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Heft 6
^)bV Äö»gb^^^>önr^ / Novelle von ^eopg Engb^
Der weitbekannte Romanschriftsteller und Novellist Georg Engel feierte am 2g. Oktober in Berlin seinen sechzigsten Geburtstag. Zu seiner Ehrung fand im
Preußischen Herrenhaus eine Georg-Engel-Feier statt, der die hervorragendsten Vertreter des deutschen Schrifttums und derer, die ihm nabestehen, beiwohnten.
ee," sagte der alte lahme Obermaat Bob Vatge, der beständig an Bord
des braunen Hollandfahrers auf einem dicken Knäuel Tauwerk hockte,
um von da aus aufzupassen, ob wir herumlungernden Jungen nicht etwa
die schönen kirschroten Käsescheiben zu uns steckten, „nee," sagte er, indem
er mißbilligend das Haupt schüttelte, „stehlen mußt du nich gerade."
„I was, so ein Stück Käse, Bob. Kuck, bloß hier vom Rand weg. Das
verbietet nich mal die Bibel."
„Drähn," widersprach er, „die Bibel is mich ganz gleichgültig. Mich geht
es bloß wegen den Vogel Phönix; daß der dich nich beißen tut."
„Was meinst du?" stotterte ich, legte schnell meinen Raub von mir,
und während ich ihm meine Ellbogen aufs Knie stemmte, blickte ich ihn
dringend an: „Phönix? Das ist ja der Wundervogel aus Arabien."
„Mag sein," versetzte Bob Vatge ganz ruhig, „daß er früher da gewohnt
hat. Jetzt aberst wohnt er hier in der Domstraße. Und is der Diebsvogel."
„Oh," wagte ich noch einmal einzuwenden, „das bildest du dir doch wohl
nur ein? Nicht wahr?"
„So?" warf Bob verächtlich hin. „Glaubst du das, mein Jünging? Na,
denn kann ja aus dir noch was Leckeres werden. Aberst damit ich nicht
daran schuld bin, daß du in volle Ahnungslosigkeit in dein grünes Ver-
derben läufst, so will ich dir lieber den Umstand aufklären. Da wirst du ja
dann merken, wie der Vogel Phönix hinter jede Stehlerei her is, wie der
Hecht hinter dem Heringszug. Und nachher kannst du ja noch immer tun,
was du Lust hast. Stehlen oder auch ehrlich bleiben. Es is beides sehr ver-
dienstlich und nährt seinen Mann. Und nu passt auf!"
Ante Dauch, die alte geizige Ante Dauch da draußen in Vörgelsund,
konnte nicht schlafen. Wie sehr sie sich auch in ihrer schmalen Bettlade,
die in dem Durchgang hinter ihrem Kramladen an der Wand angeschraubt
war, wie sehr sie sich auch in ihren blau und weiß gewürfelten Kissen herum-
warf, es half nichts, ihre starren, grauen Augen blieben offen. Bald lief
es ihr wie ein Feuer über die knochigen
Glieder, denn sie ließ das Bettzeug alle
Jahre nur einmal waschen. Aus Beschei¬
denheit. Denn derMensch durfte sich nicht
der Völlerei hingeben. Und dann mußte
sie sich wieder aufrichten, um zu lauschen.
„Passt auf — nee, nee, pass' gut auf,
Ante. Is das wirklich der olle Südsüdost,
der so in den Ritzen und vor der Haustür
winselt? Oder bricht und feilt da nicht
jemand am Ladenschloß? — Gott im
hohen Himmel, heute ist ja erst ein Faß
Petroleum sowie eine neue Lage Salz-
heringehereingekommen. — Matjes." —
Ante weiß zwar sehr wohl, die Fische
entstammten nicht dieser vornehmen Gat¬
tung, aber sie nennt sie doch —Wenn
nun jemand so gottlos wäre und schliche
sich in den engen, kleinen Laden hinein?
Das Heringsfaß — voll Matjes — steht
dicht am Eingang. Und wenn man ihr
dann fünf, sechs — o du lieber, einziger
Vater —oder gar acht oder zehn von den
schönen fetten Tieren wegnähme! —
„Huch," fuhr sie in kaltem Schrecken
auf, „nebenan schleicht etwas."
Nein, nein, diesmal vernimmt sie es
ganz deutlich. Drinnen klappert etwas.
