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vornan von
Sophie ^loevft

'.r Fortsetzung


^<7«^^as Heinz Godesheim über Kollmann hörte, erschien
c) ^ihm wie eine Erlösung aus dem Wirrsal.
„Aber, liebste Maria, das ist doch das einzig richtige.
Selbstverständlich fährst du heute mit ihm. Ich habe keine Stunde
Ruhe, bis ich dich in sicherem Schutz weist."
„Liebster, ich wollte doch so gern weiterlernen. Im nächsten
Monat — wenn die Tante mir Geld geschickt hätte — wär' ich
wieder ins Atelier gegangen. Und bis dahin hätt' sich auch wie-
der was gefunden. Weißt, zwanzig Mark hab' ich noch —"
„Laß mich einmal offen sein, auch wenn's dir weh tut. Mein
Herz, dein Talent mag dir einmal — in Jahren — ein bescheidenes
Brot geben. Mehr — ich must es dir sagen —, mehr wird es nie
sein. Und auch dies bescheidene Brot ist ungewiß. — Warum
willst du nicht die Gastfreundschaft deiner Verwandten annehmen,
bis ich uns das kleine Nest an der Elbe bauen kann."
„Ich würde so gern ein brauchbarer Mensch."
„Meinst du, daß nur die berufstätigen Frauen brauchbare
Menschen sind? Hab' mich lieb und mach' mein Leben reich, dann
tust du tausendmal mehr.
Mehr als Glück schenken kann
keine Frau. — Dein Herz ist
dein größter Reichtum."
„Es klingt so schön, was du
sagst, und doch ist mir so angst.
Und wenn Elena kommt und
sucht mich hier?"
„Diefindetdich auchinBer-
lin. Und denk' doch, in einigen
Wochen bin ich auch dort, we¬
nigstens für das nächste halbe
Jahr—soll ich dich hier allein
lassen?"
„Ja, ja, alles ist richtig. Und
immer hab' ich das Gefühl, als
wenndanoch ein Rechenfehler
sei. Weißt du, wenn ich abends
zur Ruhe bin und der Tag
verlangt nichts mehr von mir,
dann kommt das so über mich,
als wenn ich mitten in Sturm
und Brandung treibe. Und ich
finde keinen Halt. Wie eine
Möwe, die zu weit fortgeflo¬
gen ist von ihrer Küste und im
Wirbel der Elemente hilflos
umkommen muß. So schwach
fühl' ich mich dann. So ohne
Kraft. So gar nichtvorbereitet
auf den Kampf ums Leben."
„Meine süße Möwe, wenn
das wieder kommt, dann denke
immer, da irgendwo in der
Flut schwimmt ein festes klei¬
nes Boot, das ist stark und
groß genug, den verflogenen
Vogel an seinem Bord zu ber¬
gen. Wenn er sich ihm nur
anvertrauen will."
Maria lächelte ganz ge-

tröstet. „Das Bild soll mit mir gehen. Wenn ich wieder die
Brandung spüre, will ich immer nach dem Boot ausschauen." Sie
lehnte sich an seine Schulter. „Jetzt seh' ich erst, wie schön es
heute hier draußen ist. Wie ein heimlicher Zaubergarten. Komm,
wir wollen ganz tief hineingehen in seine Stille."
Tiefblau, Kälte spendend und neue Kälte verheißend stand der
Winterhimmel über der verschneiten Welt. Kalt war es, aber so
windstill, daß die scharfe Kälte kein Frösteln auslöste. Und die
Sonne, die strahlend und ohne Wärme zu spenden niederleuch-
tete, ließ jedes Reifkörnchen an Zweigen und Halmen wie Kristall
funkeln.
Mitten in der lärmenden Großstadt war eine kleine Zauber-
insel, voll von Schönheit und Weihe.
Mitten in ihrem Lebenskampf feierten zwei junge Herzen eine
heilige Stunde, lachten junge Lippen, war Frühlingswonne in
Eis und Schnee. Als sie sich endlich heimwandten, weil Menschen-
stimmen und Kindergelärm hereinbrachen in ihren Frieden, sagte
Godesheim: „Jetzt also telephonierst du an den Bayrischen Hof,
und d ann g eh en wir zusamm en
essen — doch dieses eine Mal
noch sollst du mein Gast sein,
ehe du München verläßt —
dann holen wir deine Sachen
im Wagen ab und bringen sie
zur Bahn, und dann — Wie
sollich es hiernach dreiWochen
aushalten ohne dich?"
„Du wirst sehr fleißig sein.
Und heute abend an der Bahn
sehr gesetzt und vernünftig.
Fremde Augen sollen nicht
vor der Zeit hineinschauen in
unser Glück."
„Gut. Meine Lippen wer-
den schweigen. Aber ob ich
meinen Augen auch befehlen
kann? — Küss' mich noch ein-
mal, Maria, ehe wir wieder
unter die Menschen gehen."
er Märzwind fegte durch
^>die Berliner Straßen.
Er hielt es nach Bürgers Wor-
ten: „Der Tauwind kam vom
Mittagsmeer, er schnob durch
Welschland trüb und feucht."
Sooft ein Stückchen blauer
Himmel sich durch die fliegen-
den Wolken schob, verhüllte
ihn wieder eine neue jagende
Decke, aus Weiß und Grau
gewirrt. Von Zeit zu Zeit riß
diese Decke in Fetzen, es pras-
selte auf den Asphalt, alle
Regenrinnen platterten, die
Menschen schoben den Kopf
zwischendie Schultern und lie-
fen Trab od er tauchten in Tor-
wegen und Haustüren unter.

Das neue Jahr / Nach einer Radierung von E. Wendlandt
Kunstverlag Amoler und Rnthurdt, Berlin W 8
 
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