kurzem Auslauf. Wenn ein gewöhnliches Flugzeug seine
Geschwindigkeit unter ein bestimmtes Maß verringert, so sinkt der Auftrieb
seiner Flügel derart, daß es sich nicht mehr in der Luft halten kann. Es
muß daher beim Landen wenigstens mit dieser Mindestgeschwindigkeit
den Boden berühren. Bei dem Autogiro dreht sich die „Windmühle" durch
ihre Massenträgheit noch eine Zeitlang weiter, wenn auch die Vorwärts-
geschwindigkeit ganz gering geworden ist. Da jedoch die Tragwirkung
dieses Flugzeugs nicht von der Vorwärtsgeschwindigkeit, sondern lediglich
von der Drehgeschwindigkeit der „Windmühle" abhängt, so kann es ohne
Gefahr des „Durchsackens"
auf den Boden aufgesetzt
werden, wenn seine Vor-
wärtsgeschwindigkeitfastver-
schwunden ist. Man kann da-
her im letzten Teil des Fluges
fastsenkrechtniedergehenund
braucht nur einen Auslauf
von wenigen Metern.
Wie bei den meisten Erfin-
dungen, wurde auch hier der
Erfolg nicht auf den ersten An-
hieb erzielt. Der erste Auto-
giro flog bereits mit viel-
versprechendem Ergebnis im
Januar 1923 auf dem Ma-
drider Flugplatz Cuatro Vien-
tos. Erst im Herbst 1925 führte
der Erfinder nach manchen
Verbesserungen sein neuestes
Modell, das unsere Abbil-
dung zeigt, in Farnborough
in England der großen Öf-
fentlichkeit vor und erzielte
einen aufsehenerregenden
Erfolg.
Die französisch e Regierung
zeigte für die Erfindung leb-
haftes Interesse und stellte
die Erwerbung des Patents
in Aussicht. Die Annahme-
prüfung im Januar 1926 miß-
lang jedoch, dennderApparat
wurde vom Wind entführt
und bei der Landung zerstört.
Zum Schluß noch ein Wort
über die praktischen Aussich-
ten der Erfindung. Wenn
auch die gestellte Aufgabe der
senkrechten Landung mit kur-
zem Auslauf in bisher un-
erreichter Weise erfüllt ist, so
ist anderseits doch auch als
feststehend zu betrachten, daß
die Ausnutzung der aufge-
wendeten Motorleistung ge-
ringer ist als beim bisheri-
gen Flugzeug. Da aber die
Wirtschaftlichkeit im praktischen Verkehr die entscheidende Rolle spielt, so
wird hier der Autogiro wohl kaum in größerem Umfange die bisherigen
Typen verdrängen. Dazu kommt noch, daß der ganze Mechanismus durch
die zur Erhaltung des Gleichgewichts notwendigen, aus der Abbildung
ersichtlichen Vorrichtungen sehr verwickelt und daher einerseits teuer in
der Herstellung, anderseits mit allerhand Störungsmöglichkeiten behaftet
ist. Für Sonderzwecke, bei denen die Forderung nach geringster Lande-
geschwindigkeit an erster Stelle steht, bedeutet der Autogiro jedoch einen
wesentlichen Fortschritt, und es ist zu hoffen, daß dieser als technisches
Problem hochinteressante Flugzeugtyp als wertvolle Ergänzung unserer
bisherigen Luftverkehrsmittel weit er entwickelt wird.
Aus dem soeben erschienenen prächtigen Band des „Neuen Univer-
sums", der über die interessantesten Erfindungen und Entdeckungen
aus allen Gebieten unterrichtet und der jung und alt durch Reise-
schilderungen, Erzählungen, Jagden, Abenteuer n. v. a. erfreut
-
Der Schraubenflieger (Autogiro) des Ingenieurs Don Juan de la Cierva
il. I9L7
Das B u ch f ü r A l l e
Ein ADinirrnLihIenfirrgzerrg
Vrirr ^Errrrnz L5 L Nb Wremer:
uf den deutschen Flugseranstaltungen trat iin Herbst dieses Jahres
ein ganz eigenartiges Flugzeug auf, der Autogiro, wie es von seinem
Erbauer, dem spanischen Ingenieur Don Juan de la Cierva, genannt wird.
Es ist der erste erfolgreiche Apparat „schwerer als die Luft", der nicht nach
dem Prinzip des Drachenfliegers gebaut ist. Die heute den nach genanntem
Prinzip gebauten Flugzeugen noch anhaftenden Nachteile der notwendigen
großen Anlauf- und Landegeschwindigkeit veranlaßten in den letzten Jahren
zahlreiche Versuche im Bau
von sogenannten Hubschrau¬
bern, das sind Flugzeuge, bei
denen der Auftrieb durch
motorisch angetriebene Luft¬
schrauben mit senkrechter
Achse erzielt wird, und die
daher ohne Anlauf unmittel¬
bar vom Boden aufsteigen
und in der Luft stehen blei¬
ben können. Greifbare Er¬
folge wurden jedoch in dieser
Richtung bis jetzt noch nicht
erzielt.
Äußerlich sieht nun der
Autogiro wie ein solcher Hub¬
schrauber aus, seinem Wesen
nach ist er jedoch dem Dra¬
chenflieger näher verwandt.