Mit heiserem Röcheln entzündetAnte das
Lichtstümpfchen. Gott, Gott, so ein Stea-
rinlicht ist jetzt so teuer. Wie kann man
gegen eine arme Krämerswitwe, die sich
kümmerlich nährt, bloß derartig sündhaft
handeln! Im langen Hemd, das um ihre
Glieder schlottert, und mit weit vorgehaltenem Licht schleicht die Bebende
darauf zur Ladentür. Wunderliche Schatten wirft das Licht auf das braune
Gebälk und springt und huscht seltsam über das lange, faltige Antlitz der
Schleichenden. Jetzt lugt sie mit angehaltenem Atem durch das runde Glas-
fensterchen des Ladens.
Nichts.-Alles leer. Die Heringstonne steht noch am Eingang. Und
von dem Petroleumfaß stürzt zuweilen ein Tropfen durch den Holzhahn in
das daruntergestellte Schaff.
„Man gut," meint Ante Dauch aufatmend, „daß ich bloß geträumt
hab'. Und die Leute sünd hier auch alle ehrlich." Damit will sie wieder in
ihr Bett zurückschlürfen. Aber da -— da -ach, du himmlischer Vater,
es ist also doch wahr — da kratzt ja etwas wie mit spitzigen Nägeln über
das Holz der Eingangspforte.
In dumpfer Angst räuspert sich Ante Dauch: „Huch — is da wer?"
Draußen kratzt es heftiger: „Ja, ich bün es — deine Schwester Rike.
Mach' fir auf, Ante, denn mir geht es schlimm!"
„Was? Riksch, du? — Is möglich? — Ich denk', du wäschst bei Lehrer
Kleppien?"
„Ja, ja, allens später. Bei deiner Swesterlichkeit beschwör' ich dich, laß
mir 'rein."
„Ganz gut, aber ich hab' dich deine monatliche Unterstützung — ach, das
viele Geld — doch erst gegeben. Willst du etwa, jetzt in der Nacht, wieder
was von mir arme, kranke Frau?"
„O Ante, ich bün ja viel kränker. Mir verzehrt der Satan bei lebendigem
Leibe. Er sitzt auf meiner Seele und reitet da auf 'rum."
„Was? — Was?— Kuck eins!" ruft Ante Dauch und rafft zierlich ihr
Hemde, als sie an dem Heringsfaß vorbeistreicht. Doch die außergewöhnliche
Krankheit der Schwester erregt die Teilnahme der Krämerin mehr, als
sie sich selbst eingesteht.
„Wenn der Teufel auf dir 'rumreitet, denn komm 'rein," gibt sie hustend
nach, „komm 'rein. Swester, was fehlt dir?"
Damit hat sie den großen Querbaum
zurückgeschlagen und den rostigen Schlüs-
sel herumgedreht. Kreischend öffnet sich
die grüne Tür, ein Windstoß vom Meere
fegt herein, und die Röcke der draußen
Verharrenden wehen und rascheln.
„O Gott — o Gott, wie preßt er mich
meine arme Seel'!" wimmert die kleine
vertrocknete und verdorrte Gestalt, die
sich jetzt in den Laden hereindrückt, um
sich sofort Zitternd und klappernd auf die
schmale Bank vor dem Verkaufstisch nie-
derzulassen. Einen Korb hat sie dabei
auf die roten Dielen gestellt. „Je, je, er
zerschneidet mich mein Herz mit einem
Brotmesser."
Wahrlich, es ist ein wunderlich Bild,
das die beiden bejahrten Frauen jetzt
bieten. Die eine, dürr und lang, im
Hemde hinter dem Ladentisch, die andere
davor, zusammengekrochen und durch-
näßt, in haltloser Verzweiflung. Zwi-
schen beiden aber das flackernde Licht.
„O Schwesting, Schwesting," jammert
der Gast, indem das Weib die Tropfen
von sich abspritzt, „gib mich rasch dein
Hamburger Pflaster, damit ich es mich
gegen Unruhe und Teuflischkeit hinten
auf den Hals klebe."
Hier verzieht Ante Dauch erschreckt
ihr langes, faltiges Antlitz. „Meinst du
umsonst?" möchte sie gerne ablehnen.
