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Heft 6

Das Buch für Alle



zu verlieren, ein Groschenstück auf den Ladentisch. Und als die besorgte
Schwester nun das braune, kreisrunde Pflaster hervorgesucht hat, wird
es von Riksch Drewelow in wilder Eile hinten auf den dünnen, ausgezehr-
ten Hals geklebt.
„O Schwesting, Schwesting, wo geht mich das!" jammert dabei das
kleine, dürre Geschöpf von neuem.
„Na, denn sag' doch!" drängt die Altere im Hemde, während sie sich
ihre langen Finger an der Flamme des Lichtes zu wärmen versucht. „Es
ist spät — und mich friert."
„Woll — woll, dich friert, oh, und in mich kocht der Deuwel wirkliches,
glühendes Pech. — Ach, mein liebes, gutes Schwesting, du weiht, mein
seliger Mann pflegte all ümmer zu sagen, es süß' woll in mich der Böse,
wenn ich so auf andre Leut'
ihr Hab und Gut hinschie¬
len muht'. Und vor zwei
Jahren, da haben sie mich
doch auch auf sechs Wochen
eingezogen, weil Kauf¬
mann Guhlen seine sil¬
berne Schnupftabaksdos'
sich in meinem Kleider¬
schrank gefunden hatt'.
Ganz zufällig. Ich könnt'
da gar nichts dafür. Sie
war eben da. Und so geht
es mir ümmer."
„Ja, ja, aber was bringst
du denn heute?" fuhr Ante
Dauch ungeduldig dazwi¬
schen, indem sie ihren
Oberkörper in dem schlot¬
ternden Hemde weit über
den Ladentisch herüber¬
schob. „Fandst du heute
wieder was?"
Riksch nickte und rang
aufschluchzend die Hände:
„Was wollt' ich nich?"
jammerte sie tonlos. „Der
Deuwel springt in meinen
Eingeweidenherum. Denk'
dich, Schwesting, wo mich
das geht. Da wasch' ich
heute bei Lehrer Kleppien,
der die reiche Witfrau ge¬
heiratet hat und der so
vergeßlich ist. Ach Gott,
warum is er bloh so ver¬
geßlich ? Warum? — Kuck,
und da hat er morgen sei¬
nen Geburtstag, und nu
bekommt er heute von eine
alte Erbtante einen Hun¬
dertmarkschein geschickt."
„Einen Hundertmark— ?"
schleuderte Ante Dauch da¬
zwischen, und ihre knochi¬
gen Finger begannen auf
der Tischplatte gierig zu
zählen. „Hast du den selbst
gesehn?"
„Was wollt' ich nich? —
Dahinter steckt ja eben der
Deuwel, daß er mich ümmer so was zeigen muh. Sieh, ich war grad in die
Stub', und weil die Frau Kleppien ihrem Mann gewöhnlich alles wegnimmt,
da hat er — wie er nu so mit mir allein war, den Schein — ach, so ein schö-
ner Schein war es —in das alte Bierseidel oben auf den Schrank gesteckt."
„Na, und —?" drängte Ante, deren stechende Augen im Widerschein des
Lichtes wie die einer Eule zu schimmern anhoben. „Hast du ihn etwa schon
weggenommen?"
Da schüttelte Rike verzweifelt das Haupt. „Nee, nee, das is es ja eben.
So stark war der Deuwel noch nich. Aber ich muh nu ümmerfort daran
denken, llmmerzu an das alte Bierseidel aus gelbem Stein mit dem
Nickeldeckel obenauf. O Swesting, und wenn das Hamburger Pflaster den
Bösen nich aus mir 'rauszieht, denn weih ich nich, was noch geschieht."
„Es Zieht ihm aber 'raus!" befahl Ante aufgebracht. „Ich werd' dir noch

eins schenken. Dann hilft es sicher. Und nu geh zu Bett, damit es wirken
kann. Mach' fir, denn ich will solche unheiligen Sachen nicht in meinem
feinen und anständigen Geschäft beherbergen. Gut' Nacht!"
Mit diesen Worten schob sie ihren Besuch rücksichtslos und kräftig auf
die Landstraße hinaus, und während sie den schweren Querbaum wieder
vor die Tür legte, hörte sie noch, wie es draußen ferner und ferner wim-
merte: „Oh, wie das brennt, wie das reißt. Das kann ein Mensch nich
lange aushalten. Nein, das kann er nich."
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Welch ein Schrecken! Als Ante wieder in ihren blau und weißen Kissen
lag, da merkte sie mit nagender Bestürzung, daß Rikes Deuwel zurück-
geblieben war. Ja, ja,

ganz deutlich sah sie ihn
auf dem Stuhl vor ihrem
Bett sitzen, gerade auf
ihrem roten schörlakenen
Unterrock. Und der Deuwel
nahm einen Priem, spuckte
ein paarmal und gröhlte
dann mit leise kochender
Stimme, die wie Pech in
ihren Ohren brannte:

Klaus Störtebeckers letzter Kampf / Nach einem Gemälde von Johannes Gehrts
Szene aus einem der Schlußkapitel von Georg Engels historischem Roman „Klaus Störtebecker"

„Jule, Jule, Jule,
Du büst ein dummes Vieh,
Jule, Jule, Jule,
Du lernst das Leben nie."

„Oh, wieso?" fragte
Ante Dauch, wobei sie bis
über die Augen unter die
Bettdecke kroch.
„Na, wieso?" stach der
Deuwel weiter, während
seine roten Kohlenaugen
sie grimmig anfunkelten.
„Wieso? Büst du nich eine
arme, fleißige Frau?"
„Das is so — das is so."
„Und hast du all eins
hundert Mark beisammen
gesehn?"
„Nee, nee, wie soll ich?
Wie soll ich bloß?"
„Aber du willst woll ab-
warten, bis deine Swester
Riksch dir zuvorkommt?
Die versteht sich auf solche
Sachen."
„Ja, was wollt' sie nich?
— Was wollt' sie nich?
Aberst wenn der Lehrer nu
was merkt?"
„I, deswegen kannst du
ruhig sein,-oll Antsch. Der
hat noch nie was gemerkt.
Und hat er nich morgen
seinen Geburtstag? Und
kommen da nich viele
Leute? Und kannst du ihm
nich auch gratulieren?"
„Ja, ja— aber nu doch,"
wandte Ante Dauch ein, sich schweißgebadet herumwälzend.
„Was?"
Der Deuwel sprang auf, fuhr mit der Klaue unter das Oberdeck und
kniff Ante in den großen Zeh, daß sie aufschrie. „Was," schimpfte er,
„du willst hier noch widersprechen? Auf der Stell' sagst du jetzt ja oder nein."
„Ja, ja, ich will ja!" schrie Ante kläglich, „aus reine Folgsamkeit will
ich es tun. Bloß das Muckern in dem Zeh soll aufhören."
„Das is dein Glück," beruhigte sich der Deuwel. Dann löschte er das Licht
aus, soff noch etwas aus dem Spiritusfaß und stieg endlich langsam in
den Schornstein.
„Oh, das is aber schrecklich!" wimmerte Ante hinter ihm her.
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