Die große, an Stelle der
Tragfläch en üb er d em Rumpf
angebrachte vierflügelige
Luftschraube wird nämlich
nicht durch den Motor ange¬
trieben, sondern durch den
Fahrtwind, sie stellt also
eigentlich keine Hub schraube,
sondern eine Art Windmühle
dar. Rumpf, Fahrgestell und
Motoranlage mit normaler
Zugschraube unterscheiden
sich nicht von denen eines ge¬
wöhnlichen Flugzeugs; eben¬
so sind die Steuerorgane,
bestehend aus Höhen-, Sei¬
ten- und Quersteuerung, in
üblicher Weise ausgebildet.
Die Querruder befinden sich
jedoch, da der Autogiro keine
feststehenden Flügel hat, am
Ende von besonderen stäh¬
lernen Holmen.
Die Wirkung des Appara¬
tes ist folgende: Unmittelbar
vor dem Start wird der
„Windmühle" eine Anfangs¬
drehgeschwindigkeit erteilt.
Dann erfolgt der Start in
ähnlicher Weise wie bei einem gewöhnlichen Drachenflieger, indem durch
die Zugschraube eine gewisse Vorwärtsgeschwindigkeit erzielt wird. Durch
den Fahrtwind wird die „Windmühle" ständig in Drehung erhalten, da
der jeweils mit seiner Stirnseite gegen die Flugrichtung stehende Flügel
weniger Widerstand verursacht als der von der Rückseite angeblasene (siehe
die Abbildung). Der Auftrieb entsteht nun dadurch, daß die ziemlich schnell
sich drehenden Flügel ähnlich einer Hubschraube wirken, dabei aber, statt
direkt angetrieben zu werden, ihre Energie dem Fahrtwind entnehmen, der
durch die übliche Zugschraube erzeugt wird. Man kann sich die Flügel der
„Windmühle" auch als vier Eindeckerflügel vorstellen, die sehr enge Kreise
beschreiben.
Der Vorteil der ganzen Bauart liegt vor allem in der Möglichkeit einer
Landung mit sehr kurzem Auslauf. Wenn ein gewöhnliches Flugzeug seine
Geschwindigkeit unter ein bestimmtes Maß verringert, so sinkt der Auftrieb
seiner Flügel derart, daß es sich nicht mehr in der Luft halten kann. Es
muß daher beim Landen wenigstens mit dieser Mindestgeschwindigkeit
den Boden berühren. Bei dem Autogiro dreht sich die „Windmühle" durch
ihre Massenträgheit noch eine Zeitlang weiter, wenn auch die Vorwärts-
geschwindigkeit ganz gering geworden ist. Da jedoch die Tragwirkung
dieses Flugzeugs nicht von der Vorwärtsgeschwindigkeit, sondern lediglich
von der Drehgeschwindigkeit der „Windmühle" abhängt, so kann es ohne
Gefahr des „Durchsackens"
auf den Boden aufgesetzt
werden, wenn seine Vor-
wärtsgeschwindigkeitfastver-
schwunden ist. Man kann da-
her im letzten Teil des Fluges
fastsenkrechtniedergehenund
braucht nur einen Auslauf
von wenigen Metern.
Wie bei den meisten Erfin-
dungen, wurde auch hier der
Erfolg nicht auf den ersten An-
hieb erzielt. Der erste Auto-
giro flog bereits mit viel-
versprechendem Ergebnis im
Januar 1923 auf dem Ma-
drider Flugplatz Cuatro Vien-
tos. Erst im Herbst 1925 führte
der Erfinder nach manchen
Verbesserungen sein neuestes
Modell, das unsere Abbil-
dung zeigt, in Farnborough
in England der großen Öf-
fentlichkeit vor und erzielte
einen aufsehenerregenden
Erfolg.
Die französisch e Regierung
zeigte für die Erfindung leb-
haftes Interesse und stellte
die Erwerbung des Patents
in Aussicht. Die Annahme-
prüfung im Januar 1926 miß-
lang jedoch, dennderApparat
wurde vom Wind entführt
und bei der Landung zerstört.
Zum Schluß noch ein Wort
über die praktischen Aussich-
ten der Erfindung. Wenn
auch die gestellte Aufgabe der
senkrechten Landung mit kur-
zem Auslauf in bisher un-
erreichter Weise erfüllt ist, so
ist anderseits doch auch als
feststehend zu betrachten, daß
die Ausnutzung der aufge-
wendeten Motorleistung ge-
ringer ist als beim bisheri-
gen Flugzeug. Da aber die
Wirtschaftlichkeit im praktischen Verkehr die entscheidende Rolle spielt, so
wird hier der Autogiro wohl kaum in größerem Umfange die bisherigen
Typen verdrängen. Dazu kommt noch, daß der ganze Mechanismus durch
die zur Erhaltung des Gleichgewichts notwendigen, aus der Abbildung
ersichtlichen Vorrichtungen sehr verwickelt und daher einerseits teuer in
der Herstellung, anderseits mit allerhand Störungsmöglichkeiten behaftet
ist. Für Sonderzwecke, bei denen die Forderung nach geringster Lande-
geschwindigkeit an erster Stelle steht, bedeutet der Autogiro jedoch einen
wesentlichen Fortschritt, und es ist zu hoffen, daß dieser als technisches
Problem hochinteressante Flugzeugtyp als wertvolle Ergänzung unserer
bisherigen Luftverkehrsmittel weit er entwickelt wird.
Aus dem soeben erschienenen prächtigen Band des „Neuen Univer-
sums", der über die interessantesten Erfindungen und Entdeckungen
aus allen Gebieten unterrichtet und der jung und alt durch Reise-
schilderungen, Erzählungen, Jagden, Abenteuer n. v. a. erfreut
-
Der Schraubenflieger (Autogiro) des Ingenieurs Don Juan de la Cierva
il. I9L7