Jedoch der nächtliche Besuch wirft in
jäher Hast, als wäre keine Minute mehr
Heft 6
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Der weitbekannte Romanschriftsteller und Novellist Georg Engel feierte am 2g. Oktober in Berlin seinen sechzigsten Geburtstag. Zu seiner Ehrung fand im
Preußischen Herrenhaus eine Georg-Engel-Feier statt, der die hervorragendsten Vertreter des deutschen Schrifttums und derer, die ihm nabestehen, beiwohnten.
ee," sagte der alte lahme Obermaat Bob Vatge, der beständig an Bord
des braunen Hollandfahrers auf einem dicken Knäuel Tauwerk hockte,
um von da aus aufzupassen, ob wir herumlungernden Jungen nicht etwa
die schönen kirschroten Käsescheiben zu uns steckten, „nee," sagte er, indem
er mißbilligend das Haupt schüttelte, „stehlen mußt du nich gerade."
„I was, so ein Stück Käse, Bob. Kuck, bloß hier vom Rand weg. Das
verbietet nich mal die Bibel."
„Drähn," widersprach er, „die Bibel is mich ganz gleichgültig. Mich geht
es bloß wegen den Vogel Phönix; daß der dich nich beißen tut."
„Was meinst du?" stotterte ich, legte schnell meinen Raub von mir,
und während ich ihm meine Ellbogen aufs Knie stemmte, blickte ich ihn
dringend an: „Phönix? Das ist ja der Wundervogel aus Arabien."
„Mag sein," versetzte Bob Vatge ganz ruhig, „daß er früher da gewohnt
hat. Jetzt aberst wohnt er hier in der Domstraße. Und is der Diebsvogel."
„Oh," wagte ich noch einmal einzuwenden, „das bildest du dir doch wohl
nur ein? Nicht wahr?"
„So?" warf Bob verächtlich hin. „Glaubst du das, mein Jünging? Na,
denn kann ja aus dir noch was Leckeres werden. Aberst damit ich nicht
daran schuld bin, daß du in volle Ahnungslosigkeit in dein grünes Ver-
derben läufst, so will ich dir lieber den Umstand aufklären. Da wirst du ja
dann merken, wie der Vogel Phönix hinter jede Stehlerei her is, wie der
Hecht hinter dem Heringszug. Und nachher kannst du ja noch immer tun,
was du Lust hast. Stehlen oder auch ehrlich bleiben. Es is beides sehr ver-
dienstlich und nährt seinen Mann. Und nu passt auf!"
Ante Dauch, die alte geizige Ante Dauch da draußen in Vörgelsund,
konnte nicht schlafen. Wie sehr sie sich auch in ihrer schmalen Bettlade,
die in dem Durchgang hinter ihrem Kramladen an der Wand angeschraubt
war, wie sehr sie sich auch in ihren blau und weiß gewürfelten Kissen herum-
warf, es half nichts, ihre starren, grauen Augen blieben offen. Bald lief
es ihr wie ein Feuer über die knochigen
Glieder, denn sie ließ das Bettzeug alle
Jahre nur einmal waschen. Aus Beschei¬
denheit. Denn derMensch durfte sich nicht
der Völlerei hingeben. Und dann mußte
sie sich wieder aufrichten, um zu lauschen.
„Passt auf — nee, nee, pass' gut auf,
Ante. Is das wirklich der olle Südsüdost,
der so in den Ritzen und vor der Haustür
winselt? Oder bricht und feilt da nicht
jemand am Ladenschloß? — Gott im
hohen Himmel, heute ist ja erst ein Faß
Petroleum sowie eine neue Lage Salz-
heringehereingekommen. — Matjes." —
Ante weiß zwar sehr wohl, die Fische
entstammten nicht dieser vornehmen Gat¬
tung, aber sie nennt sie doch —Wenn
nun jemand so gottlos wäre und schliche
sich in den engen, kleinen Laden hinein?
Das Heringsfaß — voll Matjes — steht
dicht am Eingang. Und wenn man ihr
dann fünf, sechs — o du lieber, einziger
Vater —oder gar acht oder zehn von den
schönen fetten Tieren wegnähme! —
„Huch," fuhr sie in kaltem Schrecken
auf, „nebenan schleicht etwas."
Nein, nein, diesmal vernimmt sie es
ganz deutlich. Drinnen klappert etwas.
Mit heiserem Röcheln entzündetAnte das
Lichtstümpfchen. Gott, Gott, so ein Stea-
rinlicht ist jetzt so teuer. Wie kann man
gegen eine arme Krämerswitwe, die sich
kümmerlich nährt, bloß derartig sündhaft
handeln! Im langen Hemd, das um ihre
Glieder schlottert, und mit weit vorgehaltenem Licht schleicht die Bebende
darauf zur Ladentür. Wunderliche Schatten wirft das Licht auf das braune
Gebälk und springt und huscht seltsam über das lange, faltige Antlitz der
Schleichenden. Jetzt lugt sie mit angehaltenem Atem durch das runde Glas-
fensterchen des Ladens.
Nichts.-Alles leer. Die Heringstonne steht noch am Eingang. Und
von dem Petroleumfaß stürzt zuweilen ein Tropfen durch den Holzhahn in
das daruntergestellte Schaff.
„Man gut," meint Ante Dauch aufatmend, „daß ich bloß geträumt
hab'. Und die Leute sünd hier auch alle ehrlich." Damit will sie wieder in
ihr Bett zurückschlürfen. Aber da -— da -ach, du himmlischer Vater,
es ist also doch wahr — da kratzt ja etwas wie mit spitzigen Nägeln über
das Holz der Eingangspforte.
In dumpfer Angst räuspert sich Ante Dauch: „Huch — is da wer?"
Draußen kratzt es heftiger: „Ja, ich bün es — deine Schwester Rike.
Mach' fir auf, Ante, denn mir geht es schlimm!"
„Was? Riksch, du? — Is möglich? — Ich denk', du wäschst bei Lehrer
Kleppien?"
„Ja, ja, allens später. Bei deiner Swesterlichkeit beschwör' ich dich, laß
mir 'rein."
„Ganz gut, aber ich hab' dich deine monatliche Unterstützung — ach, das
viele Geld — doch erst gegeben. Willst du etwa, jetzt in der Nacht, wieder
was von mir arme, kranke Frau?"
„O Ante, ich bün ja viel kränker. Mir verzehrt der Satan bei lebendigem
Leibe. Er sitzt auf meiner Seele und reitet da auf 'rum."
„Was? — Was?— Kuck eins!" ruft Ante Dauch und rafft zierlich ihr
Hemde, als sie an dem Heringsfaß vorbeistreicht. Doch die außergewöhnliche
Krankheit der Schwester erregt die Teilnahme der Krämerin mehr, als
sie sich selbst eingesteht.
„Wenn der Teufel auf dir 'rumreitet, denn komm 'rein," gibt sie hustend
nach, „komm 'rein. Swester, was fehlt dir?"
Damit hat sie den großen Querbaum
zurückgeschlagen und den rostigen Schlüs-
sel herumgedreht. Kreischend öffnet sich
die grüne Tür, ein Windstoß vom Meere
fegt herein, und die Röcke der draußen
Verharrenden wehen und rascheln.
„O Gott — o Gott, wie preßt er mich
meine arme Seel'!" wimmert die kleine
vertrocknete und verdorrte Gestalt, die
sich jetzt in den Laden hereindrückt, um
sich sofort Zitternd und klappernd auf die
schmale Bank vor dem Verkaufstisch nie-
derzulassen. Einen Korb hat sie dabei
auf die roten Dielen gestellt. „Je, je, er
zerschneidet mich mein Herz mit einem
Brotmesser."
Wahrlich, es ist ein wunderlich Bild,
das die beiden bejahrten Frauen jetzt
bieten. Die eine, dürr und lang, im
Hemde hinter dem Ladentisch, die andere
davor, zusammengekrochen und durch-
näßt, in haltloser Verzweiflung. Zwi-
schen beiden aber das flackernde Licht.
„O Schwesting, Schwesting," jammert
der Gast, indem das Weib die Tropfen
von sich abspritzt, „gib mich rasch dein
Hamburger Pflaster, damit ich es mich
gegen Unruhe und Teuflischkeit hinten
auf den Hals klebe."
Hier verzieht Ante Dauch erschreckt
ihr langes, faltiges Antlitz. „Meinst du
umsonst?" möchte sie gerne ablehnen.
Jedoch der nächtliche Besuch wirft in
jäher Hast, als wäre keine Minute mehr